„Die Bedeutung des Erwerbsarbeitsparadigmas bei jungen Erwachsenen…

… Sequenzanalytische Rekonstruktionen von Deutungsmustern zu Erwerbsarbeit in der Generation der 1985 bis 1995 Geborenen“.

Diese von Andreas Zäh verfasste Dissertation, die kürzlich erschienen ist, ist für die gegenwärtige Diskussion um „Fördern und Fordern“, schärfere Sanktionen und das Leistungsverständnis im Allgemeinen sehr aufschlussreich, weil sie aufzeigt, wie in der untersuchten Generation das Verständnis von Leistung sich ausgeformt hat. Die Entleerung des Leistungsverständnisses wird in den Analysen eindrücklich herausgearbeitet und wirft Folgefragen auf. Wie ist es möglich, dass auf der einen Seite Leistung einen enormen Stellenwert hat, der Bezug zur Sachhaltigkeit der Leistung aber in den Interviews nicht zu erkennen ist, man eher von einer Leistungsinszenierung sprechen könnte? Welche Folgen hat dies, wenn Leistung von ihrem Sachbezug befreit wird, für ein Gemeinwesen und dessen Selbstverständnis? Man beachte hierbei, dass diese Entwicklung eine Generation betrifft, die mit der Debatte um „Hartz IV“ und „beinahe jede Arbeit ist besser als keine“ aufgewachsen ist, in der Beschäftigung entscheidend war, nicht aber, ob diese zur Wertschöpfung auch notwendig ist. Wie die jüngere Diskussion um das Bürgergeld gezeigt hat, hat sich daran nichts verändert, man könnte auch sagen, „Hartz IV“ feiere Urständ. Nicht selten wird die Neuausrichtung des Bürgergeldes ja auch damit begründet, Leistung wieder mehr Gewicht geben zu wollen, aber welcher Form von Leistung, dem Geschäftigsein, der Leistungsinszenierung oder geht es wirklich um ein sachhaltiges Verständnis davon, eines das an Problemlösung interessiert ist? Wenn letzteres gelten sollte, geht die Diskussion samt ihrer Vorschläge in die grundlegend falsch Richtung.

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Sascha Liebermann

„Es würde funktionieren“…

…so ist ein Interview mit Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei dm, in der Frankfurter Rundschau übertitelt. Interessant sind manche Überlegungen besonders im Kontrast zu gängigen Äußerungen in der Diskussion um Bürgergeld und Bedingungsloses Grundeinkommen.

An einer Stelle hebt Werner heraus, dass ein BGE eben – anders als beim Bürgergeld – immer zusätzliches Einkommen wäre. Daraus folgte dann, dass Diskussion um eine Transferentzugsrate erledigt wäre. Zugleich geht er mit der Möglichkeit, sich nicht einzubringen, gelassen um:

„Die meisten Menschen wollen arbeiten – nicht aus Zwang, sondern weil sie sich darin ausdrücken können. Es gibt natürlich auch einige, die nicht arbeiten wollen, aber es sind sehr wenige und damit kann eine Gesellschaft umgehen. Wichtiger ist, dass Menschen nicht mehr nur arbeiten, um sich abzusichern, sondern weil sie ihre Tätigkeit als sinnvoll erachten und damit zur Exzellenz bringen wollen.“

Diese Dimension, sich in der Arbeit – hier wohl nur Erwerbsarbeit – ausdrücken zu können, sich zum Ausdruck zu bringen, wird von denjenigen, die nur die Lohnanreizwippensimulation benutzen, nicht berücksichtigt. Wer andere Dimensionen für mindestens gleichrangig erachtet, wird schnell als Gutmensch, Idealist oder weltfremder Humanist betrachtet. Darüber hinaus sieht Werner keine Gefahr darin, wenn sich nun wenige ganz verweigern würden, er hebt sogar heraus, wie sehr ein BGE die Leistungsorientierung unterstützen würde.

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„Das ist nicht akzeptabel“,…

…darüber herrschte Einigkeit im Gespräch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz hinsichtlich der Haltung eines Bürgergeldbeziehers, der mit einem Einspieler im „Duell“ bei Welt TV vorgeführt wurde. Diese Vorführung erinnert unweigerlich an die Fernsehkarriere Arno Dübels, der wiederholt als Vorzeigearbeitsverweigerer genutzt wurde und sich offenbar auch dafür angeboten hatte. Doch was ist von solchen Einspielern zu halten?

1) Eine Person wird aufgrund ihrer Lebenssituation für ein Interview ausgewählt, das später in den Medien ausgestrahlt wird, gekürzt oder auch nicht. Die Person befindet sich in einer Lebenssituation, die strukturell stigmatisierend ist und Bürgergeldbezieher in eine Rechtfertigungssituation bringt, man erinnere sich nur an die nicht selten pauschale Verunglimpfung. Die Stigmatisierung struktureller Art geht auf den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit zurück. Warum ist es wichtig, sich das klarzumachen? Weil der Befragte dadurch schon in der Defensive ist.

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„Es braucht bessere Arbeitsanreize für Bürgergeldempfänger“…

…ein Kommentar von Jörg Münchenberg im Deutschlandfunk.

So recht der Autor hat, dass die Bezeichnung Bürgergeld in die Irre führt und die SPD damit nur eine Aufhübschung vornehmen wollte, so sehr geht sein Vorschlag an der Sache vorbei:

„Und ja, es braucht weiterhin harte Sanktionen, während gleichzeitig die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Bürgergeldempfänger verbessert werden sollten, denn Arbeit muss sich wieder lohnen. Wer derzeit Bürgergeld bekommt und einen Job aufnimmt, hat stattdessen das Nachsehen.“

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Leistungs versus Beschäftigung

Siehe unseren gestrigen Beitrag hier.

„Es geht nicht um anstrengungslosen Wohlstand“…

…ein denkbarer Kontrast zur Warnung vor den „Arbeitsverweigerern“ in der Diskussion um das Bürgergeld sind Ausführungen Götz Werners in einem Gespräch mit Planet Interview aus dem Jahr 2010. Man kann dies – wie immer wieder geschehen – als naiv abtun, die Überlegungen haben allerdings einiges für sich, wenn man sich die Zusammenhänge klar macht.

„Der Mensch in seiner Grundveranlagung versucht, Arbeit einzusparen und nicht Arbeit zu schaffen oder zu sichern. Er bemüht sich um einen sparsamen Umgang mit Ressourcen wie Zeit und menschliche Arbeit. Er will in der gleichen Zeit mehr schaffen, das führt zur Streichung von Arbeitsplätzen. Dass wir darin ein Problem sehen, liegt nur daran, dass wir Arbeit und Einkommen miteinander verkoppeln.“

Von einer „Grundveranlagung“ zu sprechen ist verkürzt, die Richtung hingegen nicht, wenn die Sache selbst betrachtet wird: Handlungsprobleme müssen gelöst, Arbeitsgänge also erledigt, bestenfalls reduziert statt vermehrt werden. Kaum jemand wird ernsthaft dafür plädieren, auf Automatisierungsmöglichkeiten zu verzichten, wo sie sinnvoll sind, Menschen zu entlasten und Lebenszeit frei werden lassen. Möglich ist das aber nur mit einer entsprechenden Haltung gegenüber Handlungsproblemen, die sich nicht erzwingen lässt, sie muss sich herausbilden (Sozialisation). Wer meint, mit Sanktionen, gar schärferen, wäre das zu erreichen, geht an der Sache vorbei. Entsprechend heißt es an einer anderen Stelle:

„Je besser sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit verbinden können, desto kreativer, initiativer und desto leidenschaftlicher machen sie ihre Arbeit und das ist die Grundlage für den Erfolg.“

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„Ich habe weder das Wort ‚Strafe‘ benutzt, noch habe ich das Wort ‚faul‘ benutzt“…

…und dennoch ging es im Interview mit Jens Spahn (Deutschlandfunk, am 31. August) genau darum, welche Wirkungen dem Bürgergeld angesonnen werden. Die Wirkungen entstehen allerdings nur, wenn ein bestimmtes Menschenbild vorausgesetzt wird. Was hat Jens Spahn nun genau gesagt?

Zuerst fragt ihn die Interviewerin: „Herr Spahn, die geplante Erhöhung des Bürgergeldes ist das falsche Signal. Das sind Ihre Worte, dicht gefolgt von Ihrer Forderung nach mehr Strafen für arbeitsunwillige Erwerbslose. Welches Menschenbild steckt denn hinter solchen Aussagen?“.

Darauf entgegnet er:

„Spahn: Dahinter steckt ein einfaches Menschenbild, ein einfaches Prinzip. Wer arbeiten kann, sollte arbeiten.“

Wenn derjenige, der kann, das auch „sollte“, wird eine Handlungsmöglichkeit zum Gebot erhoben. Zugleich besteht die Gefahr der Abweichung davon, dass er nicht tut, was er tun sollte. Wenn die Abweichung vom Gebot, wie Spahn hervorhebt, nicht als wünschenswert gilt, dann muss ihr vorgebeugt bzw. im Fall des Eintretens entgegengewirkt werden. Möglich ist das, indem z. B. der Leistungsbezug unattraktiv gemacht wird, sei es durch Androhung der Streichung von Mitteln, sei es durch die Gewährung eines so niedrigen Betrages, dass der Bezieher nicht anders kann, als erwerbstätig zu werden (was allerdings mit der Verpflichtung des Staates, das Existenzminimum sicherzustellen kollidiert). Spahn geht eben davon aus, dass es am Bürgergeld und seiner Höhe liege, wenn Erwerbsfähige nicht erwerbstätig sind. Sie ziehen es nach Spahns Einschätzung vor, den einfachen Weg zu gehen, wenn sie denn Einkommen auch ohne Erwerbstätigkeit beziehen können. Wenn das das „einfache[…] Menschenbild“ ist, das Spahn hervorhebt, inwiefern unterscheidet es sich davon, die Bürger grundsätzlich für „faul“ zu halten bzw. ihnen anzusinnen, zur Untätigkeit zu neigen, wenn sie die Gelegenheit haben?

„Ich habe weder das Wort ‚Strafe‘ benutzt, noch habe ich das Wort ‚faul‘ benutzt“… weiterlesen

An den Voraussetzungen für Leistung vorbei…

…redet Carsten Linnemann, CDU, wie im Kommentar zurecht angemerkt wird. Aus der „Bringschuld“ folgt keine Leistungsfähigkeit, sie ist eben nicht beliebig, sondern an Interessen und Neigungen, an Fähigkeiten, gebunden. Eine kluge Sozialpolitik müsste es also ermöglichen, dass diese Neigungen sich ihren Weg bahnen können, das müsste eine Sozialpolitik der Ermöglichung sein. Man könnte das für eine Binsenweisheit halten, aber sowohl die bestehende Sozialpolitik wie auch die Vertreter von Unternehmerverbänden gegen davon nicht aus, wie an vielen Äußerungen abzulesen ist, in denen stets Beschäftigung vor Wertschöpfung rangiert. Wir klammern hier einmal ganz aus, wie eng Linnemanns Leistungsverständnis ist und dass unbezahlte Arbeit ebensowenig berücksichtigt wird wie die Stellung der Bürger im Gemeinwesen: es gibt im Grundgesetz keine Erwerbsverpflichtung, und zwar aus gutem Grund.

Sascha Liebermann

„…dass der Mensch und seine Entscheidung im Mittelpunkt stehen…“…

…eine treffende Charakterisierung. Dazu gehört auch eine solche Äußerung, die von Unternehmern sonst kaum zu vernehmen ist:

„Ich muss wirklich sagen, dass ich dieses Gerede von der Schaffung neuer Arbeitsplätze langsam nicht mehr hören kann. Warum wird dem so wenig widersprochen? Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen.“

In: Stuttgarter Zeitung (2005): Die Wirtschaft befreit die Menschen von der Arbeit, 150, 2. Juli 2005, S. 13, http://www.archiv-grundeinkommen.de/werner/StZ-Interview-Goetz-Werner.pdf

Siehe dazu auch hier, hier und hier sowie unseren Nachruf zu seinem Tod vor etwas mehr als einem Jahr.

Sascha Liebermann