…das ist in den letzten Tagen häufiger zu vernehmen. Nicht nur berichtete die taz zweimal in diesem Sinne (Ulrike Hermann, Svenja Bergt), auch unter Grundeinkommensbefürwortern (z.B. hier) scheint diese Einschätzung vorzuherrschen. Wie kommt es zu diesem Eindruck?
Entstanden ist er wohl jüngst vor dem Hintergrund manch offen geäußerter Kritik, z. B. an „Global Change“ bzw. „Unternimm das jetzt“ (siehe auch die Stellungnahme von Ralph Boes) oder am Netzwerk Grundeinkommen. Aber auch zuvor schon wurde immer wieder einmal behauptet, die Unterschiedlichkeit der Vorschläge führte zu einer Zersplitterung der Befürworter. Kritiker haben ebenso regelmäßig den Vorschlag in der Vergangenheit abgetan, weil es doch gar keine Einigkeit bei den Befürwortern gäbe. Darauf reagierten manche Befürworter mit der Forderung, man müsste zusammenstehen. Doch, nur weil es Vorschläge unterschiedlicher Reichweite gibt, die das Grundeinkommen unterschiedlich hoch ansetzen oder gar unterschiedliche Zusatzforderungen aufstellen (z. B. Mindestlöhne und allgemeine Arbeitszeitreduzierung), kann von einer Spaltung der Bewegung oder wie es auch genannt werden mag, keine Rede sein. Das würde voraussetzen, es habe in diesen Fragen je Einigkeit gegeben – das war nie der Fall und ist auch nicht notwendig.
Tatsächlich spiegeln diese Unterschiede nur wider, was für eine Demokratie unerlässlich ist: Interessenvielfalt und offenen Streit im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung. Mehr nicht, es ist das Selbstverständlichste überhaupt und weder zu beklagen, noch zu überdecken.
Es mag überhaupt unglücklich sein, von einer Grundeinkommensbewegung zu sprechen, weil es zu sehr nach einem eingeschworenen Verein klingt, in dem sich selbst gegenseitig auf die Schulter geklopft wird und nach außen der Eindruck erhalten werden soll, es handele sich um ein Bündnis, das geschlossen zusammensteht. Das mögen manche so sehen und auch gut finden. Doch der gegenwärtige Stand der Grundeinkommensdiskussion samt der Anhörung von Susanne Wiest im Petitionsausschuss resultiert nicht aus einem solchen Zusammenhalten und Unterdrücken von Differenzen, sondern aus der vielfältigen, eben öffentlichen Diskussion um diese Differenzen mit guten Argumenten (man erinnere sich nur der Debatte um die Petition im Netzwerk Grundeinkommen). Erst sie machen sichtbar, was es mit unterschiedlichen Vorschlägen auf sich hat. Diese Vielfalt der Argumente entspricht der Vielfalt der Befüworter.
Unterschiedliche Perspektiven auf und unterschiedliche Vorstellungen von derselben Sache erfordern argumentativen Streit, um sich ein Bild machen, um sich ein Urteil bilden zu können. Wollte man uns Bürgern die Zumutung abnehmen, sich mit diesen Unterschieden auseinanderzusetzen, würde man uns die Aufgabe abnehmen, uns ein Urteil zu bilden. Das wäre der erste Schritt in die Unmündigkeit und gerade kein Erstarken, sondern das Erschwachen der Demokratie.
Sascha Liebermann