„Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung“ oder: je weniger Zeit für Familie, desto besser

Auch für den DGB ist das ein wichtiges Thema, so Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende in einer Stellungnahme:

„Gute Bildung und Betreuung sind Lebensadern für Familien und für unsere Gesellschaft – das hat die Corona-Krise einmal mehr bestätigt. Deshalb ist es wichtig, dass ein weiterer gesellschaftlicher Meilenstein, den sich diese Koalition gesetzt hatte, jetzt auch genommen wird. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung muss kommen. Die Ministerpräsidenten müssen jetzt ihrer Verantwortung gerecht werden und dafür eine Bund-Länder-Vereinbarung auf den Weg bringen.

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist das wichtigste bildungs-, familien- und sozialpolitische Vorhaben in dieser Legislatur. Damit es erfolgreich sein kann und sozial bedingte Bildungsbarrieren besser abgebaut werden, muss die Qualität stimmen. Dafür braucht es mehr Erzieher/-innen, Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen im Ganztag.

Guter Ganztag bietet Zeit für individuelle Förderung, Kompetenzentwicklung und die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen. Genau das erwarten auch die Eltern.“

„Sozial bedingte Bildungsbarrieren“ – damit ist jeder Eingriff begründbar und die Eltern werden als Hindernis dafür betrachtet , Barrieren aus dem Weg zu räumen.

Eltern vermitteln aber andere Dinge, die Bildungseinrichtungen gar nicht vermitteln können und sie sind nicht defizitär. Statt einer pauschalen Verunglimpfung familialer Beziehungen stünde eine Kritik des Bildungswesens an, der zu starken Mittelschichtsorientierung, des undifferenzierten Blicks auf Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen. Auf den Punkt gebracht, könnte man die Forderung auch so formulieren: Je weniger Zeit für Familie, desto besser. Familienleben ist obsolet oder zumindest eine nachrangige Angelegenheit. Ganztagsbetreuung ist die andere Seite der Medaille „Erwerbsgebot“, das eine soll dem anderen dienen, das erstere dem letzteren.

Wer es mit Bildung ernst meint, muss zuerst einmal den Eltern die Möglichkeiten verschaffen, dass sie sich der Aufgabe Elternschaft frei stellen können. Das geht nicht, solange das Zuhausesein als nachrangig zur Erwerbstätigkeit betrachtet wird. Ganztagsbetreuung heißt, den Erfahrungsraum von Kindern verengen, Erfahrung ist nur noch im institutionellen Rahmen vorgesehen. Kinder leben aber immer in einer Familie, mit einer konkreten Nachbarschaft und Erfahrungsräumen, die daran anschließen, die mit Betreuungseinrichtungen nichts zu tun haben. Diese Erfahrungsräume zu erkunden, was man früher Herumstreunern genannt hat, ist für Bildungsprozesse wichtig.

Siehe zum Primat der Erwerbstätigkeit, mit der noch alle Probleme offenbar gelöst werden sollen auch auch den Beitrag von Margrit Stamm, die hier sogar von Liebesentzug spricht (siehe auch Beiträge zu Remo Largo).

Sascha Liebermann