„Wenn es sich doch lohnt, fürs Bürgergeld zu kündigen“…

…unter diesem Titel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung von Jakob Arnold (Bezahlschranke) soll Stichhaltiges dafür aufgeboten werden, dass das „Bürgergeld“ einen „Anreiz“ biete, zu kündigen. Es sei keineswegs so, wie der Bundesarbeitsminister behaupte, dass es am Bürgergeld nicht liege. Doch was bietet der Artikel dazu an Einsichten?

Das Beispiel, anhand dessen die Problematik illustriert werden soll, stammt von einem Unternehmer:

„Zuletzt habe er das mit einem Mitarbeiter aus Afghanistan erlebt. Der verdiente für eine Aushilfstätigkeit knapp 13 Euro in der Stunde, also sogar mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro. Damit sei dem Beschäftigten jedoch der Abstand zum Bürgergeld nicht mehr ausreichend gewesen. Und dann kam folgendes Kalkül hinzu, wie Krätz berichtet: Auf dem freien Mietmarkt hätte er es mit seinem Gehalt und dem nicht deutschen Namen schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Im Bürgergeld hingegen kümmert sich der Staat um die Wohnung. Und mindestens 100 Euro könne er sogar völlig anrechnungsfrei zum Bürgergeld hinzuverdienen. Unter dem Strich stehe er damit besser da als in einem geregelten Arbeitsverhältnis mit der Pâtisserie, so Krätz.“

Der Unternehmer stellt es so dar, wir gehen einmal davon aus, dass der Mitarbeiter es auch so dargestellt hat. Zuerst heißt es, der Abstand zum Bürgergeld sei nicht mehr „ausreichend“ gewesen, der Arbeitsplatz war für den Mitarbeiter also bloß ein Einkommensplatz, mehr verband er damit nicht. Dann aber folgt der Hinweis, der weder mit dem Arbeitsplatz noch mit dem Bürgergeld direkt zu tun hat: die Lage am Wohnungsmarkt für den betreffenden Mitarbeiter, der aus Afghanistan stammt. Es geht hier also nicht einfach darum, den besseren Schnitt zu machen, wie es zuerst klingt, vielmehr hat er ein drängendes Problem, weil er aufgrund seiner Herkunft keine Wohnung findet. Ein Weg aus der Lage angesichts des ohnehin angespannten Wohnungsmarktes (der nur indirekt erwähnt wird) bietet das Bürgergeld, insofern holt er auch nicht das „Maximum“ aus dem „System“ heraus, er reagiert auf eine bedrängende Lage. In diesem Fall hätte selbst der Bezug von Wohngeld nicht geholfen, solange er keine Wohnung findet. Wäre die Lage am Wohnungsmarkt besser, hätte er diese Hilfe über den Bürgergeldbezug womöglich nicht benötigt. Festzuhalten ist, dass es gar nicht alleine um die Differenz zwischen Bürgergeld und Lohn geht (siehe die jüngste Berechnung zum Verhältnis hier und hier), sondern die Lage komplexer ist.

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„Jobkiller Bürgergeld?“…

Übertitelt ist so ein Beitrag Enzo Webers zur Debatte über die Auswirkungen des „Bürgergeldes“ auf der Website von Makronom, der für die Diskussion der letzten Wochen hilfreich ist.

Darüber hinaus besteht die Argumentation aus Anreize, Anreize, Anreize und belegt wieder einmal die Eindimensionalität der Betrachtung, wenn es um Arbeitsaufnahme geht.

Sascha Liebermann

„Löhne hoch, Arbeitszeit runter: Keinen Bock mehr auf Leistung?“

Was hat man bei diesem Titel der jüngsten „hart aber fair“-Sendung wohl zu erwarten? Der Geschäftsführer einer Dachdeckerfirma zu Beginn kritisiert schon einmal zurecht die Bezeichnung „Bürgergeld“, denn es steht nicht jedem Bürger zur Verfügung, solange er es nicht beantragt und die Bezugsbedingen erfüllt, das konterkariert den Bürgerbegriff (siehe unsere früheren Kommentare dazu hier).

Darüber hinaus geht es um Leistung und „Anreize“, leider mit den bekannten Verkürzungen. Dass selbst lebenserfahrene Menschen als Beispiele dafür, wie die Kündigungsneigung wegen des Bürgergeldes sei, Aussagen ihrer Angestellten einfach so zitieren, ohne zwischen einem „Spruch“ und einer ernsthaften Handlung zu unterscheiden, ist verwunderlich oder ideologisch bedingt. Sollte jemand es ernst meinen, nur deswegen seine Stelle zu kündigen, dann müsste sich der Arbeitgeber doch fragen, ob der Mitarbeiter seine Aufgabe zuvor gut ausgeführt hat, welche Sorgen ihn drücken oder ob er die Zeit für wichtige Dinge benötigt. Ein Spruch aber ist doch kein Beleg dafür, dass die entsprechende Konsequenz gezogen wird. Abgesehen davon hat Hubertus Heil deutlich gemacht, wozu ein solcher Schritt führen würde – Leistungssperre und -kürzung.

In der gesamten Diskussion – abgesehen von den Passsagen über die Vier-Tage-Woche und dort, wo es um Arbeitsbedingungen und -verständnis geht – konnte man den Eindruck gewinnen, ohne Erwerbstätigkeit ist das Leben gar nichts, es gibt auch keine Aufgaben jenseits davon und ein wirkliches Leben beginnt und endet in Erwerbstätigkeit.

Sascha Liebermann

Der „Arbeitsanreiz“ als eindimensionale Erklärung…

…dafür, welche Auswirkungen ein komplexes und in mancher Hinsicht intransparentes System von Sozialleistungen haben könnte. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat diesen Oktober eine Stellungnahme zur Reform der Grundsicherung vorgelegt und sich darin das Zusammenwirken verschiedener Leistungen angeschaut. Bekanntermaßen ist das Leistungsgefüge äußerst komplex, unübersichtlich und uneinheitlich. Uns soll hier aber nur interessieren, wie eindimensional über die Wirkungen von Leistungen darin gesprochen wird. Exemplarisch dafür ist folgende Passage:

„Das Bürgergeld bietet durch die Hinzuverdienstregelungen Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Der Anreiz, die Arbeitszeit zu erhöhen bzw. sich weiter zu qualifizieren, ist hier jedoch ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro ohne Kinder und 1.500 Euro mit Kindern nicht mehr gegeben, da dann sämtliche zusätzliche Einkommen mit dem Bürgergeld verrechnet werden. Dafür bietet knapp jenseits dieser Einkommensgrenzen das zweite Grundsicherungssystem weitere Arbeitsanreize, da hier das Nettoeinkommen mit dem Bruttoeinkommen erst einmal deutlich ansteigt. Allerdings bedingen die Anrechnungsregelungen für Wohngeld und Kinderzuschlag auch hier erneut weite Einkommensintervalle, in denen Arbeitsanreize entweder gar nicht (mit Transferentzugsraten von z.T. über 100 Prozent) oder nur in geringem Ausmaß vorhanden sind. Abbildung 1 zeigt dies exemplarisch durch den Ausweis der Bereiche, in denen die Grenzbelastung aus Sozialversicherungsbeiträgen, Lohnsteuern und Transferentzug für Haushalte bei über 85 Prozent liegt (in rot) und somit die Arbeitsanreize besonders gering sind.“ (Stellungnahme S. 16)

Wie in so vielen Stellungnahmen zu dieser Frage kreist die Erörterung der Zusammenhänge um eine einzige Dimension, und zwar die, ob und ab wann es sich „lohnt“ einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und wann das nicht mehr der Fall ist. „Lohnt“ es sich, heißt in größter Vereinfachung, wann erhalte ich mehr Geld, also, was bringt mir das, um es ganz salopp auszudrücken.

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Was heißt das?

Wenn „Arbeitsanreize“ erhöht werden, die Wirkung aber davon abhängt, wie die „Anreize“ „wahrgenommen & darauf reagiert wird“, wirken sie nicht unmittelbar, sondern nur in Abhängigkeit davon, ob eine Person sie attraktiv findet. Dass das Verhältnis von „Anreizen“ und Wirkung komplexer ist, als es die einfache Redeweise nahelegt, wäre Anlass genug, den Begriff nicht mehr zu verwenden, weil er in die Irre führt. „Anreize“ sind letztlich nur Handlungsmöglichkeiten, die immer von einer konkreten Praxis als Möglichkeiten gedeutet werden müssen. Erst in Abhängigkeit davon, werden sie zu Gelegenheiten. In der Regel aber wird dieses Verhältnis sozialmechanisch verkürzt auf Anreiz und direkte Wirkung.

Sascha Liebermann

Zeichen der Zeit der vergangen beiden Jahrzehnte…

…Lindner setzt nur fort, was mindestens seit der Agenda 2010 die öffentliche Debatte geprägt hat – und zwar von beinahe allen Seiten. Anreiz, Aktivierung auf der einen, Stilllegungssorgen auf der anderen Seite.

Siehe unsere Beiträge zur Anreiz, Stilllegungsprämie, Aktivierung.

Sascha Liebermann

Das Sozialgericht und die „Anreize“

Es ist doch überraschend, wie simpel und krude hier offenbar das Gericht argumentiert. Das entspricht der undifferenzierten Rede von „Anreizen“, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ausgebreitet hat und die mittlerweile zur Alltagssprache gehört. Würden die Beweggründe für Entscheidungen etwas differenzierter betrachtet, wäre klar, dass man mit diesem Begriff dem realen Leben nicht beikommt.

Siehe auch die Behauptungen rund um die sogenannte Armutsfalle.

Sascha Liebermann

Kommentar zur überarbeiteten Version der Studie des IfW Kiel…

…, wieder ist es aufschlussreich, wie Sozi Simon kommentiert, wie unübersichtlich das Leistungsgefüge ist und wie schnell Berechnungen aufgrund bestimmter Annahmen in eine bestimmte Richtung weisen.

Was ich allerdings nicht teile, ist die sehr vereinfachte Betrachtung von „Anreiz“, denn hier haben schon die Studien von Vobruba und Kollegen vor Jahren gezeigt, dass die Gründe dafür, die Erwerbsteilnahme nicht zu erweitern, vielfältig sind und keineswegs mit dem Lohnabstand zuerst zu tun haben.

Überhaupt ist der Begriff schon irreführend, weil es sich bei „Anreizen“, so wie meist darüber gesprochen wird, nur um Handlungsmöglichkeiten handelt, um mehr nicht. Wer mit fallrekonstruktiver Forschung (siehe auch hier) vertraut ist und detailliert Forschungsgespräche (Interviews) auswertet, den wird das ohnehin nicht überraschen, denn die Eindimensionalität und der Reduktionsmus mancher Behauptungen, die bezüglich der Leistungsmotivation immer wieder im Raum stehen, resultiert daraus, dass in standardisierten Daten (Befragungen), die Komplexität und durchaus auch Widersprüchlichkeit der Deutungswelten der Befragten, nicht zum Ausdruck kommt. Eine methodische Beschränkung führt hier zu abstrahierenden Vereinfachungen.

Sascha Liebermann

Mündigkeit scheint in Merz‘ Augen nicht zu existieren,…

…sonst könnte er so etwas in der Tat nicht schreiben. Wer meint, Bürger ließen sich dadurch Verantwortung nehmen, dass sie eine gewisse Einkommenssicherheit durch die Gemeinschaft der Bürger erhalten, der ist auch davon überzeugt, ohne Aktivierung laufe nichts. Beide Seiten sehen im Bürger ein recht passives Gegenüber, dem Selbstbestimmung fremd ist. Insofern gehören die Stilllegungsüberzeugten und Abwrackprämien-Vertreter zur selben Truppe wie die Abhängigkeits– und Anreizbesorgten.

Sascha Liebermann

Eindimensional in einem fort,…

…Attraktivität von Erwerbstätigkeit bemesse sich nur daran, ob es sich des Einkommens wegen „lohnt“. Als gäbe es nicht andere Dimensionen, die mindestens genauso bedeutend sind. Überhaupt die Vorstellung, Einkommenserzielung sei das entscheidende Moment, ist schon eindimensional und übersieht, dass die Möglichkeit, beitragen zu können als solches eine große Bedeutung hat. Wo das nicht der Fall ist, gibt es gute Gründe.

Sascha Liebermann