So ist ein Beitrag von Evgeny Morozov überschrieben, der in der Süddeutschen Zeitung erschien und sich damit beschäftigt, was wohl die Stimmen aus dem Silicon-Valley, die sich für das Bedingungslose Grundeinkommen aussprechen, zu besagen haben. Im englischen Original klingt der Titel allerdings ziemlich anders.
Morozov fragt sich, woher wohl die Begeisterung für das BGE komme, wenn dieselben Leute sonst eher die Ineffizienz des Sozialstaats beklagen. Das kann man allerdings auch tun, ohne marktwirtschaftlich zu argumentieren, wenn man schlicht die Frage stellt, ob der Sozialstaat heutigen Zuschnitt leisten kann, was er leisten sollte. Er schreibt z. B.:
„Das Grundeinkommen würde Tech-Firmen ein progressives, soziales Image geben, während sie den Weg frei machen zu weiteren Expansionen. Weg mit all den sozialstaatlichen Institutionen oder Gesetzen, die Arbeiterrechte garantieren! Schluss mit all dem Hinterfragen des Status quo, wem die Daten gehören oder die Infrastruktur, die diese Daten produziert.“
Dass manche diese Hoffnung haben, die Arbeitnehmerrechte könnten so beschnitten werden, leuchtet ein. Allerdings wird durch ein ausreichend hohes Grundeinkommen die Verhandlungsmacht etwaiger Mitarbeiter viel größer. Wohin sich das BGE entwickelt, hängt nicht vom Silicon Valley ab, sondern davon, was die Bürger haben wollen und für richtig halten.
Weiter schreibt Morozov:
„Der wahre Grund für dieses Engagement ist raffinierter: Sollten die Valley-Bosse scheitern bei dem Versuch, die Debatte um das Grundeinkommen selbst argumentativ abzustecken, könnten die Leute am Ende rausbekommen, dass das eigentliche Haupthindernis für die Umsetzung dieser radikalen Idee das Silicon Valley selber ist.“
Was meint er damit?
„Man vermeidet dadurch [durch das BGE laut Carlo Vercellone, Andrea Fumagalli und Stefano Lucarellis Theorie des kognitiven Kapitalismus, SL] strukturelle Instabilität – die unter anderem durch die steigende Prekarität der Arbeit und die stetig wachsende Einkommensungleichheit entsteht – und verbessert die Zirkulation von Ideen und deren innovativem Potenzial. Warum ist das so? Erstens kann man so alle für die Leistung entschädigen, die sie erbringen, während sie gar nicht im engeren Sinne arbeiten, eine Leistung, die im kognitiven Kapitalismus oft viel größeren Wert erzeugt als bezahlte Arbeit. Denken Sie an all die Uber-Fahrer, die nützliche Daten produzieren, was Uber dabei hilft, die Fahrzeugflotte immer noch genauer übers Stadtgebiet zu verteilen.“
Die Konzerne wollen also die Daten haben, die erzeugt werden und brauchen zugleich eine volkswirtschaftliche Stabilität durch Einkommenssicherung. Soweit, so gut.
„Zweitens: Viele Arbeit wird heute kollektiv geleistet – aber wissen Sie, wie Ihre individuelle Suche Google dabei hilft, Ihren Suchindex zu verbessern? Es ist meistens unmöglich, genau zu sagen, wie viel ein Einzelner zum endgültigen Produkt beigetragen hat. Ein Grundeinkommen trägt der Tatsache Rechnung, dass kognitive Arbeit oft im Kollektiv erbracht wird.“
Auch an dieser Überlegung ist wenig Erstaunliches, denn die Vorstellung, dass Leistung sich zurechnen lasse, war schon immer eine Illusion, weil Leistung immer auf verschiedenen Voraussetzungen ruht, die sie selbst nicht geschaffen hat: kulturelle Wissensbestände (Werkzeugerstellung und -gebrauch, Arbeitsabläufe, Rechtsverhältnisse usw.), sozialisatorische Entwicklung in Abhängigkeit vom familialen Milieu, in dem jemand aufwächst, seine Ausgangsbedingungen also usw. „Kognitive Arbeit“ ist davon nur die neuere Form und nur ein Ausschnitt davon.
„Zuletzt wird so garantiert, dass einige Produktivitätszugewinne, die Folge neuer Techniken und weiterer Rationalisierungsprozesse sind und die früher durch Mechanismen wie die Lohnindexierung weitergereicht wurden, immer noch weiterverteilt werden können, obwohl ja Tarifverhandlungen und andere Arbeiterrechte geschwächt wurden. Das könnte wiederum zu höheren Investitionen und Profiten führen, wovon auch wieder alle profitieren.“
Die Schwächung nach altem Maßstab ist zugleich eine Stärkung nach neuem, das schreibt er im letzten Satz ja selbst, wenn dann „wieder alle profitieren“.
„Die Ausführungen der Vertreter des kognitiven Kapitalismus für ein Grundeinkommen sind komplexer als meine grobe Zusammenfassung. Aber sie beinhalten zwei weitere Grundbedingungen: Der Wohlfahrtsstaat muss, in einer reformierten Form, überleben und sogar gestärkt werden – er ist eine der sozialen Schlüsselinstitutionen. Ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen geben uns erst die Freiheit, überhaupt kreativ zu sein.“
Ja.
„Zweitens braucht es eine fundamentale Steuerreform, um das Grundeinkommen zu finanzieren: Dafür müssen nicht nur finanzielle Transaktionen besteuert werden, sondern auch Instrumente wie Patente, eingetragene Warenzeichen und die Rechte an kollektiven Daten, Instrumente also, welche die optimale gesellschaftliche Nutzung von Wissen verhindern.
Diese radikale Interpretation des Grundeinkommens zeigt, dass das Silicon Valley nicht dessen wichtigster Fürsprecher, sondern dessen größter Feind ist. Die dort angesiedelten Firmen zahlen so wenig Steuern wie nur irgend möglich. Sie finden immer neue Wege, um den Nutzern ihre Daten abzuluchsen. Sie wollen den Wohlfahrtsstaat zerstören. Außerdem kolonisieren sie jedwede neue Spielart der sogenannten Sharing Economy und machen sie so doch wieder nur zu einer Ware.“
Von wem aber hängt es ab, dass diese Entwicklung, wie Morozov prognostiziert, auch eintritt?
„Man kann entweder für eine radikale Form des Grundeinkommens plädieren, bei der den Menschen frei steht, in welcher Form sie mitmachen wollen, da sie nicht mehr gezwungen wären zu arbeiten. Oder man kann den Plattformkapitalismus wollen, der jeden in einen prekären Unternehmer verwandeln möchte. Aber man kann nicht beides auf einmal haben.“
In der Tat ist das ein Unterschied, doch entscheidet nicht das Silicon Valley darüber, welche Gestalt das BGE annimmt, es sei denn, die politischen Gemeinschaften würden es ihm einfach überlassen. Das käme einer Selbstaufgabe gleich.
„Es wäre ein Leichtes für das Silicon Valley, die ersten Schritte in Richtung Grundeinkommen zu machen: Warum sollten wir, die Nutzer, nicht Besitzer unserer eigenen Daten werden? Das könnte uns auf jeden Fall schon mal dabei helfen, alternative, nicht-kommerzielle Anwendungen für sie zu finden. Wenn man es weiterdenkt, wäre ein Mechanismus möglich, durch den Städte, Verwaltungen und sogar Staaten, die momentan keine Chance haben, an all die Daten zu kommen, welche die großen Firmen horten, ihre Bürger für die Bereitstellung ihrer Daten durch eine Art Grundeinkommen entschädigen könnten, sei es nun direkt mit Geld oder indirekt durch die kostenlose Benutzung irgendwelcher Infrastrukturen wie des Nahverkehrs.“
Hier verkehrt Morozov nun selbst, worum es beim BGE geht. Es soll gerade keine Entschädigung für etwas sein, dass zuvor geleistet oder erlitten werden musste, auch nicht für die Bereitstellung von Daten, was letztlich das BGE wieder einer Bezahlung gleichstellt. Das BGE richtet sich ja an die Person um ihrer und des Gemeinwesens um seiner selbst willen.
„Das aber wird nicht geschehen, weil Daten der Trumpf sind, der das Silicon Valley unzerstörbar macht, und das wissen sie. Was wir stattdessen bekommen, ist das hohle Propagieren einer Agenda, die sie gleichzeitig mit aller Macht bekämpfen. Unsere Technik-Elite will uns glauben machen, dass die Regierungen genug Geld dafür aufbringen können. Aber wer wird am Ende dafür zahlen? Ganz bestimmt nicht die radikalen Valley-Mogule. Die ziehen es vor, ihr Geld offshore zu parken.“
Das klingt stark danach, sich selbst für ohnmächtig zu erklären, um dann auch ohnmächtig zu sein, eine Selbstentmündigung auf Umwegen. Wenn ein Gemeinwesen das zulässt, was Morozov prophezeit, muss es dafür auch die Verantwortung tragen.
Sascha Liebermann
P.S.: Siehe auch zwei Artikel zum BGE in der New York Times „A Plan in Case Robots Take the Jobs: Give Everyone a Paycheck“ und „A Future Without Jobs? Two Views of the Changing Work Force“.