Vor einigen Tagen hatte ich die Gelegenheit, vor corpsstudentischen Alten Herren über das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen. Dabei machte ich Erfahrungen, die einiger Reflexion wert sind; es sei gleich betont, dass mir Teilnehmer der Veranstaltung in Gesprächen bei dieser Reflexion halfen… Es wurde dort deutlich, dass das Lebensalter mit der Einstellung zum Bedingungslosen Grundeinkommen korrelierte: Je älter die Herren waren, desto größer war die Abneigung, sich der Idee zu öffnen. Warum? Offensichtlich lag eine Haltung vor, die in gesteigerter Form in folgender Frage zum Ausdruck kam, die mir einmal bei anderer Gelegenheit entgegengehalten wurde: „Warum sollen meine Kinder es in ihrem Leben besser haben, als ich es in meinem hatte, und von den Entbehrungen, die ich erleiden musste, verschont bleiben?“
Diese Haltung erschien mir lange Zeit als zynisch und verbittert. Seit der Veranstaltung mit den Alten Herren aber ist mir deutlich geworden, dass sich da eine Angst bemerkbar macht: die Angst, dass die eigene Lebensleistung entwertet würde. Berechtigt die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens zu dieser Angst? Erklärbar ist sie doch nur, wenn die Lebensleistung an der Entbehrung, der sie abgerungen wurde, gemessen wird. Hinter der Verlustangst steckt eine Haltung, die Anerkennung einzig an mit Entbehrung verbundene Leistung koppelt. In der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens steckt nun eine bedingungslose Anerkennung; wenn man eine solche bedingungslose Anerkennung allerdings in seinem entbehrungsreichen Leben selbst nicht erfahren hat, wird man auf eine viel tiefergehende Entbehrung aufmerksam, die man durch Schaffen zu kompensieren suchte. Die Zukunftsangst angesichts der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens richtet sich also auf die Vergangenheit – so wie in der Zukunftsangst vieler, v.a. älterer DDR-Bürger nach der Wende die Angst vor der Entwertung des bisherigen Lebens zum Ausdruck kam.
Wie könnte dieser Angst begegnet werden? Wenn es gelänge, Anerkennung an das sachhaltige Ergebnis der Lebensleistung zu koppeln statt an die Entbehrungen, denen sie abgerungen wurde – dann nämlich könnte man die Möglichkeit der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens als auf eigener Leistung aufruhend würdigen, könnte ohne Angst um die Entwertung des eigenen Lebens ein besseres für die nachfolgenden Generationen begrüßen.
In einem als Einwand gegen das Bedingungslose Grundeinkommen gemeinten Einwurf eines erfolgreichen Unternehmers kam die gleiche Haltung zum Ausdruck: Er habe seinem Sohn, der ihn fragte, was Kommunismus sei, geantwortet: „Wenn du in einer Klassenarbeit eine 1 bekommst und dein Banknachbar eine 6, dann wird der Durchschnitt ermittelt und ihr bekommt beide eine 3,5.“ Worauf der Sohn gesagt habe: „Toll, dann brauche ich mich ja nicht mehr anzustrengen.“ An dem armseligen Verständnis von schulischer Bildung, das hier zum Ausdruck kommt, ist die Schule gewiss nicht unschuldig (s. etwa zur Schulpflicht), gleichwohl hängt es auch mit dem oben angesprochenen Verständnis von Leistung zusammen: Leistung vollbringt nur derjenige, der sich quält – und er vollbringt sie nur, wenn er einen entsprechenden Anreiz in Form von guten Noten oder von Einkommen hat. Dass ein Jugendlicher sich aus Neugier einer Sache widmet, dass er etwas lernen will, weil es ihn interessiert, wird im nicht nur von der Schule ausgetrieben, sondern hier vom Vater auch gar nicht zugetraut. Warum? Darin kommt ein Menschenbild zum Ausdruck, das seine wissenschaftliche Entsprechung im Begriff des Homo Oeconomicus hat (s. dazu folgenden Vortrag). Wenn aber nun das eigene Leben als von Anreizen gesteuert gedeutet wird, dann ist ein anderes Menschenbild, das von einem selbsttätig Sinn schaffenden und freimütig gestaltenden Menschen ausgeht, wiederum eine Bedrohung: Das eigene Leben droht auf ein sinnloses Rennen im Hamsterrad reduziert zu werden.
Wieder aber ist es ein Wechsel der Perspektive, ein Wechsel, der den Blick weg von den Entbehrungen auf das sachhaltige Ergebnis der Lebensleistung lenkt, der hier helfen kann. Was ich geschaffen habe, darauf können meine Kinder und folgende Generationen aufbauen, sie können es als Startkapital begreifen – und stolz sein darauf, dass ausgehend von der eigenen Lebensleistung die nachfolgenden Generationen in ihre Zukunft aufbrechen können.
Begreift man das Bedingungslose Grundeikommen diesem Sinne als Universalisierung eines Startkapitals (als „capital de départ“ bezeichnete mir gegenüber einmal Frère Maxime in Taizé das Bedingungslose Grundeinkommen), dann stellt es eine Würdigung der Lebensleistung – nicht nur Alter Herren, sondern aller vorhergehenden Generationen – dar, die man sich umfassender kaum vorstellen kann.
Thomas Loer