Wer sich eingehender mit der Diskussion um den Sozialstaat befasst, wird bald auf Speenhamland stoßen, ein System der Mindesteinkommenssicherung im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Am ehesten vergleichbar war sie wohl mit einem Kombilohn. Kritikern des Sozialstaats dient Speenhamland als Beleg dafür, wozu eine stark in die Lohnbildung eingreifende Sozialpolitik führen könne. Manche sehen es als Vorläufer des seit einigen Jahren diskutierten Bedingungslosen Grundeinkommens ( siehe Wikidpedia deutsch/ englisch; siehe auch andere Betrachtungen hier und hier). Dieser Vergleich ist nicht haltbar. Darüber hinaus ist die Quellenlage zum Speenhamland-System schwieriger, als es seine Bekanntheit vor allem durch die Ausführungen Karl Polanyis in The Great Transformation erwarten lassen. Anlässlich einer Kommentierung des Abschnitts über das Bedingungslose Grundeinkommen im Buch von Jürgen Borchert, Sozialstaatsdämmerung, habe ich mich vor etwa einem Jahr über neuere Studien erkundigt und war auf einen aufschlussreichen Artikel von Fred Block und Margret Somers “In the Shadow of Speenhamland” (2003) gestoßen. Er sei hier zur Lektüre empfohlen.
Es ist in der Grundeinkommensdiskussion, bei Befürwürtern wie Kritikern, ein verbreitetes Phänomen, vermeintliche historische Vorläufer zu benennen, um die Kontinuität des Anliegens zu stärken bzw. es als ewige Hoffnung abzuwerten. Die meisten Vorläufer erweisen sich schnell als unvergleichbar mit dem, was wir heute diskutieren. Dennoch halten sich etliche schiefe Vergleiche, die der Diskussion zwar nicht abträglich sind, förderlich sind sie allerdings auch nicht.
Sascha Liebermann