„Es geht um Würde und Anerkennung“ – oder doch nur um das Gegenteil davon?

Die Frage stellt sich, wenn man das Interview mit der Politologin Silja Häusermann liest, das Daniel Binswanger mit ihr für das Magazin Republik führte. Vor der nachstehend zitierten Passage geht es um „Bildung von Humankapital“, „Chancen“ und „Inklusion“ – alles nur bezogen auf den Arbeitsmarkt. Und dann kommt das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel. Binswanger fragt:

„Und das ehemalige Elektorat?
Die Industriearbeiterklasse spricht man mit sozialer Investitionspolitik eher weniger gut an, nicht zuletzt wegen ihres Fokus auf Bildung, Frauen und Kinder. Die heutige Dienstleistungsarbeiterklasse hingegen eher. Deshalb sehe ich soziale Investitionspolitik als inhaltlich und elektoral vielversprechend für die Linke. Das ist im Übrigen die exakte Antithese zum bedingungslosen Grundeinkommen. Es gibt ja Leute, welche so ein Grundeinkommen als die neue sozialdemokratische Vision sehen. Aus meiner Sicht wäre das die definitive Kapitulation.
Weil das Grundeinkommen das Gegenteil von Aktivierung ist?
Es ist das Gegenteil von Investition. Wenn eine sozialdemokratische Partei sich das bedingungslose Grundeinkommen auf die Fahne schreibt, dann hat sie vor dem Anspruch kapituliert, dass es für jeden Menschen einen Platz gibt in der gemeinsamen Produktion von Wohlstand.“

Das BGE als Kapitulation, das ist eine gerade unter sozialdemokratieaffinen Denkern verbreitete Haltung, die Bände spricht. Kapitulation wovor? Vor der Würde? Vor mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten jenseits von Erwerbstätigkeit? „Soziale Investitionspolitik“ und BGE stehen gar nicht gegeneinander, wenn man will, wenn man nicht will, dann schon. Das Nicht-Wollen resultiert aus einer Haltung, die eben alle in den Arbeitsmarkt leiten will, das bekennt Frau Häusermann ganz offen. Im Unterschied zur arbeitsmarktorientierten Investitionspolitik, in der Würde durch die Teilnahme am Arbeitsmarkt entsteht, von ihm letztlich abhängig ist, „investitiert“ das BGE in die Person um ihrer selbst willen und um des Gemeinwesens willen. Dazu muss jedoch jegliche Lenkungs- und Beaufsichtigungshaltung aufgegeben werden. Würde ist also gebunden, so Frau Häusermann, durch einen „Platz in der gemeinsamen Produktion von Wohlstand“? Unter welchen Bedingungen? Mit Sanktionsinstrumenten und Erwerbsverherrlichung? Sicher, wie sollte es anders möglich sein in dieser Vorstellung. Was bleibt von Würde und Anerkennung? Nichts von Erwerbstätigkeit Unabhängiges. Das BGE weist einen anderen Weg, der es mit der Würde ernst meint.

Sascha Liebermann