Eine Verhöhnung sollte es werden, das ließ schon der Titel des Beitrages „Freibier für alle hilft den Durstigen nicht“, von Hans-Joachim Schabedoth in der Frankfurter Rundschau, erkennen. Das bedingungslose Grundeinkommen werde von seinen Befürwortern als Zauberwaffe präsentiert, ihr muß mit Verstand begegnet werden, heißt es in dem Beitrag. So geheimnisvoll stellt sich der Vorschlag allerdings gar nicht dar. Ausgefeilte Argumente und Begründungen liegen vor, weshalb bestimmte Effekte zu erwarten wären. Jeder kann diese Thesen anhand seiner Lebenserfahrung prüfen. Die schon im Titel erkennbare Verleumdung ist wohl eher Ausdruck von Verzweiflung angesichts der Resonanz, die das bGE mittlerweile erhält – gerade auch von seinen Gegnern (Horst Sieberts Beitrag in der FAZ vom 27. Juni, S. 12, liegt dieser Vortrag zugrunde. Siehe auch unseren Kommentar).
Aufgrund dieser Resonanz fühlen sich Gewerkschaftsvertreter offenbar als einsame Rufer in der Wüste, als stünden sie einem Millionenheer von Grundeinkommensbefürwortern gegenüber, gegen deren „Heilslehre“ und „Phantasterei“ (Michael Schlecht) sie ankämpfen müssen – mit dem gesunden Verstand. Daß Gewerkschaftsvertreter dies so wahrnehmen, ist für die Diskussion um ein bGE ein gutes Zeichen: je größer die aufgefahrenen Geschütze, desto gefährlicher der Feind.
Wer ist denn in der Übermacht angesichts der guten Organisiertheit der Gewerkschaften und der Millionen Euro, die für Kampagnen ausgegeben werden? Wer erhält denn problemlos Zugang zu Fernsehsendungen und Printmedien, um seine Thesen, Kritik und Kommentare zu verbreiten? Da waren und sind die Grundeinkommensbefürworter, wenn sich auch viel geändert hat, noch immer in einer anderen Lage. Wo ist die Übermacht, da von einer breiten Debatte noch gar keine Rede sein kann? – Die Übermacht, so kann aus dem scharfen Ton des Beitrags in der Frankfurter Rundschau geschlossen werden, ist wohl eher eine der Argumente: Argumente kann man leugnen, abwehren oder aufgreifen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Alles ist gleichermaßen Ausdruck dessen, daß sie man an ihnen nicht vorbeikommt.
Alleine schon, daß Herr Schabedoth das bedingungslose Grundeinkommen und den Vorschlag eines Bürgergeldes, wie ihn die FDP vertritt, in einen Topf wirft, offenbart mangelnde Sachkenntnis bzw. böswillige Verzerrung. Der Vorschlag der FDP sieht lediglich eine Zusammenfassung der Transferleistungen in einer Leistung vor, die Bedürftigkeitsprüfung wird aber beibehalten. Das bGE will diese ja gerade abschaffen – das weiß Herr Schabedoth, dennoch hält er beides nicht auseinander.
Es heißt dann: „Es geht den Gewerkschaften nicht um Stilllegungsprämien für Arbeitskräfte, sondern um die Integration aller Arbeitswilligen in das Erwerbssystem. Nicht zuletzt hat das etwas zu tun mit dem gewerkschaftlichen Verständnis von der Würde des Menschen“.
Hier wird ganz offensichtlich Menschenwürde mit Erwerbstätigenwürde verwechselt, aus dem politischen Bürger wird ein Arbeitsbürger. Denn ob der Einzelne, wenn es einmal ein bGE gäbe, der Auffassung wäre, daß seine Menschenwürde nur mit Erwerbsarbeit zu erhalten ist, das könnte ihm überlassen werden. Genau das allerdings, den Einzelnen entscheiden zu lassen, wollen die Gewerkschaften nicht.
Weiter: „Die pauschale Unterstützung von Nicht-Hilfebedürftigen geht prinzipiell zu Lasten jener, die aufgrund ihrer individuellen Bedarfs- und Lebenslage einer abgestimmten Unterstützung bedürfen“.
Ein Mythos, der nur dazu dient, die Bedürftigkeitsprüfung als Kontrolle aufrechtzuerhalten. Ein bGE schließt in keiner Weise aus, daß auch Sonderbedarfe gedeckt werden, denn nur dann ist die Würde des Menschen, nicht des Erwerbstätigen, gewahrt. Die Frage ist, welche Würde grundlegender ist? Für die bGE-Befürworter ist die Antwort eindeutig, denn Würde kann es nur geben, wo es Freiheit und Vertrauen in den Einzelnen, in die Bürger also, gibt.
Er fährt fort: „Die Finanzierungslasten eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle müßten die Summe aller eingesparten staatlichen Transferleistungen erheblich überschreiten, wenn das Grundeinkommen das Existenzminimum absichern soll“.
Auch das ist ein Mythos. Doch wer Haushalte als statische Größen betrachtet, muß dies so sehen. Hier wird die gestaltende Kraft, die ein bGE entfalten könnte, mit dem Taschenrechner bestimmt, statt sich die Wirkzusammenhänge vor Augen zu führen.
Und weiter: „Die Vorstellung, zusätzliche Gegenfinanzierungsmittel über eine drastische Erhöhung der Verbrauchsteuern einzunehmen, verrät unschwer die Absicht neuerlicher Umverteilung zu Lasten aller, die den größten Teil ihres Einkommens für den Konsum ausgeben müssen. Das Grundeinkommen, wie bei Götz W. Werner angelegt, ist im eigentlichen Sinne Nebenprodukt einer neuen Steuersystematik, die den Unternehmen und Vermögenden nützt und allen anderen schadet. (Paul Kirchhoff lässt grüßen!)“.
Da muß der alte Klassenfeind bemüht werden. Eine Auseinandersetzung mit Götz W. Werners bzw. Benediktus Hardorps Argumentation zeigt auf einfache Weise, wer heute bei aller Einkommenbesteuerung die Steuerlast trägt: der Verbraucher. Wenn von einer gerechten Verteilung der Lasten die Rede ist, dann muß auch betrachtet werden, was ein Steuersystem wie bewertet: Wollen wir die Nutzung von Geldmitteln für Investitionen, Schenkungen und Konsum zum Ausgangspunkt der Besteuerung machen oder die Verfügbarkeit über Geldeinkommen? Messen wir jemanden an seinem Handeln, was er also mit seinem Geld macht, oder daran, wieviel er hat? Die Konsumsteuer bewertet das Handeln, denn das ist für unser Gemeinwesen entscheidend.
Zum Schluß heißt es: „Die individuelle Entscheidung, nicht am Erwerbsleben teilhaben zu wollen, gehört nach dem Grundverständnis der Gewerkschaften – und wohl auch nach allgemeiner Auffassung der meisten Bürgerinnen und Bürger – nicht zu den Tatbeständen, die eine gesellschaftliche Unterstützungsleistung auslösen sollten“.
Und warum nicht? Etwa weil all die anderen Leistungen in Familie, Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement wertlos sind? Hier sollten die Gewerkschaften offen aussprechen, daß sie Erwerbsarbeitsfetischismus betreiben und dem Einzelnen nicht vertrauen, statt sich hinter allgemeinen Formeln zu verstecken.
Das Fazit, das Herr Schabedoth zieht, ist bezeichnend: „Das vorerst letzte gesellschaftliche Großexperiment, einen gesamten Staat als eine Art Beschäftigungsgesellschaft zu organisieren, ist bekanntermaßen gescheitert“. Genau, ließe sich ihm zustimmen, das will das bGE eben nicht, eine Erwerbstätigengesellschaft. Phänomenal ist die Verkehrung der Sachlage ins Gegenteil. Es sin
d doch die Gewerkschaften unter anderen, die genau diese Haltung nicht aufgeben wollen: das Gemeinwesen als Beschäftigten- und Beschäftigungsgesellschaft zu begreifen. Verkehrte Welt.
Sascha Liebermann