Unter diesem Titel diskutierten Adrienne Göhler, Klaus Dörre und Sebastian Sooth am 3. Mai in MDR Figaro unter anderem auch über Grundeinkommen, das vor allem gegen Ende der Sendung zur Sprache kommt. Sie steht als Podcast bereit.
Während sich Adrienne Göhler für ein bedingungsloses Grundeinkommen aussprach, beurteilte Klaus Dörre es von der Warte des „empirischen Sozialforsches“ – darauf wies er wiederholt im Laufe der Sendung hin. Was zeichnet seine Einwände aus?
Sein Verweis darauf, nur von empirisch belegbaren Zusammenhängen ausgehend Einschätzungen vorzunehmen, wünschte man sich häufiger, wenn Wissenschaftler sich zu Wort melden. In seiner Argumentation gegen das bGE allerdings hält er wissenschaftliche Analyse und intellektuelles Plädoyer nicht auseinander. Es ist das eine, aus der „Empirie“ herauszupräparieren, welche Vorstellungen zu sozialer Sicherung gegenwärtig vorherrschen (Wissenschaft). Etwas anderes aber ist es, über andere mögliche Sicherungssysteme nachzudenken und für ihre zukünftige Einführung zu streiten (intellektuelles Räsonnement). Wird dann noch aus Gegenwärtigem – also der Vorstellung z.B., es dürfe keine Leistung ohne Gegenleistung geben – hergeleitet, dass es ein BGE nicht geben werde, weil die Menschen in der Gegenwart es nicht wollen, dann hat dies mit wissenschaftlicher „Empirie“ nichts gemein.
Es bedarf keiner großartigen Untersuchung, um herauszufinden, dass das BGE bislang keinen breiten Rückhalt hat.Verwunderlich ist das nicht, Vielen ist es gar nicht bekannt. Auch kollidiert es mit manchen unserer Überzeugungen. Bei näherer Betrachtung aber ist das BGE gar nicht so weit von der Gegenwart entfernt, wie auch Klaus Dörre meint. Was also möglich ist, hängt davon ab, was wir möglich machen wollen. Dazu bedarf es einer breiten öffentlichen Diskussion, dann werden wir sehen, wie weit wir zu gehen bereit sind.
Was Dörre ganz vernachlässigt, das ist, auf welchen Voraussetzungen wir heute schon leben auch hinsichtlich unserer politischen Ordnung. Daran könnten wir erkennen, dass wir nicht in einer „Arbeitsgesellschaft“ leben, denn die Stellung der Bürger als Souverän ist von Arbeit nicht abhängig, auch ist es die Geltung der Bürgerrechte nicht. Unser Denken hinkt also der Realität unserer politischen Ordnung hinterher. Gerade angesichts 60 Jahre Grundgesetz muss darauf hingewiesen werden.
Statt also gegenwärtige Vorstellungen einfach einzusammeln, sollte die Wissenschaft die Frage beantworten, wie die Diskrepanz zwischen diesen Vorstellungen und der politischen Ordnung zu erklären wäre. Dazu hat Klaus Dörre nichts anzubieten in der Sendung. Auch sagt er nichts dazu, wie sich das BGE zu dieser Ordnung verhält. Dann wird schnell deutlich, dass viele Einwände gegen ein BGE gar nicht das BGE treffen, sondern gegenwärtige Verhältnisse und Problemlagen, sie entstehen also nicht erst mit dem BGE, sondern sind schon da.
Was im Gestus einer wissenschaftlich empirisch gemeinten Stellungnahme auftritt, gerät unter der Hand zur politisch normativen – im Namen von Wissenschaft wird Politik gemacht.
Sascha Liebermann