…in ihrem Beitrag auf Zeit Online. Anlass für Ihre Kritik ist der Koalitionsvertrag der „Ampel“, der zwar Ziele formuliert, aber keine Lösungen bietet, der eher dem Weiter-so folgt. Jurczyk verweist dann auf Erkenntnisse, die schon lange vorliegen:
„Ein Jahrzehnt Forschungsarbeit mit klaren Ergebnissen: 1. Eine egalitäre Teilhabe von Frauen und Männern an der Sorgearbeit ebenso wie an der Erwerbsarbeit ist die wichtigste Stellschraube zur Behebung der Ungleichheit 2. Zeit für Familie ist nicht nur unverzichtbar, sondern auch gewünscht – auch vom Großteil der Väter. Allerdings teilen sich nur ein Viertel der Paare Sorgearbeit fair auf.“
Die Frage ist, wo angesetzt werden soll? Soll diese über eine gesetzliche Regulierung erfolgen, die, wie z.B. im Elterngeld, die Gewährung von Elterngeldmonaten an ein bestimmtes Verhalten bindet? Jurczyk scheint das klar zu befürworten. Weshalb? Würde man dadurch nicht Paaren aus der Hand nehmen, was sie nach ihrem Dafürhalten zu regeln hätten? Dies allerdings kollidiert mit den Folgen, die unter dem Signum eines erwerbszentrierten Sozialstaates die Entscheidung für Sorge hat – für Frauen in der Regel Altersarmut. Bislang wird als probates Gegenmittel hierfür nur die Erwerbsteilnahme bzw. eine noch stärkere Erhöhung derselben gesehen. Jurczyk scheint auch das zu teilen, wenn sie eine Behebung der Missstände durch die Abschaffung von Ehegattensplitting und Minijobs erhofft. Hier scheint sie der verbreiteten Deutung zu folgen, dass das Ehegattensplitting ein entscheidender Hemmschuh sei, von dem es sich zu befreien gelte. Allerdings schafft eine noch höhere Erwerbsteilnahme von Frauen keine Zeit für mehr Sorgetätigkeit, auch nicht für Männer. An einer anderen Stelle schreibt sie:
„Fatalerweise wurde das Schließen der Sorgelücke hierbei wieder einmal nicht mitgedacht. Damit ist klar, was Ausnahme und was Regel ist und dass diejenigen, die Sorgearbeit leisten, weiterhin das Nachsehen haben. Und das sind bislang meist Frauen. Einer echten Gleichstellung wird man jedoch nur mit einer Gesamtstrategie näher kommen, die Sorge als Normalfall etabliert.“
Das lässt aufhorchen, „Sorge als Normalfall“. Dazu müsste der Primat von Erwerbstätigkeit aufgehoben werden. Hier läge es nun auf der Hand, ein Bedingungsloses Grundeinkommen als Weg dorthin in Erwägung zu ziehen, was aber schlägt Jurczyk vor:
„Ein größerer Schritt wäre ein umfassendes Modell wie das Optionszeitenmodell, das einen Anspruch auf mehrere Jahre Sorgezeit für Kinder und alte Menschen (flexibel und selbstbestimmt zu verteilen über den Lebenslauf, finanziell und sozial abgesichert) rechtlich verankert.“
Die gesetzliche Absicherung ist doch nur nötig, wenn ich grundsätzlich nicht die Option habe, mich für Sorgetätigkeit zu entscheiden, ohne zugleich meine Existenzsicherung auf’s Spiel zu setzen. Da mag das Optionszeitenmodell eine Verbesserung im Verhältnis zur Gegenwart sein, warum aber nicht gleich es in die Hände des Einzelnen legen, wie viele Jahre das sein sollen nach seinem Dafürhalten? Denn solange Erwerbstätigkeit den normativen Vorrang erhält, muss man sich fragen, ob denn Optionszeiten dann wirklich attraktiv werden, denn sie bleiben eben eine Abweichung vom normativen Ideal. Gerade seit Einführung von Erziehungszeiten und Erziehungsgeld können wir beobachten, dass die Zeit für Sorge zuhause nicht zu-, sondern abgenommen hat (siehe Erwerbsquote und Betreuungsquote). Wenn Jurczyk auf die letzten beiden Familienberichte verweist, die schon mehr Zeit für Familie gefordert haben, vergisst sie jedoch zu erwähnen, dass dieselben Familienberichte im Ausbau der Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten das entscheidende Mittel zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen, ohne den Widerspruch zu thematisieren, der zwischen einer Ausweitung von Erwerbstätigkeit und einem stärkeren Engagement in Sorgetätigkeiten besteht.
Siehe unsere früheren Beiträge zur „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ hier.
Sascha Liebermann