Analyse, Werturteile und Verdächtigungen – und was wird zitiert, was nicht?

Kai Eicker-Wolf (DGB Hessen Thüringen) hat sich auf Blickpunkt WiSo mit den Überlegungen zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen – „in seiner neoliberalen Variante“ – von Götz W. Werner beschäftigt. Damit ist schon eine Stoßrichtung der Auseinandersetzung benannt, die zugleich die Kategorien der Einordnung aufscheinen lässt, die Eicker-Wolf bemüht. Früher schon hat der Autor Schwachpunkte der BGE-Diskussion zurecht aufgespießt (z. B. die Digitalisierungshoffnung), daraus allerdings durchaus selektive Schlussfolgerungen gezogen (siehe hier und hier).

Interessant ist hier zuerst einmal, was Eicker-Wolf Werner ansinnt. Schon zu Beginn seines Beitrags scheint Werners philanthropisches Engagement erwähnenswert, aber dabei belässt es Eicker-Wolf nicht, er attestiert ihm,  ein entsprechendes „Image“ zu pflegen – also eine Art Marketingmaßnahme. Belegt wird das nicht. Kann sein Engagement nicht aus Überzeugung geschehen? Was tut das überhaupt zur Sache, wenn es um Werners BGE-Überlegungen gehen soll? Die nächste Brandmarkung folgt sogleich: Werner „inszeniert sich […] gerne als Kämpfer für die Armen“ – Eicker-Wolf verweist hierbei auf Interviewäußerungen. Auch hier stellt sich die Frage, woraus er schließt, dass dies nicht aus Überzeugung geschieht? Und wieder: was hat es mit dem BGE zu tun? Hier soll offenbar die Glaubwürdigkeit einer Person (inszeniert sich als vs. ist tatsächlich) in Zweifel gezogen werden und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es um Feindbildpflege geht.

Nachdem mittels dieser Anmerkungen ad personam der Boden bereitet wurde, kann es nun um das BGE gehen. Dass Werner in den vielen Jahren seines Engagements die unterschiedlichsten Betragshöhen genannt hat, ist ihm schon öfter vorgehalten worden. Das kann man kritisieren, Eicker-Wolf erkennt darin gar „System“, die nächste Schublade, die nicht belegt wird. Die Unentschiedenheit Werners ließe sich, wenn man nach Gründen sucht, genauso gut als Zögerlichkeit oder Nachlässigkeit deuten. Vielleicht war Werner sich nicht ganz sicher, welche Höhe die richtige wäre. Ohnehin liegt die Betragshöhe nicht in seiner Hand, sie bleibt eine Hausnummer, wichtig wäre, was mit einem BGE erreicht werden soll, von dort aus muss dann die Höhe bestimmt werden. Dass unterschiedliche Betragshöhen unterschiedliche Folgen hätte, könnte ja schlicht benannt werden. Das reicht dem Autor anscheinend nicht. In demselben Absatz erwähnt Eicker-Wolf Finanzierungsrechnungen, auf die sich Werner beziehe und moniert, es würden keine Quellen angegeben. Wer Werners Bücher kennt, weiß, dass sie nicht wissenschaftlichen Gepflogenheiten folgen und er mit Quellen sehr selektiv umgeht. Auch das ließe sich als Nachlässigkeit verbuchen, sie muss nicht „System“ haben. Ein wenig Internetrecherche, wenn es denn von Interesse gewesen wäre,  hätte Eicker-Wolf ziemlich schnell zur Dissertation André Presses führen können, der wissenschaftlicher Mitarbeiter zu Werners Zeiten am Karlsruher Institut für Technologie war. Dort wurde die Dissertation auch angenommen. Ziemlich wahrscheinlich ist es, dass Werner sich auf diese Berechnungen bezieht. Mit diesen hätte eine Auseinandersetzung geführt werden können, darum ging es womöglich aber gar nicht.

Eicker-Wolf attestiert Werner dann einen Widerspruch, wenn dieser sich auf der einen Seite gegen Niedriglöhne ausspreche, auf der anderen aber die Arbeitskosten eines Unternehmens als Problem betrachte. Ob Werners Diagnose diesbezüglich zutrifft, sei dahingestellt. Aber auch hier fällt wieder auf, was Eicker-Wolf nicht erwähnt, Werner jedoch sehr wohl thematisiert. Mit der Einführung eines BGE setzt sich Regeleinkommen anders zusammen als heute. Eine ganz praktische Folge wäre, dass am Regeleinkommen nicht die Mindestabsicherung hinge, die würde ein BGE bereitstellen. Das veränderte das ganze Gefüge, die Stellung des Lohnes für das Einkommen würde relativert. Was heute als Niedriglohn problematisch ist und eine Aufstockung durch Grundsicherung erforderlich macht, wäre dann jedoch nicht mehr aus denselben Gründen nötig. Da Arbeitsbedingungen in jeder Branche, zu jeder Zeit, auf jeder Qualifikationsstufe abgelehnt werden könnten, wäre die Lage ganz anders. Darauf geht Eicker-Wolf nicht ein – Werner aber hat darauf immer wieder hingewiesen.

Dass Werner eine „typisch neoliberale Vorstellung“ habe, kann nur schreiben, wer einen Teil seiner Überlegungen nicht einbezieht. Mir sind keine Neoliberalen bekannt, die ein solches BGE je gefordert hätten, wie Werner es tut, die Arbeitnehmer mit einem Einkommen absichern wollten, das unabhängig von Erwerbstätigkeit bereitstünde und die zugleich bedarfsgedeckte Leistungen weiter vorsehen. Eicker-Wolf zitiert, so der Eindruck, was zu seinen Einwänden passt, anderes lässt er aus. Werners Äußerung, dass „ein Arbeitgeber nicht mehr in dem Maße an einen Arbeitnehmer“ gebunden wäre – Eicker-Wolf hält das offenbar für bemerkenswert -, gilt für den Arbeitnehmer eben auch, genau das schreibt Werner in der von Eicker-Wolf zitierten Passage, letzterer erwähnt das aber gar nicht. Wenn Werner den Kündigungsschutz mit einem BGE in Frage stellt, so kann doch nicht einfach darüber hinweggegangen werden, dass sich die Funktion des Kündigungsschutzes heute wesentlich als Schutzfunktion vor abruptem Einkommensverlust versteht – sie garantiert den Arbeitsplatz nicht dauerhaft. Damit dient der Kündigungsschutz heute als Gegengewicht zum Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Gäbe es dieses in der Form wie heute dennoch, wenn ein BGE eingeführt würde? Eicker-Wolf reicht alleine der Hinweis darauf, dass Werner ihn für erlässlich hält, schon aus, um ihn einzuordnen. Weshalb thematisiert er den Zusammenhang zwischen der Stellung von Erwerbseinkommen heute und der Funktion des Kündigungsschutzes nicht? Oder hat das „System“, wie Eicker-Wolf es Werner schon zuvor attestierte? Dasselbe gilt für den Aspekt, der in der BGE-Diskussion unter dem Stichwort „Verhandlungsmacht“ thematisiert wird. Ob sie genutzt würde (sie hängt durchaus von der BGE-Höhe ab), kann natürlich angezweifelt werden, die Nicht-Nutzung läge aber nicht am BGE.

Was Eicker-Wolf dann über die „Ausweitung“ von Niedriglohnbeschäftigung durch abnehmende Tarifbindung schreibt – ihr entgegenzuwirken erachtet er als wichtig -, lässt wiederum unerwähnt, weshalb die Tarifbindung abgenommen hat und welche Verhandlungsmöglichkeiten Arbeitnehmer  ohne BGE haben, wenn sie vom Erwerbseinkommen abhängig sind. Die Erklärung für Niedriglohnbeschäftigung bleibt einseitig, der soziale Druck, der in den Sozialgesetzbüchern institutionalisiert ist, wird nicht erwähnt. Dabei ist, was Eicker-Wolf mit der Tarifbindung in Zusammenhang bringt, „ein Wettbewerb um Qualität und Effizienz“ statt um „Lohndumping“ ein wichtiges Ziel. Könnte aber nicht gerade ein BGE dazu beitragen, weil es Verhandlungsmacht schüfe? Welchen Stellenwert auf der Basis eines BGE Tarifverträge und -bindung noch hätten, ist nicht ausgemacht, die Situation wäre eine andere.

Im letzten Teil des Beitrags beschäftigt sich Eicker-Wolf noch mit Werners Überlegungen zur Konsum- bzw. Verbrauchssteuer, den ich hier nicht weiter kommentiere, da ich mich diesbezüglich nur als interessierten Laien bezeichnen würde.

Was lässt sich abschließend festhalten? Eicker-Wolfs Beitrag stellt eine Mischung aus Einwänden dar, die teils sachliche Ansatzpunkte haben, teils sich gegen die Person richten. Schlussfolgerungen zieht er in den von mir besprochenen Passagen auf der Basis von Werturteilen. Möglichkeiten eines BGE auszuloten, z. B. in Sachen Verhandlungsmacht, die Folgen für die Bedeutung des Kündigungsschutzes hätte usw., sind seine Sache nicht.

Sascha Liebermann