…das findet sich im Beitrag von Sabine Rennefanz auf Spiegel Online, die zwar zurecht auf eine einseitig geführte Debatte über die Erhöhung der Erwerbsarbeitszeit hinweist, die aber den Blick auf die Mütter dabei vermisst. Dabei gelte es, so ihre Einschätzung, die Frauenerwerbsquote und -erwerbsarbeitszeit zu erhöhen. Die Folgen erhöhter Erwerbstätigkeit sieht sie glasklar:
„Denn wenn alle mehr arbeiten, wer kümmert sich dann um die Kinder und die Alten? Über 70 Prozent der unter Dreijährigen in Westdeutschland werden zu Hause überwiegend von ihren Müttern betreut, um vier von fünf Pflegebedürftigen kümmern sich Angehörige, auch meistens Frauen. Wer soll das machen, wenn alle arbeiten? Und was macht das mit der mentalen und physischen Gesundheit?“
Daraus ließe sich nun einiges gegen den Vorrang von Erwerbstätigkeit ableiten und für die stärkere Präsenz der Eltern, noch mehr der Väter ins Felde führen. Doch das geschieht nicht, der Beitrag nimmt eine andere Wendung. Dabei ist hier noch eine nicht unerhebliche Korrektur nötig, denn die Angabe von 30 Prozent der unter Dreijährigen in Tagesbetreuung ist nur richtig, wenn nicht zwischen den Altersgruppen differenziert wird. Im ersten Lebensjahr ist die Betreuungsquote nach Angaben des Statistischen Bundesamtes noch vergleichsweise niedrig, dann aber steigt sie rasant an und erreicht im zweiten Lebensjahr schon etwa 30 Prozent im Westen, im dritten, also immer noch vor Eintritt in den Kindergarten, liegt sie dann bei 60, im Osten bei 80 Prozent. Keineswegs also sind 70 Prozent der Kinder zuhause, wenn man altersspezifisch die Sache betrachtet. Man könnte hieran sehen, dass die Erwerbsorientierung schon erhebliche Folgen hatte bislang, die Zeit für Familie indes immer weniger wird.
Fraglos ist, wie Rennefanz anmerkt, Familienleben mit der Präsenz der Mütter zuhause gleichgesetzt worden, die Väter spielten keine so große Rolle, auch familienpolitisch nicht. Doch daraus eine Tugend zu machen und mit dem Verweis auf Schweden, Frankreich und die DDR (mit Vorbehalten) eine bessere Welt zu zitieren, überrascht doch. Worauf es hinausläuft ist dann auch absehbar:
„Bis heute handelt es sich zwischen Ost und West um geteilte Länder, was Frauenerwerbstätigkeit angeht: Während im Osten 51 Prozent der Mütter spätestens 15 Monate nach der Geburt wieder in Beschäftigung sind, sind es im Westen nur 36 Prozent. Ostdeutsche Mütter beginnen mit im Schnitt 16 Stunden pro Woche, westdeutsche Mütter mit nur 8,5 Stunden. Westdeutsche Frauen kommen kurz vor dem 18. Geburtstag des Kindes auf ein Arbeitsvolumen von 22 Wochenstunden, ostdeutsche Frauen erreichen das, wenn ihr Kind etwa drei Jahre alt ist.“
Wenn das das Ziel sein soll, dann ist die Denkweise konsequent, wenn aber Zeit für Familie ebenso wichtig ist, dann muss die Frage gestellt werden, wie das erreicht werden könnte. Keinesfalls damit, den Vorrang von Erwerbstätigkeit unangetastet zu lassen. Wie wäre es denn, wenn als Kriterium dafür, wann Kinder Betreuungseinrichtungen besuchen, ihre Bereitschaft, ohne weiteren Aufwand dort zu bleiben, herangezogen würde? Wir wäre es denn, wenn man sagte, solange sie dort nicht ohne Eingewöhnungsprogramm zu bleiben bereit sind, solange sind sie noch nicht so weit? Die statistischen Mittelwerte aus der Bindungsforschung helfen doch bei der Entscheidung, wann Kinder es dort gut aushalten können, nicht weiter und laufen nur auf eine Anpassung an den Erwerbsrhythmus hinaus im Sinne einer Haltung des „da müssen sie durch“. Wenn eine Entscheidung sich daran orientieren soll, was für das Kind gut und für die Eltern auszuhalten ist, dann müsste auf das einzelne Kind geschaut werden. Selbst dann gibt es noch Tage, an denen Kinder nicht gehen möchten – aus vielerlei Gründen. Es ist doch kein Zufall, dass Kinder ab einem bestimmten Zeitpunkt, der etwa zwischen drei und viereinhalb Jahren liegt, gerne in den Kindergarten gehen, aber nicht unbedingt jeden Tag, nicht immer die ganze Zeit und schon gar nicht den ganzen Tag.
Sicher ist es wünschenswert, dass Väter präsenter sind, das würde auch die Möglichkeiten für Mütter verändern. Auch hierfür müsste der Vorrang von Erwerbstätigkeit in Frage gestellt werden. Doch was ist mit den Kindern, zählen sie denn? Zählt es, ab wann sie bereit sind? Man kann es nicht oft genug sagen, die schönfärberische Formel von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf täuscht über den permanenten Konflikt hinweg, der sich zwischen zwei Beziehungswelten auftut, die ganz unterschiedlich sind (siehe auch das Gespräch mit Susanne Garsoffky, die mit Britta Sembach dazu ein Sachbuch verfasst hat). In der einen steht die Lebensgemeinschaft im Zentrum, impulsive Bedürfnisse, die Erfahrung des Zusammen- und Miteinanderseins, das Einander-Beistehen. In der anderen geht es überwiegend um organisierbare Prozesse, Kollegialbeziehungen und die Austauschbarkeit der Mitarbeiter (auch im Bereich der Pflege). Bislang räumen wir letzterer eine Dominanz und eine normative Vorrangstellung ein, die zur Konsequenz hat, den Blick auf das andere Leben außerhalb zu vernachlässigen – und zwar in immer stärkerem Maße in den letzten Jahrzehnten.
Sascha Liebermann