Unbezahlte und bezahlte Tätigkeiten – Abgrenzung und Fallstricke

Auf diese Schwierigkeit der Abgrenzung ist schon von verschiedener Seite zu Recht hingewiesen worden, sehr differenziert z. B. von Norbert Schwarz und Florian Schwahn. Zwar ist es nachvollziehbar, wenn dennoch versucht wird, den Umfang „unbezahlter Arbeit“ zu quantifizieren, gerade wenn man auf ihre Bedeutung hinweisen will, man begibt sich aber auch in ein schwieriges Fahrwasser. Das zur Abgrenzung bemühte Drittperson-Kriterium muss vom konkreten Beziehungsgefüge abstrahieren, soweit es möglich ist und damit genau eine entscheidende Dimension vernachlässigen, und zwar die zwischen Beziehungen, die sich auf die ganze Person als solche beziehen und solchen, die klienten- bzw. kundenorientierten Charakters sind. In ersteren sind die Personen nicht austauschbar, in letzteren schon. Setzt man beide Beziehungstypen gleich, ebnet man den grundlegenden Unterschied beider ein. Genau das ist in den vergangenen Jahrzehnten besonders in der Frage zu beobachten, wie sich inner- und außerhäusliche Betreuung von Kindern zueinander verhalten. Letztere konnte mit der Abstrahierung von der konkreten Beziehung forciert werden.

Siehe zu dieser Frage diesen Beitrag und hier.

Sascha Liebermann

„Die Wirtschaft fußt auf der unbezahlten Arbeit von Frauen“…

…so ist ein Interview mit Uta Meier-Gräwe übertitelt, das in den Stuttgarter Nachrichten veröffentlicht wurde. Ich kommentiere hier einige Ausschnitte:

„Frau Meier-Gräwe, Sie sagen, bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit sei der größte Wirtschaftssektor. Wie berechnen Sie das?

[Meier-Gräwe] Durch Erhebungen des Statistischen Bundesamts wissen wir: Frauen in Deutschland leisten jährlich 60 Milliarden Stunden – allein an unbezahlter Hausarbeit. Der Geldwert dieser Arbeit, legt man anteilig den Durchschnittslohn einer Hauswirtschafterin, Köchin und Erzieherin zugrunde, würde jährlich etwa 830 Milliarden Euro betragen. Das ist fast so viel wie Bund, Länder und Gemeinden pro Jahr an Ausgaben tätigen. Wenn man zur unbezahlten die meist unterbezahlte Sorgearbeit in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Kitas hinzuzählt, ist dieser Bereich der größte Wirtschaftssektor. Leider bildet sich das weder in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung noch im Bruttoinlandsprodukt ab, das als Wohlstandsmaß eines Landes gilt.“

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Einst hatte „unbezahlte Arbeit“ in der CDU noch ein gewisses Ansehen,…

…was die Union hier abliefert, spricht dem Hohn. Da waren die Ausführungen Norbert Blüms noch ein Lichtblick, wenn er auch nicht weit genug ging, siehe auch hier.

Sascha Liebermann

„Ein Grundeinkommen kann unser Sozialsystem höchstens ergänzen“…

…ein Interview – unter einem Titel, der im Text nicht auftaucht – mit der Sozialwissenschaftlerin Anke Hassel im enorm Magazin, das wieder einmal zeigt, wie sehr Werturteile die Auseinandersetzung – hier mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen – leiten können. Das beginnt schon in der zu Beginn angestellten Kostenrechnung:

„[Hassel] Bleibt unser Sozialsystem neben einem BGE erhalten, müsste sich das Budget verdoppeln. Die 1.161,5 Milliarden Euro umfassen aber schon 32,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Also müsste extrem viel Geld umverteilt werden, heißt: hohe Steuern auf Einkommen, Vermögen, Immobilien, Wertpapiere und so weiter. Menschen mit mittleren bis hohen Gehältern würden das BGE für alle finanzieren und hätten selbst kaum oder nichts davon.“

Sie antwortet hier auf die Frage nach der Finanzierung, nachdem die Interviewerin darauf hingewiesen hatte, dass es BGE-Konzepte gebe, die eine Beibehaltung der Sozialversicherungen vorsehen. Zurecht merkt Hassel an, wozu das führen würde für die Finanzierung und übergeht doch zugleich eine Korrektur, die sie hätte anbringen können. Die vollständige Beibehaltung bedarfsgeprüfter Leistungen wäre nicht einmal begründbar, wenn doch mit einem BGE eine dauerhaft bereitgestellte Absicherung (als Sockel) eingeführt werden würde. Je nach Kaufkraft, die das BGE hätte, wäre der Regelsatz in der Grundsicherung und manches darüber hinaus in der heutigen Form gar nicht notwendig. Welche Leistungen das beträfe, könnte ein Blick in die Sozialgesetzbücher zutage fördern. Bedenkt man noch, dass ein BGE als Individualleistung, so ist es ja gedacht, in Haushalten die Einkommenssituation erheblich verbesserte, stellte sich die Frage, ob je nach Haushaltsgröße Leistungen, die heute nötig sind, nicht mehr beantragt werden müssten (z. B. Wohngeld). Differenzierungen dieser Art sind wichtig in der Diskussion und werden hier unterlassen.

Weshalb erwähnt Hassel den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer nicht, denn dieser Betrag würde in das BGE eingehen und nicht zusätzlich bereitgestellt? Er ist ja heute schon gesichert für diejenigen, die Erwerbseinkommen erzielen, und zwar als Besteuerungsvorbehalt. Wer ein BGE einführen will, muss also nur Verteilungswege und -modi verändern. Der Grundfreibetrag wird ausgezahlt und als Freibetrag abgeschafft, das betrifft dann den größten Teil der Personen. Für die Finanzierung sind darüber hinaus nicht die Bruttokosten relevant, sondern die Nettoaufwendungen (siehe auch hier und hier). Dass Einnahmen mittels Steuern abgeschöpft werden müssen, um sie bereitzustellen, ist klar, doch weshalb sollte das einen höheren Umverteilungsaufwand darstellen als heute? Ob es gewollt ist von den Bürgern, das ist die entscheidende Frage.

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Ein Missverständnis oder eine Verdrehung?…

…Wie kommt Anke Hassel zu dieser Schlussfolgerung, wenn doch ein BGE gerade keine Bezahlung darstellt? Das muss doch sofort auffallen, dass es darum eben nicht geht, Sorgetätigkeiten, die heute „unbezahlt“ erbracht werden, mit einem BGE zu „bezahlen“?

Sascha Liebermann

Ist das nicht eher heute ein Problem?

Ein BGE ist keine gruppenspezifische Leistung, alle sollen es erhalten. Es würde mit der Mär aufräumen, die einen „buckeln“, die anderen tun nichts. Dabei nehmen alle Leistungen in Anspruch, die sie selbst nicht erbringen können, wenn sie „buckeln“, die sogenannte unbezahlte Arbeit. Damit haben wir heute offenbar kein Problem. Und was erhalten diejenigen, die diese Arbeit übernehmen? Die Quittung in Gestalt ihrer Rente (siehe Altersarmut bei Frauen).

Sascha Liebermann

„Unbezahlbar“ – es lebt aber von Voraussetzungen…

… das möchte man zum Beitrag von Lenz Jacobsen auf Zeit Online über das Ehrenamt ergänzen. Jacobsen erinnert an die Bedeutung des Ehrenamts und das umfangreiche Engagement, das jedes Jahr erbracht wird. Anlässlich jüngerer Vorschläge, dies in der Rentenversicherung anzuerkennen (Faeser) oder gar durch ein soziales Pflichtjahr zu fördern, sieht er die Gefahr einer Umwertung durch „Belohnungen“ und „Anreize“, die in der Diskussion beschworen werden, um das Engagement zu fördern. Gleichwohl übersieht er eines, dass die Möglichkeit, sich zu engagieren, von verlässlichem Erwerbseinkommen abhängt, denn Engagement muss man sich leisten können. Zugleich führt diese Voraussetzung dazu, dass das Ehrenamt hinter dem Erwerbsengagement rangiert, es als nachrangig gilt, obwohl, so ein Beispiel Jacobsens, auf die freiwillige Feuerwehr gar nicht verzichtet werden könne.

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„Care-Arbeit“ – wie abgrenzen?

Monika Bütler, Professorin an der HSG St. Gallen, gab der Neuen Zürcher Zeitung ein Interview anlässlich der bevorstehenden Volksabstimmung über eine Reform der AHV (Alten- und Hinterbliebenenversicherung der Schweiz) am 25. September. In wenigen Passagen geht es darin auch um „Care-Arbeit“, diese seien hier kommentiert:

„[NZZ] Könnte man die unbezahlte Arbeit – Kinderbetreuung, Altenpflege, Nachbarschaftshilfe – mit Geld abgelten?

[MB] Alle reden von Care-Arbeit, doch niemand definiert, was das genau ist. Wenn ich für meine Familie koche, ist das schon Care? Ich finde nicht. Ein zweiter Punkt: Welche Care-Arbeit fällt in den privaten Bereich, welche Tätigkeit geht den Staat etwas an? Drittens: Wie soll Care abgegolten werden? Alles ist auch eine Wertefrage.“

Bütler stellt drei Fragen. Die erste ist für sie schnell beantwortet, das Kochen für die Familie zähle nicht dazu, ohne zu erläutern, worin der Unterschied besteht. In der Diskussion um unbezahlte Arbeit wird dieser Unterschied gemeinhin durch das Drittpersonenkriterium definiert, was allerdings methodische Probleme aufwirft. Unmittelbar anschließend stellt sie eine weitere, aber anders gelagerte Frage, und zwar nach der Zuständigkeit. Die dritte zielt auf die Abgeltung. Wie aber löst sie diese Fragen, die auch Wertfragen sind, auf? Was wird nun aus der privaten Sorgetätigkeit?

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