„…an das sich die Gesellschaft erst gewöhnen muss…“ – Interview mit Ralf Welter zum Grundeinkommen

Die Aachener Zeitung hat ein Interview mit Ralf Welter, Mitglied der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, veröffentlicht, die sich seit 2007 für ein Bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt (Grundeinkommensmodell der KAB Deutschland). Im Interview heißt es unter anderem:

„Welter: In der KAB habe ich einen Sozialverband gefunden, den ich mit dem Thema Grundeinkommen auf den Weg schicken konnte. Aachen war für die KAB der Ursprung für das Modell eines Grundeinkommens, seit 2007 steht auch der Bundesverband hinter dieser Forderung.“

Worin aber bestand das „Modell“ vor 2007? In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2003 klingt der Grundeinkommensvorschlag der KAB Aachen so:

„Jeder Mensch hat ein Recht auf gesicherte Existenz von Geburt an […] Kreis der Bezugsberechtigten: Jeder Mensch, der in Deutschland einer Tätigkeit im Sinne der „Triade der Arbeit“ [Erwerbsarbeit, Familie, Gemeinwesen – SL] nachgeht (es genügt, wenn er in einem Teil der Triade tätig ist), hat ein Recht auf Einkommen“ (in: Ralf Welter, Diözesanverband der KAB Aachen (Hrsg.), Solidarische Marktwirtschaft durch Grundeinkommen, Aachen: Shaker Verlag 2003, S. 218).

Und wenn nicht, dann gibt es kein Grundeinkommen?! Es handelte sich also nicht um ein BGE im heutigen Sinne, sondern um eine Art Participation Income, wie es etwa Anthony Atkinson in den neunziger Jahren vorgeschlug. Welter vertrat diese Position noch bei einer Veranstaltung mit der SPD Rhein Erft in 2006. Schnee von gestern, da die KAB und Welter ihre Position dazu geändert haben – das ist das Bemerkenswerte, das ohne Erwähnung bleibt. Um so interessanter ist eine andere Passage im Interview, denn sie zählt nicht zur Vergangenheit, sie entspricht dem Gegenwärtigen. Sie spricht etwas an, das in der BGE-Diskussion auch von Kritikern eingewandt wird, sich hier jedoch auf Befürworter-Seite wiederfindet:

Frage: „Sind Sie der Umsetzung denn schon ein Stück näher gekommen?
Welter: Ich würde die Einführung eines Grundeinkommens nie für morgen fordern. Geld allein macht keine besseren Menschen. Die Tätigkeitsgesellschaft ist ein schwieriges Modell, an das sich die Gesellschaft erst gewöhnen muss. Wichtig ist zu verstehen, dass ein Grundeinkommen nur ein Vehikel sein kann, um Lebenszeit neu aufzuteilen. Wir müssen das „nur“ abschaffen: „nur“ Hausfrau, „nur“ Teilzeit, „nur“ ehrenamtlich…“

Wieso etwas zurückweisen, das gegenwärtig unrealistisch ist? Eine morgige Einführung setzt entsprechende Mehrheitsverhältnisse voraus, die gibt es aber nicht. Wenn das also rein pragmatisch gedacht, unrealistisch ist, weshalb es noch zurückweisen? Welter geht es gar nicht um Mehrheitsverhältnisse, es geht um etwas anderes. Worauf will er hinaus? Ein BGE soll nicht zuallererst eine Absicherung schaffen, auf deren Basis der Einzelne darüber freier befinden kann, wohin er mit seinem Leben und wie er zum Gemeinwohl beitragen will. Eine solche Einführung wäre nämlich schlicht von Mehrheitsverhältnissen abhängig. Er macht eine weitere Voraussetzung: die Menschen sollen ja nicht nur mehr Möglichkeiten haben, sie sollen „besser“ werden, bessere Menschen sein, es geht also um Menschenerziehung. Mit dieser Vorstellung fällt er hinter jegliche demokratisch republikanische Ordnung zurück. Sie will nicht Menschen schaffen, sie setzt mündige Bürger voraus und überlässt es ihnen, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Dass wir mit dieser Haltung, die gleichwohl unsere politische Ordnung prägt, gewisse Probleme haben in unserem Land haben, kann niemanden überraschen. Die Bürger zuerst erziehen zu wollen, bevor ihnen Möglichkeiten in die Hand gegeben werden, ist verbreitet. So scheint es auch Ralph Welter zu sehen: Weil die „Gesellschaft“ noch nicht auf der Höhe dieses Zieles ist, muss sie sich erst an das „schwierige Modell“ gewöhnen. Wer entscheidet das? Mündigkeit auf Raten oder auf Probe? Erstaunlich wie selbstverständlich sich eine Haltung Bahn bricht, die die Voraussetzungen von Demokratie unterläuft und zugleich den Bürgern abspricht, selbst über ihr Leben befinden zu können. Dem fügen sich die beiden Schlusssätze: wer teilt auf, wer schafft ab? Weshalb abschaffen, dass jemand „nur“ eines davon tut?

[ Update 11.3.2014: Thomas Loer weist darauf hin, dass das „nur“, das Welter abschaffen will, anders gedeutet werden könnte. Nicht solle abgeschafft werden, „nur“ in einem Bereich tätig zu sein. Vielmehr gehe es darum, die degradierende Redeweise abzuschaffen, jemand sei „nur“ Hausfrau und nichts anderes.]

Weshalb es noch kein BGE in Deutschland gibt? Deswegen.

Sascha Liebermann