Keine Sanktionen, aber moralische Verpflichtung – soll sie nun durchgesetzt werden oder nicht und was soll sie dann?

Auf Hinweis eines Lesers dieses Blogs bin ich auf zwei weitere Beiträge aufmerksam geworden, in denen die Frage auftaucht, die gegenwärtig Verwirrung stiften kann, wie denn nun von Sanktionen Abschied genommen werde könne im „Bürgergeld“, zugleich aber eine moralische Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit fortbestehen solle. Norbert Walter-Borjans hat sich dazu ebenso geäußert wie Christoph Butterwegge, Walter-Borjans im Interview mit der Augsburger Allgemeinen, Butterwegge in einem Beitrag für Jacobin.

Was sagt Walter-Borjans im Interview?

„Die SPD hat intern lange unter Agenda2020 und den Hartz-IV-Reformen gelitten. Jetzt soll aus dem Arbeitslosengeld II ein Bürgergeld werden. Wird das nur ein schönerer Name oder ändert sich etwas für die Betroffenen?

Walter-Borjans: Für das neue Bürgergeld wird die Formel gelten: höher, einfacher und unterstützender. Bei der Höhe muss man die Regelsätze überprüfen, wie bedarfsgerecht sie sind. Einfacher bedeutet, dass es nicht sein darf, dass Menschen ein Anrecht haben, aber oft an bürokratischen Hürden scheitern. Vieles kann automatisierter mit weniger kompliziertem Aufwand laufen. Menschen sollen nicht als Bittsteller dastehen, um an ihr Existenzminimum zu kommen, ihnen steht wie jedem und jeder der Respekt als Bürger und Bürgerinnen zu. Unterstützend heißt, dass der Staat seine Fürsorge für diesen Bereich der Gesellschaft wirklich ernst nimmt. Wir müssen andere Wege als existenzgefährdende Sanktionen finden, damit Menschen ihre Mitwirkungspflicht erfüllen. Sie dürfen weder in eine Parallelgesellschaft geschoben werden, noch sich selber dahin abseilen können. Sie sind Teil der Allgemeinheit, haben aber auch eine Mitwirkungspflicht für diese Allgemeinheit.“

Der Rechtsanspruch gilt schon, das wäre kein Novum, auch heute sind Bezieher keine Bittsteller, selbst wenn dies in der öffentlichen Debatte so gesehen werden mag bzw. die Bezieher sich selbst so sehen sollten. Die Hürden bei der Beantragung sind in der Tat erheblich und treffen diejenigen, die ihre Interessen am wenigsten wahrnehmen können, am härtesten – das ist eine Erklärung für verdeckte Armut. Vereinfachungen sind immer zu begrüßen, das steht außer Zweifel. Dass Respekt jedem zustehe, ist schön gesagt, wird er ihm denn auch entgegen gebracht und wurde er das in politischen Debatten? Vielleicht hing die SPD das im Wahlkampf so hoch, weil sie es früher vernachlässigt hatte.

Der wirklich entscheidende Punkt allerdings ist die Frage nach den Sanktionen. Walter-Borjans schließt nur die „existenzgefährdenden Sanktionen“ aus, also bleiben die nicht existenzgefährdenden. Oder denkt er vielleicht doch nur an einen moralischen Appell? Den könnte man sich dann auch sparen und gleich ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Wenn er nun aber sagt, dass die Leistungsbezieher sich nicht „dahin abseilen dürfen“ – also in die „Parallelgesellschaft“ -, ist mir schleierhaft, wie, wenn man sie davon abhalten will, dem ohne Drohmittel begegnen können soll. Die Ampel-Koalition bewegt sich also zwischen Sanktionsbeibehaltung und bloßem moralischen Appell ohne Sanktionen, da wäre dringend eine Klärung angeraten, denn das erste ist etwas vollkommen anderes als das zweite.

Wie sieht es bei Butterwegge aus?

„Sanktionen sind nicht bloß inhuman, sondern auch kontraproduktiv, weshalb sie von den politisch Verantwortlichen beseitigt werden müssen. Der bisherige, sanktionsbewehrte Zwang zur Erwerbstätigkeit für alle Bezieherinnen und Bezieher sollte entfallen. Sanktionen sind entbehrlich, denn Menschen, die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation sowie ihrer gesundheitlichen und psychischen Verfassung fähig sind, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, werden dies auch tun, um sich selbst zu verwirklichen, sich nützlich zu machen oder der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“

Die Forderung ist klar, wie aber will Butterwegge dann das Erwerbsgebot beibehalten, wenn er doch bisher stets gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen argumentiert hat? Will er denn lediglich eine Bedürftigkeitsprüfung, wie sie in der Garantiesicherung der Grünen vorgesehen ist? Es ist einigermaßen rätselhaft, wie er hier argumentiert, denn, wenn „Menschen“ sich verwirklichen wollen, benötigen sie keinerlei Beaufsichtigung, dann benötigen sie auch keine Bedürftigkeitsprüfung. Weshalb aber argumentiert Butterwegge dann gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen, in dessen Richtung sein Vorschlag wiese, wenn er noch die Bedürftigkeitsprüfung für die Grundsicherung aufgäbe?

„Das Ziel muss eine soziale Grundsicherung sein, die den Namen im Unterschied zu Hartz IV wirklich verdient, weil sie allen Bedürftigen zugutekommt, aber auch armutsfest, bedarfsdeckend und repressionsfrei ist.“

„Repressionsfrei“ wäre sie tatsächlich nur, wenn Erwerbsbereitschaft nicht gefordert und Instrumente zu ihrer Herbeiführung gestrichen würden. Was Butterwegge, wenn er diesen Schritt wirklich zu gehen bereit wäre, aber nicht aufgäbe, das wäre der Vorrang von Erwerbstätigkeit, denn die Grundsicherung wäre nur für Bedürftige da, für andere nicht. Dann müsste Butterwegge, wenn er konsequent sein wollte, auch den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer abschaffen, denn er steht als Rechtsanspruch auf die Sicherung des Existenzminimums ebenfalls allen zu. Wirksam wird er erst, wenn steuerbares Einkommen vorliegt. Will er ihn denn streichen? Davon ist nichts zu lesen. Er gesteht also den einen, den Erwerbstätigen etwas zu, das keiner Bedürftigkeitsprüfung unterliegt, den anderen, den Bedürftigen, aber nicht. Es gibt also zweierlei Existenzsicherung.

Abschließend sagt er:

„Schließlich sollte die soziale Mindestsicherung ohne Sanktionen auskommen, wenngleich eine moralische Verpflichtung fortbesteht, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sicherzustellen, sofern man dazu gesundheitlich, psychisch und aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Lage ist.“

Was heißt hier „moralische Verpflichtung“? Ist das dieselbe Verpflichtung die im Allgemeinen besteht, sich für das Gemeinwesen auch verantwortlich zu fühlen? Wenn es weniger als das ist, hebt sie wiederum die Erwerbstätigkeit heraus und stuft die anderen Lebensbereiche herab. Es überrascht von daher keineswegs, dass Butterwegge wieder einmal die Haushalts- und Sorgetätigkeiten überspringt. Es ist eben doch nur das Engagement wertvoll, das in Erwerbstätigkeit mündet, zumindest für die, die dort etwas leisten können.

Sascha Liebermann