Ein „sinnsuchendes Wesen“ benötigt kein „aktivierendes Instrument“,…

…sondern eines, das seine Suche nicht behindert, deswegen ist ein BGE eine dieser Eigenheit angemessene Einkommensabsicherung.  Es war und ist ein Kennzeichen der bisherigen Sozialpolitik auf Aktivierung (oder auf „Anreize“) zu setzen, weil davon ausgegangen wird, dass Bürger von sich aus nicht aktiv sind – und was heißt schon „aktiv“. Wenn die Sozialpolitik Initiative hemmt, es an ihr aber grundsätzlich nicht mangelt, ist das kein Problem der Bürger, sondern eines der Sozialpolitik.

Welche Verdrehungen in dieser Hinsicht die öffentliche Diskussion bestimmen, konnte man kürzlich wieder bei der Hans-Böckler-Stiftung erfahren, für die Erwerbsintegration ganz oben steht.

Sascha Liebermann

Paternalismus nein, Anreize ja – Verhaltensänderungen als Ziel…

…eine treffende Anmerkung von Sebastian Thieme.

Was „Nudges“ betrifft, so scheinen sie mir überschätzt oder ihre etwaige Wirkung unzureichend erklärt, denn letztlich sind sie – wie „Anreize“ auch – nur Handlungsmöglichkeiten, deren etwaige Wirkung nicht durch die Möglichkeiten selbst erklärt werden kann, was in differenzierten Abhandlungen dazu durchaus so gesehen wird. In der öffentlichen, aber auch fachwissenschaftlichen Diskussion wird der Begriff überwiegend verkürzt, krude im Sinne der Außenlenkung von Handeln und teils widersprüchlich verwendet.

Als Lesehinweis sei hier auf einen Aufsatz von Deci und Ryan hingewiesen (deutsche Übersetzung), in dem es um Handlungsmotivierung geht, der eine vergleichsweise differenzierte Erklärung bietet.

Sascha Liebermann

Nachdem nun die Fehlberechnungen pulverisiert wurden, bleiben wieder nur die Anreize,…

…vollkommen empirielos wird von dem Unionsverband etwas behauptet, von dem sogar die Auswertung der Bundesagentur für Arbeit erkennen lässt, dass es der geringste Teil an Leistungsbeziehern ist, den sie nicht erreicht mit ihren Maßnahmen (sofern das messbar ist, denn diejenigen, die ihren Anspruch nicht abrufen, werden nicht erfasst):

Sicher, man kann die Pflege von Vorurteilen gegen die Realität betreiben, nur wohin führt das? Geht man einen Schritt weiter und fragt, was denn hinter Verweigerung steckt bzw. ob wohl Personen, die sich verweigern, hilfreiche Mitarbeiter in Organisationen sein könnten, müsste man schon entsprechende Schlüsse ziehen. Dass Verweigerung auch etwas mit dem Druck zu tun haben könnte, der ausgeübt wird, kommt gar nicht in den Sinn. Noch abwegiger scheint der Gedanke, dass das Existenzminimum ohnehin vorbehaltlos zur Verfügung stehen sollte, wie BGE Eisenach deutlich macht, das Gemeinwesen eines der Bürger ist und diejenigen, die ihren Lebensmittelpunkt haben, gleichbehandelt werden sollten in dieser Hinsicht. Als würden sich Bürger von einer verfügbaren Absicherung zu etwas bewegen lassen, was sie nicht wollen, sie haben viele Gründe, Leistungen zu beziehen, die mit Verweigerung gar nichts zu tun haben. Aber was schert das schon den Unionsverband.

Sascha Liebermann

Worum geht es bei der „Armutsfalle“?

Diese Frage wurde mir gestellt und zugleich darum gebeten, ob ich das kurz erläutern könne, da ich seit Jahren auf Forschungsergebnisse hinweise, die gezeigt haben, dass das „Theorem der Armutsfalle“, wie es Georg Vobruba einst bezeichnete, haltlos ist oder besser ausgedrückt: das worum es geht, wäre viel differenzierter zu betrachten. Da Vobruba den Kern der Sache gut auf den Punkt gebracht hat, sei er zitiert. In einem Kurzinterview aus dem Jahr 2003, das nach der Veröffentlichung der Studie zur Armutsfalle geführt, wurde, sagte er dazu folgendes:

„In der Standardökonomie wird die These von der Armutsfalle vertreten, die bedeutet: Wenn der Abstand zwischen Lohnersatzleistung und dem alternativ erzielbaren Lohn nicht groß genug ist – wobei man nie genau weiß, wie viel groß genug ist – dann bleiben die Leute in Sozialleistungsbezug bzw. Sozialhilfe und stehen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Wenn dies wirklich so ist, so unsere Überlegung, dann müssten die individuellen Sozialhilfebezugsdauern sehr, sehr lang, virtuell unbegrenzt lang sein. Das ist die logische Schlussfolgerung. An dieser Stelle hören viele einfach mit dem Denken auf und sagen: So ist das […] Dass man zeigen kann – an einem schönen, forschungstechnisch überschaubaren und wichtigen Teilgebiet wie dem „Theorem der Armutsfalle“ -, dass sich Anreizstrukturen nicht eins zu eins in Handeln umsetzen. Dass eben Menschen über eine eigene Rationalität verfügen und dass all jene Theorieansätze, die Handeln auf irgendeine Schmalspurrationalität zurückführen, im Ansatz verkehrt sind. Will man wissen, wie Menschen handeln, muss man sie anschauen und ihnen nicht irgendwelche Handlungslogiken wie Kuckuckseier unterschieben. Das allerdings wird gern gemacht, in der Ökonomie sowieso und bei den Sozialwissenschaften gibt es auch gewisse Tendenzen.“

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Man könnte auch einfach auf die Bereitschaft setzen…

…und wo sie nicht besteht, davon ausgehen, dass es dafür gute Gründe gibt (siehe hier). Dann müsste man nicht etwas über den grünen Klee loben, das nur eine Verbesserung innerhalb des bestehenden Systems mit sich bringt, ohne Sanktionen aufzugeben. Auch „Anreize“ sprechen dem Einzelnen zuerst einmal ab, von sich aus bereit zu sein, „Anreize“ sollen ja mehr sein als ein Angebot, es sei denn, hier sollen sie einfach für „Möglichkeiten“ stehen, das sollte man dann besser sagen. Denn Angebote können ausgeschlagen werden.

Sascha Liebermann

Realitätsfremde Vorstellungen – was können wir uns nicht leisten?

Die CDU hatte in jüngerer Zeit schon in verschiedenen Pressemitteilungen das Schreckgespenst an die Wand gemalt, siehe hier. Da scheint es eben ans Eingemachte zu gehen, wenn solche Entstellungen des Bürgergeldes stattfinden, das weder „Mitwirkungspflichten“ aufgeben noch Sanktionen abschaffen will. Müsste man sich nicht eher fragen, ob wir uns diese realitätsfremde Vorstellung leisten können, Menschen bräuchten „Anreize“ (siehe auch hier), um sich einzubringen? Das Grundgesetz kennt keine „Anreize“ für den Bürgerstatus, für unbezahlte Arbeit winken auch keine oder es wird damit etwas ganz anderes gemeint. Eine Demokratie, die mit „Anreizen“ locken würde (siehe hier und hier), wäre schon verloren, sie untergrübe die Bindungskräfte, die ein demokratisches Gemeinwesen benötigt. Wo sie in Frage stehen, gibt es einzig einen Weg: öffentliche Debatte auf der Basis von Argumenten und Wahlverfahren.

Sascha Liebermann

Soziokulturelles Existenzminimum, Mitwirkungspflichten und Boni-Systeme

Sebastian Thieme hat in diesem Twitter-Thread bedenkenswerte Anmerkungen zu Sanktionen im Sozialgesetzbuch und dem diesbezüglich ambivalenten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gemacht. An manchen Stellen scheinen mir Ergänzungen oder auch Nachfragen dazu angebracht.

Dass es eine Widersinnigkeit sei, das soziokulturelle Existenzminimum kürzen zu dürfen, dem sei hier nicht widersprochen, schließlich wird der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, der sich aus derselben Begründung legitimiert, auch nicht bei abweichendem Verhalten gekürzt. Darin kommt nun wieder die Ungleichbehandlung zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen zum Ausdruck.

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„Arbeitslosigkeit ist kein Anreizproblem“…

…so der Titel eines Interviews mit Barbara Prainsack in der Wiener Zeitung.

Auf die erste Frage antwortet Frau Prainsack, dass ein reiches Land eine „moralische Verpflichtung“ habe, ein „ausreichendes Einkommen für ein würdevolles Leben zu garantieren“. Woraus aber erwächst diese Verpflichtung genau und was lässt aus einer abstrakten Verpflichtung eine gemeinschaftliche Aufgabe werden, wäre hier zu fragen?

Man kann in diesem Zusammenhang auf die „Menschenrechte“ verweisen, das wäre allerdings abstrakt, denn zumindest die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen tut sich damit schwer, sie hebt zwar ein „Recht auf Arbeit“ (Art. 23) hervor, nicht aber ein Recht auf Einkommen. Davon abgesehen hilft eine Erklärung nicht weiter, solange sich ein Gemeinwesen nicht nur zu ihr bekennt, sondern diese Vorstellung von Rechten auch als etwas betrachtet, dass zu ihrem Selbstverständnis gehört und seinen Sozialstaat entsprechend gestaltet. Damit es soweit kommt, bedarf es eines bestimmten Verständnisses davon, welche Stellung der Bürger in der politischen Ordnung hat, denn erst wenn sich dazu bekannt wird, dass die Bürger die Ordnung auch tragen (müssen), kann Nicht-Bürgern ebenso ein solches Einkommen bereitgestellt werden, weil die Loyalität ersterer unerlässlich, die letzterer in keiner Form verlangt werden kann. Insofern läge es also viel näher und würde der Verfasstheit von Demokratien entsprechen, ein BGE aus der politischen Ordnung und der Stellung der Bürger in ihr abzuleiten. Dass dann auch Nicht-Staatsbürger ein BGE erhalten, folgte aus dem Verständnis personaler Würde.

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„Anreize“ können differenziert betrachtet oder als Joker für die verschiedensten Dinge genutzt werden,…

…in jedem Fall ist die Begrifflichkeit ungenau und verwirrend, in der Diskussion über Leistungsbereitschaft bzw. Leistungserstellung gehört sie zur etablierten Terminologie. Überwiegend werden sie in der im Titel  letzteren Version verwendet, wie man schon daran sehen kann, dass aus der Höhe z. B. des Arbeitslosengeldes auf eine nahezu direkte Wirkung auf die Leistungsbereitschaft von Arbeitslosengeldbeziehern geschlossen wird. Selbst wenn eingeräumt wird, dass die Zusammenhänge komplexer sind, mehrdimensional oder gar die Lohnhöhe für nachrangig gehalten wird, wird dennoch am Gebrauch des Begriffes festgehalten (kürzlich z. B. als es um das Bürgergeld ging, siehe auch hier). Walter Edelmann hat schon vor vielen Jahren dargelegt, dass ihn erstaunt, wie wenig Bedeutung intrinsischer Motivation beigemessen wird und hat dies bei Lehramtsstudenten festgestellt. Diese Grafik aus einem seiner Kurzbeiträge ist interessant, weil der „Anreiz“ hier auf die Seite des Intrinsischen verlegt wird, vollkommen konträr zum verbreiteten Gebrauch:

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Wirtschaftsdienst Zeitgespräch „Von Hartz IV zum Bürgergeld“ – Annahmen und Engführungen

Das Zeitgespräch hatte ein bestimmtes Thema, von daher mag es nahegelegen haben, dazu beinahe ausschließlich Ökonomen einzuladen, deren Kurz-Vorträge zuvor schon auf der Website des Veranstalters als Beitrag erschienen waren. Eine fachliche Ausnahme bildete Michael Opielka, der gemeinsam mit Wolfgang Strengmann-Kuhn vortrug. Im Video des Veranstalters, das in der nächsten Woche veröffentlicht werden soll, ist, so steht zu hoffen, auch die Diskussion enthalten, die Gelegenheit zu Rückfragen und Klärungen gab. Ich möchte an dieser Stelle wenige Anmerkungen zu den Vorträgen und der Diskussion machen.

Zuerst einmal wurde in der Veranstaltung deutlich, wie mühsam und kleinteilig sozialpolitische Diskussionen sein können. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob sie von einer eher politikberatenden Warte geführt oder grundsätzliche Fragen gestellt werden, die gleichwohl für Politikberatung ebenfalls relevant sind. Ersteres umfasst Vorschläge, wie im bestehenden Gefüge angesetzt werden könnte, um Veränderungen zu erreichen, verbleibt aber im Gefüge des Bestehenden. Hier gilt es allerhand zu berücksichtigen. Große Bedeutung hat es dabei, welche Auswirkungen Veränderungen wiederum haben könnten, z. B. dass mehr Personen in den Grundsicherungsbezug eintreten, welche „Anreize“ wünschenswert seien und welche nicht. Zweiteres, also die grundsätzlichen Fragen, richtet sich darauf, die Annahmen, auf denen das bestehende Gefüge beruht, zu hinterfragen, die in der Debatte bislang eher als gesetzt gelten – so auch überwiegend in dieser Runde. Solche Fragen richten sich darauf, warum Menschen so handeln, wie sie handeln und ob die Gründe nicht differenzierter sind, als in der Debatte angenommen.

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