Pendelzeit und Lebensalltag…

…über die Vorhaben der Regierung (S. 15 des Papiers) zum Bürgergeld und die Zumutbarkeit längerer Pendelzeiten zum Arbeitsplatz berichtete die tagesschau. Auf S. 15 heißt es dazu:

„Die Regelungen für die Zumutbarkeit von angebotener Arbeit sollten zeitgemäß überarbeitet werden. Dies gilt zum Beispiel für den Weg zur Arbeit. So sollte ein längerer Weg zur Arbeit als zumutbar gelten und eine tägliche Pendelzeit von 2 1⁄2 Stunden bei einer Arbeitszeit von bis zu sechs Stunden und von drei Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden in Kauf genommen werden müssen.“

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„Ich habe weder das Wort ‚Strafe‘ benutzt, noch habe ich das Wort ‚faul‘ benutzt“…

…und dennoch ging es im Interview mit Jens Spahn (Deutschlandfunk, am 31. August) genau darum, welche Wirkungen dem Bürgergeld angesonnen werden. Die Wirkungen entstehen allerdings nur, wenn ein bestimmtes Menschenbild vorausgesetzt wird. Was hat Jens Spahn nun genau gesagt?

Zuerst fragt ihn die Interviewerin: „Herr Spahn, die geplante Erhöhung des Bürgergeldes ist das falsche Signal. Das sind Ihre Worte, dicht gefolgt von Ihrer Forderung nach mehr Strafen für arbeitsunwillige Erwerbslose. Welches Menschenbild steckt denn hinter solchen Aussagen?“.

Darauf entgegnet er:

„Spahn: Dahinter steckt ein einfaches Menschenbild, ein einfaches Prinzip. Wer arbeiten kann, sollte arbeiten.“

Wenn derjenige, der kann, das auch „sollte“, wird eine Handlungsmöglichkeit zum Gebot erhoben. Zugleich besteht die Gefahr der Abweichung davon, dass er nicht tut, was er tun sollte. Wenn die Abweichung vom Gebot, wie Spahn hervorhebt, nicht als wünschenswert gilt, dann muss ihr vorgebeugt bzw. im Fall des Eintretens entgegengewirkt werden. Möglich ist das, indem z. B. der Leistungsbezug unattraktiv gemacht wird, sei es durch Androhung der Streichung von Mitteln, sei es durch die Gewährung eines so niedrigen Betrages, dass der Bezieher nicht anders kann, als erwerbstätig zu werden (was allerdings mit der Verpflichtung des Staates, das Existenzminimum sicherzustellen kollidiert). Spahn geht eben davon aus, dass es am Bürgergeld und seiner Höhe liege, wenn Erwerbsfähige nicht erwerbstätig sind. Sie ziehen es nach Spahns Einschätzung vor, den einfachen Weg zu gehen, wenn sie denn Einkommen auch ohne Erwerbstätigkeit beziehen können. Wenn das das „einfache[…] Menschenbild“ ist, das Spahn hervorhebt, inwiefern unterscheidet es sich davon, die Bürger grundsätzlich für „faul“ zu halten bzw. ihnen anzusinnen, zur Untätigkeit zu neigen, wenn sie die Gelegenheit haben?

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Wertschöpfung oder Beschäftigung?…

…Arfst Wagner weist auf etwas hin, das selbstverständlich sein müsste. In der Geschichte der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen ist zumindest für Deutschland anhand des Arbeitsvolumens pro Kopf der Bevölkerung, wie Gerhard Schildt es zu ermitteln versucht hat, gut zu erkennen, dass der Zeitaufwand für die Herstellung der in Anspruch genommenen Güter und Dienstleistungen in Deutschland sehr stark gesunken ist seit 1880 (siehe auch „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“). Das könnte man als Bestätigung dafür lesen, wofür der Verweis auf Götz W. Werners Äußerung hier steht (siehe dazu auch hier, hier und hier). Stattdessen wird Erwerbsarbeit nicht an diesem Ziel gemessen, sondern mit einem sozialfürsorgerischen Auftrag verbunden: „Beschäftigung“ muss geschaffen werden, sei es als Selbstzweck, sei es als „Integrations“-Maßnahme“. Es geht eben gar nicht vorrangig um Leistung und Rückgewinnung von Lebenszeit, wie es scheint, sondern um eine pädagogisierende oder paternalistische Versorgung mit Aufgaben und „Teilhabe“ (passiv), statt Möglichkeiten der Selbstbestimmung, des Teilnehmens zu stärken, dann würde man sehen, was der Einzelne als wichtig und richtig erachtete.

Sascha Liebermann

„Ist das Arbeitslosengeld zu hoch, sinkt der Anreiz, sich einen Job zu suchen“ – von wegen Binsenweisheit…

…, die Behauptung passt gut zu meinem gestrigen Beitrag zur vermeintlichen „poverty trap“. Hier die wörtlichen Ausführungen Martin Kochers, Arbeitsminister Österreichs in einem Interview mit Der Standard. Kocher antwortet auf die Frage danach, was er von der Erhöhung des Arbeitslosengeldes halte:

„Kocher: Hierzu gibt es kaum Studien, es gab aber auch zuvor nicht solch eine Ausnahmesituation. Wir wissen aber, dass der Anreiz, sich einen Job zu suchen, sinkt, wenn das Arbeitslosengeld zu hoch ist. Das ist für sich genommen eine Binsenweisheit. Es geht also darum, wie das Modell aussieht. Deshalb war ich Verfechter eines Modells, wonach die Entschädigung am Anfang höher ist und dann absinkt. Generell würde ich es als schlecht empfinden, jetzt in der Krise das System zu ändern.“

Von wegen Binsenweisheit, ein Klischee ist diese simple Formel und nur aufrechtzuerhalten, wenn Befunde aus der dynamischen Armutsforschung nicht zur Kenntnis genommen werden. Wiederholt ist von verschiedener Seite darauf hingewiesen worden, dass es den schlichten Zusammenhang zwischen Höhe von Arbeitslosengeld oder anderen Einkommenssubstituten nicht gibt und die Behauptung nur am Leben erhalten werden kann, weil bestimmte Annahmen gesetzt werden.

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„Entgegen verbreiteter Annahmen nehmen erwerbslose Arbeitslosengeld-II-Beziehende in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang (wieder) eine Beschäftigung auf“…

…stellt ein Beitrag von Katharina Dengler und Kathrin Hohmeyer im IAB-Forum heraus. Wie die Autoren festhalten, ist diese Einsicht nicht neu. Siehe auch frühere Beiträge zu dieser Thematik hier, zur vermeintlichen Armutsfalle hier und hier.

Erster Arbeitsmarkt statt dauerhafter Beschäftigungstherapie?

Das ist die Alternative, die Ursula Weidenfeld in ihrem Beitrag für den Tagesspiegel zum „solidarischen Grundeinkommen“ aufmacht, das in Berlin einer Umsetzung näherrückt. Stefan Sell wies schon im Frühjahr auf „Hoffnungen und Illusionen“ in diesem Zusammenhang hin, dass es ein besonderer Personenkreis sei, der von solchen Maßnahmen profitiere und für den es keine anderen Chancen gebe. Weidenfeld schreibt hingegen:

„Viele schlecht qualifizierte Langzeitarbeitslose brauchen eine individuellere und intensivere Betreuung. Bekommen sie die in einer Beschäftigungsgesellschaft, in der es nicht einmal mehr den Anspruch gibt, sie für den richtigen Arbeitsmarkt zu qualifizieren? Profitieren Menschen tatsächlich von einer dauerhaften Beschäftigungstherapie?“

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Beschäftigung, Stolz und Katzenvideos – was Vorstandsvorsitzende so für Gedanken haben…

…das kann man in einem Interview mit Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender von E.on, vom 28. Januar auf Welt online erfahren.

Hier der Zusammenhang:

„WELT: Die Wirtschaftselite führt aber auch nicht: Beim Thema Digitalisierung haben erst alle Manager gesagt, sie biete unglaubliche Möglichkeiten und schaffe sogar mehr Jobs. Jetzt kommen Spitzenmanager und sagen, wir brauchen das bedingungslose Grundeinkommen, weil das Wirtschaftssystem in der Digitalisierung nicht mehr trägt: In Zukunft arbeiten dann nur noch Roboter und Algorithmen.
Teyssen: Diese Forderungen stören mich. Nicht, weil ich völlig sicher bin, dass wir das am Ende nie brauchen, sondern weil es viel zu kurz greift. Dahinter steht doch unausgesprochen: Ich habe für viele Menschen keine Beschäftigung mehr! Ich kann denen doch nicht noch sagen: Ihr kriegt Geld und könnt Katzenvideos gucken. Arbeit ist mehr als Geld, Arbeit ist Teilhabe am sozialen Leben, an der Gemeinschaft. Sie gibt einem Stolz, oft auch Erfüllung. Einer ganzen Generation zu sagen, ihr werdet mit Geld ruhig gestellt, nehmt aber nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil, kann nicht die Antwort sein.“

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„Denn so ein Grundeinkommen ist nicht anders als eine Unterstützung für langfristige Arbeitslose“ meinte Dennis Snower

Das Inforadio rbb hat kürzlich ein Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Dennis Snower geführt, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel ist. In dem Interview geht es am Ende auch um das Bedingungslose Grundeinkommen.

Die Interviewerin fragt:

„Sylvia Tiegs: Nun gibt es ja inzwischen sogar von führenden Ökonomen, von Kollegen von Ihnen, die Unterstützung für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Darin sehen ja viele eine große Lösung für viele, viele Probleme. Zahl doch jedem eine bestimmte Summe ohne Verpflichtung und dann hast du erstmal Grund in der ganzen Sache drin.
„Denn so ein Grundeinkommen ist nicht anders als eine Unterstützung für langfristige Arbeitslose“ meinte Dennis Snower weiterlesen