„Haben Menschen von Natur aus ein Gefühl für Fairness?“…

…darüber berichtete ein Beitrag auf Telepolis, bei dem es sich um den Auszug aus einem Buch von Andreas von Westphalen handelt. Ohne nun geprüft zu haben, ob die Studienbefunde in dem Artikel angemessen wiedergegeben werden, ist eines doch etwas überraschend, hängt aber womöglich mit dem naturwissenschaftlich geprägten Design der Studien (häufig mit Bezug auf die Spieltheorie) zusammen, auf die der Autor sich bezieht. Wenn man, wie in manchen Studien (siehe unten von Kiley Hamlin und Kollegen), allzuschnell zu dem Schluss gelangt, dass Kinder „von Natur“ aus mit einem starken Gerechtigkeitsempfinden oder hier „einem Gefühl für Fairness“ ausgestattet seien, wird doch etwas Bedeutendes übersehen, das für eine andere Deutung spricht:

Kinder erfahren schon direkt nach der Geburt eine vorbehaltlose Zuwendung in der Regel durch ihre Eltern. Die Mütter sind durch die Schwangerschaft als Leiberfahrung schon sensibilisiert auf diese Herausforderung. Ab dem ersten Lebenstag machen Säuglinge also die Erfahrung einer zweckfreien Reziprozität (siehe z. B. hier und hier, gerade nicht in der Logik von Geben und Nehmen), in der sie als konkretes Gegenüber – so, wie sie sind – angenommen werden. Jede Äußerung des Kindes, die mit Zuwendung beantwortet wird (ganz gleich, was der Anlass für die Äußerung war), führt zu der Erfahrung, dass ein konkretes Gegenüber für den Säugling verlässlich da ist, seine Existenz also wertgeschätzt wird. Diese Zuwendung als Handeln ist sozial konstituiert, keine biologisch determinierte Leistung der Eltern, deswegen kann sie auch scheitern mit den entsprechenden Folgen für ein Kind, wenn z. B. die Zuwendung ambivalent ist, gegenläufige Botschaften an das Kind schickt und Vergleichbares. Hamlins Experiment lässt sich also so deuten, dass selbst bei Säuglingen im Alter zwischen 5 und 9 Monaten, diese Erfahrung so stabil ist, dass sie die verlässliche Zuwendung als „helper“-Erfahrung wahrnehmen, der die „hinderer“-Erfahrung kontrastiert.

Siehe auch diesen Artikel von Hamlin und Kollegen zu ihrer Forschung.

Sascha Liebermann