„Anreize“ können differenziert betrachtet oder als Joker für die verschiedensten Dinge genutzt werden,…

…in jedem Fall ist die Begrifflichkeit ungenau und verwirrend, in der Diskussion über Leistungsbereitschaft bzw. Leistungserstellung gehört sie zur etablierten Terminologie. Überwiegend werden sie in der im Titel  letzteren Version verwendet, wie man schon daran sehen kann, dass aus der Höhe z. B. des Arbeitslosengeldes auf eine nahezu direkte Wirkung auf die Leistungsbereitschaft von Arbeitslosengeldbeziehern geschlossen wird. Selbst wenn eingeräumt wird, dass die Zusammenhänge komplexer sind, mehrdimensional oder gar die Lohnhöhe für nachrangig gehalten wird, wird dennoch am Gebrauch des Begriffes festgehalten (kürzlich z. B. als es um das Bürgergeld ging, siehe auch hier). Walter Edelmann hat schon vor vielen Jahren dargelegt, dass ihn erstaunt, wie wenig Bedeutung intrinsischer Motivation beigemessen wird und hat dies bei Lehramtsstudenten festgestellt. Diese Grafik aus einem seiner Kurzbeiträge ist interessant, weil der „Anreiz“ hier auf die Seite des Intrinsischen verlegt wird, vollkommen konträr zum verbreiteten Gebrauch:

Warum ist das interessant? Weil damit der Ausgangsimpuls immer in der Person liegt, das Intrinsische ist die Quelle für Handeln, das Extrinsische kann verstärkend wirken, nicht aber hervorbringend. Soziologisch ausgedrückt sind „Verstärkungen“ autonomiefördernde oder -restringierende Handlungsmöglichkeiten – nicht mehr und nicht weniger, sie sind aber selbst nicht die Quelle von Autonomie. Denn sie muss schon herausgebildet sein, damit „Verstärkungen“ greifen können, wenn man in dieser Terminologie bleiben will. Für die Herausbildung von Autonomie im Zuge sozialisatorischer Interaktion, die auf die Eigentätigkeit des sich die Welt erschließenden Subjekts angewiesen ist, lassen sich etliche Belege anführen, die offenbar jedoch kaum Eingang in diese Debatten finden, weil sie nicht rezipiert werden.

Schon mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass Befunde aus der dynamischen Armutsforschung in diese Richtung wiesen, Georg Vobruba und Kollegen haben das am Theorem der Armutsfalle gezeigt. Diese Ergebnisse waren für die Armuts- und Sozialpolitikforschung womöglich überraschend, weil dort in der Regel standardisierte Daten erhoben und ausgewertet werden. Schon die in der Studie ausgewerteten Verlaufsdaten waren aufschlussreich. Von der Warte der fallrekonstruktiven Forschung konnten diese Ergebnisse nicht überraschen, denn in Interviews, wie sie auch Vobruba und Kollegen geführt sowie ausgewertet hatten, zeigte sich alsbald die Vielfalt der Gründe, weshalb Leistungsbezieher im Bezug verbleiben. Rezipiert wurden diese Befunde offenbar nicht, wenn man gegenwärtigen Debatten folgt. Und so kann es ewig weiter gehen mit der Frage nach den „Anreizen“, ganz gleich wie relevant der Ansatz ist, um Handeln zu erklären.

Sascha Liebermann