Wo über das Bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, ist das Schlagwort von einer Tätigkeitsgesellschaft nicht weit. Einige sehen im Grundeinkommen die Chance, die Erwerbszentrierung der Arbeitsgesellschaft zu überwinden. Endlich könnte die Vielfalt an Tätigkeiten, die für ein Gemeinwesen unerlässlich sind, anerkannt werden (z.B. hier, hier und hier). Überhaupt steht häufig das Tätigsein im Zentrum, drängen, so Befürworter, die Menschen doch ohnehin dazu. Dabei ist oft nicht klar, was das eine – das Bedingungslose Grundeinkommen – mit dem anderen – dem Tätigsein – zu tun hat, ob die Vorstellung von einer Tätigkeitsgesellschaft überhaupt hilfreich oder nicht eher missverständlich ist.
In seiner Stoßrichtung kann es der Diskussion indes auch einen Bärendienst leisten; denn seine Bedeutung gewinnt es gerade vor dem Hintergrund, die Arbeitsgesellschaft, nicht aber ihr Prinzip: das rege Tätigsein als gemeinschaftsstiftendes Moment überwinden zu wollen. Von der Verknüpfung des BGE mit der Vorstellung von einer Tätigkeitsgesellschaft ist es nicht allzu weit zum Konzept eines Participation Income (Anthony Atkinson), eines Mindesteinkommens, das von “participation”, Teilnahme, also einem Beitrag, abhängt. Damit wären wir keinen Schritt weiter, wir hätten sogar eher einen Rückschritt erreicht, weil lediglich die Leistungsbedingung für den Bezug eines Grundeinkommens ausgeweitet würde.
Von einer Tätigkeitsgesellschaft zu sprechen kann so noch als vorauseilende Antwort an die Kritiker des BGE verstanden werden, es solle durch ein BGE ja nicht dem untätigen Herumhängen gefrönt werden. Genau dieser Vorwurf ist auch immer wieder gegen unseren Slogan vorgebracht werden, er fördere eine Vorstellung davon, mit dem BGE das süße Nichtstun ermöglichen zu wollen. Von daher sei er für die Grundeinkommensdiskussion sogar schädlich. Offenbar bereitet die Vorstellung Unbehagen, es könne irgendwie suggeriert werden, dass wir nicht auf Engagement angewiesen sind. Zu betonen, dass es darum nicht gehe, ist also auch Ausdruck einer Unsicherheit. Sie scheint der Grund, weshalb manche meinen, dem Faulheitseinwand dürfe erst gar kein Angriffspunkt geboten werden. Indem wir aber etwas Selbstverständliches, jeden Tag Beobachtbares meinen versichern zu müssen, bieten wir doch gerade einen Angriffspunkt. Das Selbstverständliche herausheben muss doch nur, wer ihm nicht ganz vertraut. So lässt man sich auf einen Einwand ein, dem gar keine Evidenz zukommt, der nur in Vorurteilen gründet. Wer das Schlagwort von der Tätigkeitsgesellschaft bemüht, muss sich darüber im Klaren sein, dass er mehr will als die gegenwärtige politische Ordnung verlangt. Sie setzt einfach die Bereitschaft und den Willen der Bürger voraus, sich einzubringen. Wo das nicht geschieht, aber notwendig wäre, kann und sollte darüber öffentlich debattiert werden. Mehr Handhabe räumen wir aber auch heute dem Gemeinwesen gegenüber dem Individuum nicht ein. Wer vor diesem Freiraum sich fürchtet, dem müsste schon heute mulmig zumute sein.
Wie tief in unserem Selbstverständnis die Vorstellung verankert ist, das Tätigsein sei entscheidend, lässt sich sogar bei einem Denker, Ralf Dahrendorf, ausmachen, der dem Grundeinkommen einst den Status eines konstitutionellen Anrechts zuerkannt hat, also eines Anrechts, das keine Gegenleistungsbedingung mehr kennt. Dahrendorf hat sich zu Grundeinkommen und freiem Tätigsein schon 1986 geäußert und folgendes geschrieben (in: Befreiung von falscher Arbeit, hrsg. von Thomas Schmid, 1986, S. 132 f.; siehe auch Archiv Grundeinkommen):
…In der Tat hat ja die Erwerbsarbeit längst jene zentrale Stellung im Leben der meisten Menschen verloren, die die Rede von der Arbeitsgesellschaft rechtfertigte. Aus gutem Grund liegt etwas Schrilles in der unternehmerisch-gewerkschaftlichen Forderung, die Bedeutung der Erwerbsarbeit nur ja nicht geringzuschätzen. Das liegt quer zu den Entwicklungen eines Jahrhunderts, in dem im Namen der Erleichterung der Arbeit, auch der Befreiung von (»falscher«) Arbeit, das »Reich der Freiheit“ ständig ausgeweitet worden ist. Wir stehen möglicherweise an der Schwelle zu einer Gesellschaft, in der Erwerbsarbeit gegenüber Formen der freien Tätigkeit zurücktritt, in diesem Sinne am Ende der Arbeitsgesellschaft und am Beginn von so etwas wie der Tätigkeitsgesellschaft. Aber nur sehr privilegierte Gruppen – zum Beispiel mittelständische Jungakademiker mit Beamtenrechten – können aus dieser Tendenz so weitreichende Folgerungen ziehen wie sie zuweilen erörtert werden, also etwa behaupten, die Zeit sei gekommen, Arbeit und Einkommen grundsätzlich zu entkoppeln. Weniger Privilegierte wissen, daß Beruf und Erwerbsarbeit in mehrfacher Hinsicht unentbehrliche Elemente des sozialen Lebens geblieben sind:…
Dahrendorfs Ausführungen sind bemerkenswert in zweierlei Hinsicht. Zum einen lassen sie erkennen, wie weit zurück die Diskussion reicht, die wir heute führen, zum anderen allerdings können wir sie als Beleg dafür nehmen, wie ungenau, wenn nicht gar missverständlich argumentiert wurde und wird. In seiner Einschätzung der Stellung von Erwerbstätigkeit wirft Dahrendorf zwei Aspekte zusammen, die getrennt betrachtet und gewichtet werden müssen. Auf der einen Seite geht es vor allem um die voranschreitende tatsächliche und weiterhin mögliche Rückgewinnung von Lebenszeit durch die Nutzung von Automatisierungstechnologie. Steigende Produktivität erlaubt mehr Güter mit weniger menschlicher Arbeitskraft zu erzeugen, eine Entwicklung, die noch immer sich vollzieht. Dass Erwerbsarbeit angesichts eines größeren Umfangs aufzuwendender Arbeitsstunden auch relativ mehr Lebenszeit beanspruchte und trotz aller Fortschritte immer noch beansprucht, liegt auf der Hand. Die Fortwirkung dessen ist uns heute noch allzu bekannt, denn trotz gesunkenen Arbeitsvolumens in Jahresstunden hat Erwerbstätigkeit ihre normative Vorrangstellung behalten.
Dies bestimmt jedoch zu früheren Zeiten (sofern das allgemeine und gleiche Wahlrecht schon eingeführt war) wie auch heute nicht die Stellung des Einzeln im Gemeinwesen, denn dieser Status ist von Erwerbstätigkeit unabhängig. Dahrendorf, der zu den wenigen gehört, die das sonst sehen, überrascht hier mit diesem verengten Blick. Die außerordentliche Bedeutung, die Erwerbsarbeit zugemessen wird, steht ja durchaus im Widerspruch zur politischen Dimension des Gemeinwesens oder anders ausgedrückt: der Erwerbstätige bestreitet dem Staatsbürger seine Vorrangstellung – zumindest in unserem Selbstverständnis. Wenn Dahrendorf schreibt, Erwerbsarbeit sei ein “unentbehrliche[s] Element des sozialen Lebens geblieben”, widerspricht das gar nicht der Logik eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Das BGE relativiert lediglich die Stellung von Erwerbsarbeit zugunsten anderer Tätigkeiten, räumt der Anerkennung des Bürgers um seiner selbst willen den Platz ein, der ihr gebührt: Zweck um seiner selbst und des Gemeinwesens willen zu sein. Die Rede oder Selbstbezeichnung als Arbeitsgesellschaft geht schon lange an den grundlegenden Verhältnissen vorbei, das gilt für die Ausweitung zur Tätigkeitsgesellschaft genauso.
…– Es ist uns noch kein anderer Weg eingefallen, um die Wohlfahrtschancen einer entwickelten Gesellschaft und ihre (notwendige?) Differenzierung zu gewährleisten als der über Arbeitseinkommen. Das gilt übrigens noch für die Umverteilungselemente der Wohlfahrt, also die Lohnnebenkosten und den Sozialstaat.
Nun, das BGE ist ein alternativer Weg, der Einkommen aus Erwerbstätigkeit nicht abschaffen will, er stellt sie aber auf ein anderes Fundament. Hier klingt Dahrendorf so, als seien ihm die Auswirkungen eines BGE von der Wiege bis zur Bahre (wenn er denn von einem solchen spricht) nicht vor Augen.
– Es ist uns auch noch keine andere Basis für das Selbstbild und Selbstbewußtsein von Menschen eingefallen als die Berufsposition. Nicht zufällig wird noch die Emanzipation von Frauen an ihr festgemacht. Und wo es Ansätze zu anderen Pflöcken für das Selbstbild gibt – etwa sportliche Leistungen oder Errungenschaften der Freizeittätigkeit – haben diese meist eine verdächtige Ähnlichkeit mit der Arbeit…
Symptomatisch ist es nun, wie auch er die “Basis für das Selbstbild” wie eine ahistorische Größe behandelt, die einfach so da sei. Es ist nicht verwunderlich, wenn der Berufsposition angesichts der Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit eine so große Bedeutung zukommt und auch größere Teile der Frauenbewegung Emanzipation als eine hin zur Erwerbstätigkeit gedacht haben. Dahrendorf unterscheidet allerdings Beruf im Sinne von Berufung und Erwerb nicht. Sinnerfüllung im Beruf würde eben nicht mehr auf den Erwerbsberuf beschränkt, sondern auf alle Berufe als Berufung ausgeweitet. Das BGE führt eben deswegen auch zu einer Aufwertung durch Anerkennung aller Berufung. Auch für die Beispiele, die er hier nennt, würde das gelten, sie wären davon befreit, ihre Arbeitsähnlichkeit ausweisen zu müssen, um wertgeschätzt zu werden.
…- Es ist uns vor allem noch nicht gelungen, andere Prinzipien für die Strukturierung des Zeithaushalts von Menschen zu finden als die der Erwerbsarbeit. Wenn der Fixpunkt der Berufsarbeit fehlt, wissen Menschen oft nicht, woran sie ihren Tages-, Wochen-, Jahresplan festmachen sollen (am Fernsehprogramm?).
Wieder wirft er Erwerb und Beruf qua Berufung zusammen, sie ist jedoch ein Ergebnis der Verengung von Berufung auf Erwerbstätigkeit. Das könnte ein BGE gerade ändern. Auch ein Beruf jenseits von Erwerb kann selbstverständlich mit einer Zeitstruktur einhergehen, denn überall, wo Arbeitsteilung und Zusammenarbeit mit anderen erfolgt – das dürfte jedem geläufig sein, der sich bürgerschaftlich engagiert -, bedarf es der Organisation.
Wie ist es möglich, dass ein Denker die weitreichenden Auswirkungen eines BGE nicht erkennt, der doch selbst wichtige Argumente für es vorgebracht hat? Liegt der Grund für das Durcheinanderwerfen unterschiedlicher Aspekte womöglich darin, dass Dahrendorf letztlich die Anerkennung des Einzelnen nicht unabhängig vom Tätigsein sehen kann und aufgrund der Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit dazu auch keine Alternative sieht? Wer diese Verknüpfung für selbstverständlich und nicht überwindbar hält, muss am BGE zumindest zweifeln oder ihm gegenüber skeptisch sein. Das zeigt die anhaltende Debatte über Grundeinkommen in Gestalt der Einwände dagegen. Dabei läge eine andere Betrachtung auf der Hand. Sie drängt sich indes erst auf, wenn der Blick auf die Stellung der Bürger in der politischen Ordnung und damit auf das Fundament des Gemeinwesens gerichtet wird. Erst dort zeigt sich das vermeintlich Undenkbare als selbstverständliche Voraussetzung, deren wir offenbar nicht gewahr sind: die bedingungslose Anerkennung der Bürger als Souverän, wie sie in der bedingungslosen Verleihung der Staatsbürgerschaft zum Ausdruck kommt. Daran wird um so deutlicher, wie sehr unser sozialstaatliches Gefüge – samt aller gängigen Vorurteile – dieser Voraussetzung entgegensteht. Wir leben also in einem Widerspruch, den gerade ein BGE zu überwinden helfen könnte.
Sascha Liebermann