„Über würdige und unwürdige Arme:…

… ‚Seine Kleidung soll schäbig, aber sauber, er selbst frei von Schuld an seinem Mißgeschick sein‘. 1961, München‘ – ein Beitrag von Stefan Sell zur Bürgergelddebatte der vergangenen Monate.

Hier ein Auszug, den Sell aus einem Spiegelartikel von 1961 zitiert:

„‚Der Arme, den die Bundesbürger in diesen Wochen mit Vorzug zu beglücken bereit wären, soll sich mit Hunger und Kälte vertraut, doch nicht als Mopedist oder Fernsehteilnehmer zeigen. Seine Kleidung soll schäbig, aber sauber, er selbst frei von Schuld an seinem Mißgeschick sein. Unerwünscht insonderheit sind Laster, wie Trinken oder unmäßiges Kartenspiel.
Auf diese Wunschvorstellung von der Armut, die noch aus wilhelminischen Zeiten zu stammen scheint, als man dem Empfänger von Wohlfahrtsunterstützung – heute dezent Sozialhilfe genannt – das Wahlrecht vorenthielt, haben die Wohlfahrtspfleger in der ganzen Bundesrepublik einzugehen, wenn sie nicht auf den Spendenbeitrag einer ganzen Heerschar von Selbstgerechten verzichten wollen.'“

Es geht in dem Beitrag um die wiederkehrende Diskussion um „würdige“ und „unwürdige Arme“. Eine alte Debatte also ist das.

Sascha Liebermann

„Keine Totalverweigerer“

Darüber schreibt Timo Steppat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der sich den Arbeitsalltag in einem Jugendjobcenter angesehen und Gespräche geführt hat. Es geht darin also um Bürgergeldbezieher unter 30 Jahren, die Mär der angeblichen „Totalverweigerer“ und meist gute Gründe derjenigen, die einen Termin nicht wahrnehmen. Die Problemlagen sind komplex, teils biographische Traumata, teils fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder Alleinerziehender, die deswegen ein Arbeitsangebot nicht annehmen könnten, teils fehlende Sprachkenntnisse.

„Die Bereichsleiterin Monika Aglogo, die das Jugendjobcenter führt, sagt: ‚Ich kenne keine Totalverweigerer. Ich kenne nur junge Menschen, die nicht zu uns kommen.‘ Manche seien von zu Hause ge­flohen oder psychisch krank. Ihnen die Sozialleistungen zu entziehen, führe dazu, dass sie weiter in Armut und Obdachlosigkeit rutschten.“

Weshalb manche der Mitarbeiter die Verschärfung der Sanktionen bei Erwachsenen befürworten, die sie gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen für das falsche Mittel halten, bleibt unklar.

Angesichts der vielen hämischen Einlassungen über Bürgergeldbezieher ist jeder Artikel wichtig, der über den Alltag differenziert berichtet. Siehe auch Argumente für Erziehungscamps – Einwände gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

„Wir sollten uns auf das Experiment ‚Bedingungsloses Grundeinkommen‘ einlassen“

Treffend: Wer das eine nicht will (Verwaltungsaufwand),…

…kann am anderen (allgemeine Bedürftigkeitsprüfung) nur widersinnig festhalten. Das scheint Manchen nicht klar zu sein, die nach mehr „Effizienz“ rufen, denn der Verwaltungsaufwand resultiert aus den kleinteiligen Bestimmungen, die einzuhalten sind. Diese könnten sicher anders gestaltet werden, wenn mehr über Pauschalen bereitgestellt würde, das wurde schon damals, als es um eine Reform der Sozialleistungen ging, hervorgehoben. Ganz auf die Bedürftigkeitsprüfung könnte man nur verzichten, wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt würde. Die Bedarfsprüfung wären dann Leistungen vorbehalten, die über das BGE hinausgreifen. Mit der Entscheidung für ein BGE, würden indes auch bedarfsgeprüfte Leistungen auf eine andere Grundlage gestellt. Während sie heute durch den Vorrang von Erwerbstätigkeit normativ stigmatisiert sind, wären sie das nicht mehr, wenn dieser Vorrang aufgegeben würde. Die normative Basis existenzsichernder Leistungen wäre damit transformiert und viele Möglichkeiten eröffneten sich, die heute so nicht bestehen (siehe dazu „Über Bedarfe und Bedürftigkeit“).

Sascha Liebermann