…ein Beitrag von Jörg Wimalasena in der taz.
Deutlich wird in dem Beitrag, welch stigmatisierende Auswirkungen die Konstruktion des gegenwärtigen Sozialstaats für Leistungsbezieher hat. Die im Interview porträtierte Dame gibt Einblick in ihre Erfahrungen mit dem Jobcenter. So heißt es an einer Stelle:
„Der Kindergrundsicherung der Grünen könne sie durchaus etwas abgewinnen, sagt sie und erzählt von den Entbehrungen ihres Sohns, der als Jugendlicher nicht einmal mit auf die Konfirmationsfahrt fahren konnte. Die 80 Euro Teilnahmegebühr hatte Ammler damals nicht. Teilüberweisungen habe die Kirche nicht zugelassen. „Man muss eben Prioritäten setzen“, habe man ihr gesagt. Dass die Grünen ihre Vorschläge durchsetzen werden, glaubt sie aber nicht. ‚Die haben das Ganze doch mitinitiiert.‘ Und jetzt wolle jeder irgendwie Hartz IV verbessern, doch Priorität habe das Thema nicht.“
Die Erfahrung der Herablassung, die sie hier schildert, erklärt sich allerdings nicht alleine aus der Erwerbszentriertheit des Leistungsgefüges, es ist ein herablassender Blick auf diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer bestimmten Erwartungen nicht entsprechend, ganz wie es z. B. auch Anna Mayr in ihren Interviews schildert (die daraus allerdings überraschende Schlüsse zieht, siehe dazu hier).
Wichtig ist hier auch das Glaubwürdigkeitsproblem, mit dem die Grünen zu ringen haben, einst hatten sie Hartz IV gemeinsam mit der SPD eingeführt und lange hat es gedauert, bis sie eingeräumt haben, dass diese Form der Sozialpolitik problematisch ist. Wie weit ihre Abkehr davon aber tatsächlich gehen wird, wenn sie Regierungsverantwortung haben, muss sich erst zeigen. Da keine der Parteien, die in den letzten Bundesregierungen waren, eine solche Abkehr ernsthaft erwogen haben, ist die im Beitrag porträtierte Frau Ammler zurecht skeptisch.
An einer weiteren Stelle heißt es:
„Ein Auto hat sie nicht. Der Bus in den nächstgrößeren Ort kommt nur einmal pro Stunde. Für Ammler ist die Einsamkeit dennoch okay. ‚Wenn man gesehen hat, wie die Menschen sind, bleibt man lieber allein.‘ Die Menschen, damit meint sie die Mitarbeiter im Jobcenter, die Einblick haben in die intimsten Lebensbereiche ihrer ‚Kunden‘, die ‚den Daumen heben oder senken‘ bei vielem, was das Schicksal derer betrifft, die in ihren Machtbereich geraten. Ammler hält das System für nicht reformierbar. ‚Man sollte die Jobcenter und Arbeitsämter einfach abschaffen‘, sagt sie. Stattdessen plädiert sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Es scheint naheliegend, aus diesen Erfahrungen heraus für ein BGE zu plädieren, Frau Ammler gibt deutlich zu erkennen, wie entwürdigend sie die Gänge zum Jobcenter empfindet. Und dennoch schlägt sich bislang diese Erfahrung nicht in einer entsprechenden Unterstützung für ein BGE nieder, daran ändern auch die stets freundlich begrüßten Umfragen, die das belegen sollen, nichts.
Zu stigmatisierenden Effekten des bestehenden Sozialstaats, siehe hier.
Sascha Liebermann