Leistungs versus Beschäftigung

Siehe unseren gestrigen Beitrag hier.

„Das Ziel muss sein, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeitet“…

…so ist ein Interview mit Christian Lindner in der Stuttgarter Zeitung überschrieben. Man ahnt schon, worauf es hinauslaufen wird. Es geht um viele Themen in diesem Gespräch, als er auf Erfahrungen mit
dem Bürgergeld angesprochen wird, sagt er:

„Dass der Berechnungsmodus für den Regelsatz Probleme aufwirft, ist bekannt. Die Bürgergelderhöhung ist in diesem Jahr zu hoch ausgefallen, dafür wird es im nächsten eine Nullrunde geben. Entscheidend ist aber: Wir müssen mehr Druck aufbauen, wenn sich Menschen weigern, zumutbare Arbeit aufzunehmen.“

In Kontrast dazu lese man dieses Interview hier. Es wird nicht nach den Gründen gefragt, weshalb jemand kein Stellenangebot annimmt bzw. keines sucht. Um zu verstehen, was das Problem ist, muss man danach aber fragen und nicht einfach behaupten, dass das es zu wenig „Druck“ gebe. Aber wen interessieren die Gründe schon. Niemandem ist geholfen, wenn jemand aus dem Leistungsbezug gedrängt wird, ohne in der dann aufgenommen Erwerbstätigkeit auch erfolgreich sich einzubringen. Es wird Beschäftigung mit Leistung verwechselt, ein verbreitetes Phänomen:

Wir brauchen ohne Wenn und Aber weitere Verschärfungen bei den Sanktionen. Der Staat muss alles tun, damit zumutbare Arbeit auch tatsächlich aufgenommen wird. Da ist noch Luft nach oben. Wenn wir Menschen verpflichten, Ein-Euro-Jobs zu übernehmen, wird es unattraktiver, sich aufs Bürgergeld zu verlassen. Und: Wir müssen die Erfahrungen mit dem Job-Turbo für die Flüchtlinge aus der Ukraine genau auswerten. Das, was da erfolgreich ist, müssen wir auf alle ausweiten.“

Wer würde schon dagegen plädieren, die Vermittlungsbemühen der Arbeitsagenturen verbessern zu wollen, doch Illusionen zu nähren, ist keine Lösung.

Sascha Liebermann

Erwerbsbeteiligung Alleinerziehender nicht rückläufig und Reaktionen auf die „Anreiz“-Keule…

…, gut, dass hier gegen anscheinend unhaltbare Behauptungen entsprechende Daten genutzt werden. Drastischer fällt die Stellungnahme aus, die sich gegen die Verunglimpfung Alleinerziehender wendet. Dabei geht es um diese Äußerung:

„Wir wollen einerseits die materielle Situation Alleinerziehender verbessern, aber andererseits nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen. Es ist ja eine beklagenswerte Tatsache, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist. Also weniger Erwerbsbeteiligung bei Alleinerziehenden während des vergangenen Jahrzehnts. Da dürfen wir kein Signal setzen, dass das verfestigt.“

Der Finanzminister bleibt sich damit treu, wenn man das so sagen kann. Zu „Anreizen“ siehe hier.

Sascha Liebermann

„Respekt zollen“?

Es reichte vollkommen aus, schlicht einmal anzuerkennen, dass dieses Bestreben als selbverständlich gelten kann und – wie etliche Studien schon berichtet haben – keineswegs ungewöhnlich ist. Nur wenn man der Auffassung ist, es sei eine besondere Leistung, den Grundsicherungsbezug verlassen zu wollen bzw. durch einen Zuverdienst ergänzen zu wollen, kann man auf den Gedanken kommen, es müsse „Respekt“ gezollt werden. Apropos: diejenigen, die keinen solchen Zuverdienst anstreben, haben dafür gute Gründe, auch das ist bekannt (siehe z. B. schon in dieser Untersuchung). Statt „Respekt [zu] zollen“ wäre schon viel gewonnen, wenn Klischees bzw. Vorurteile nicht weiter gepflegt würden.

„Zuverdienstmöglichkeiten“ –  diese Diskussion wäre mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen von gestern, aber das scheint für die ach so leistungsorientierte FDP nicht relevant zu sein.

Sascha Liebermann

FDP hält den Freiheitsbegriff paternalistisch hoch und ist zugleich Dahrendorfvergessen…

…denn er hat gerade ein garantiertes Grundeinkommen mit dem Freiheitsverständnis der Demokratie in Verbindung gebracht, es als Notwendigkeit betrachtet und es nicht als steuertechnische Frage betrachten wollen. Grundeinkommen als „konstitutionelles Anrecht“ war seine Haltung dazu. Weitere Beiträge zu Dahrendorfs Äußerungen finden Sie hier. Christian Lindners Freiheitsverständnis finden Sie hier und hier.

Was ein BGE für Bildung leisten könnte, siehe dazu hier, hier, hier und hier.

Sascha Liebermann

„Aus Liebe zur Freiheit“ – wenn es aber ernst wird mit Freiheit, äußert sich Christian Lindner paternalistisch…

…so z. B. allzu deutlich hier, hier und hier.

Es verwundert, dass Unternehmer gegen die Verherrlichung von Erwerbstätigkeit, gegen ihre Umwertung zum Selbstzweck, nicht deutlich das Wort ergreifen, sieht man einmal von selten Äußerungen wie derjenigen Götz W. Werners ab. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung (siehe auch hier) sagte er:

[Stuttgarter Zeitung]“Wäre es nicht Ihre vornehmste Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen?

[Götz W. Werner] Ich muss wirklich sagen, dass ich dieses Gerede von der Schaffung neuer Arbeitsplätze langsam nicht mehr hören kann. Warum wird dem so wenig widersprochen? Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen.“

Stattdessen äußern sich Unternehmer bzw. Unternehmensverbandsvertreter nicht selten genau in die andere Richtung, siehe hier und hier. Ein BGE würde hier, weil es Wertschöpfung und nicht Arbeitsplätze als Zweck des Wirtschaftens betont, manches geraderücken.

Sascha Liebermann

Man könnte die „Menschen“ auch einfach machen lassen – dazu bedarf es aber einer verlässlichen Basis

Dass Christian Lindner den „Menschen“ bislang gar nicht so viel zugetraut hat, siehe hier.

Das wäre dann eigentlich die Konsequenz, wenn die FDP es ernst meinte…

…aber schon vor vielen Jahren hat sich Christian Lindner widersprüchlich geäußert und die Konsequenzen aus seinem „Menschenbild“ nicht gezogen, siehe hier.

Sascha Liebermann

„Mehr als ein sperriges Wort – das bedingungslose Grundeinkommen“…

…ein Podcast in HR 2 Der Tag. Darin werden verschiedene Kurzinterviews geführt, u. a. auch mit Marcel Fratzscher, der ja bislang gegen ein BGE war, mit Gerhard Bosch (er hält nichts von einem BGE, siehe auch hier; Bosch macht wieder die Bruttokostenrechnung, „Geld verteilen an Leute, die es gar nicht brauchen“ – erwähnt nicht einmal den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, „Freibier für alle“); Peter Altmaier meint, die Menschen ermuntern zu müssen; Christian Lindner hält ein BGE für eine Stilllegungsprämie; Stefan Sell hat Sympathien für ein BGE, sieht aber auch die Herausforderungen des Umbaus angesichts eines differenzierten Sozialstaats, die alten Systeme könnten nicht von heute auf morgen auf Null gestellt werden, er sieht einen etwaigen „Zuwanderungsdruck“. Bedenkenswerte Einwände, keineswegs neu und dennoch auch in vielerlei Hinsicht keine, die mit einem BGE erst relevant wären, sie sind es schon heute.

Da auch in jüngerer Zeit immer wieder einmal das Attribut bedingungslos missverstanden wird, manche versuchen mit der Unterscheidung bedingungs- vs. voraussetzungslos eine Klärung zu erreichen, das scheint mir auch nicht auszureichen. Deswegen hier und hier zwei Erläuterungen, worauf sich in der deutschen Diskussion von Anbeginn das Attribut bezog.

Sascha Liebermann