Auch nur eine Befragung…

…und nur, weil Mitarbeiter der Auffassung seien, die veränderte Sanktionspraxis stelle ein Problem dar, folgt daraus nicht, dass in der Verschärfung eine Lösung bestehe. Wie insgesamt in der Debatte, lassen sich Vorurteile auch bei Mitarbeitern im Jobcenter feststellen.

Hier der Link zur Studie des DIW.

Eine standardisierte Befragung bleibt bezüglich der Denkwelten oberflächlich, auch wenn sie „repräsentativ“ wäre, das liegt in der Methodik begründet und sollte einen dazu veranlassen, sich anderes Datenmaterial zu verschaffen. Wenn das nicht möglich ist, kann ein Anfang sein, die Komplexität von Alltagsbeobachtungen ernst zu nehmen.

Sascha Liebermann

„Alter Wein in alten Schläuchen“…

Stefan Sell mit einem informativen Beitrag zur Bürgergelddebatte und dem Vorschlag einer Neuen Grundsicherung von Seiten der CDU auf Makronom. Hier ein Zitat daraus:

„Im Dezember 2023 gab es 5,5 Millionen Regelleistungsberechtigte, davon mehr als ein Viertel Kinder und 3,9 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Das Bürgergeld ist eine existenzsichernde Sozialleistung für Haushalte mit mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wobei der Erwerbsfähigkeitsbegriff im SGB II im internationalen Vergleich sehr weit definiert ist. Etwa 1,7 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind tatsächlich arbeitslos, fast die Hälfte davon ist langzeitarbeitslos, also länger als ein Jahr arbeitslos. Viele SGB-II-Arbeitslose weisen Eigenschaften auf, die eine schnelle Vermittlung in Arbeit ausschließen. Beispielsweise haben zwei Drittel der SGB-II-Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Umgekehrt sind 2,2 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte gar nicht arbeitslos.“

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„Das Ziel muss sein, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeitet“…

…so ist ein Interview mit Christian Lindner in der Stuttgarter Zeitung überschrieben. Man ahnt schon, worauf es hinauslaufen wird. Es geht um viele Themen in diesem Gespräch, als er auf Erfahrungen mit
dem Bürgergeld angesprochen wird, sagt er:

„Dass der Berechnungsmodus für den Regelsatz Probleme aufwirft, ist bekannt. Die Bürgergelderhöhung ist in diesem Jahr zu hoch ausgefallen, dafür wird es im nächsten eine Nullrunde geben. Entscheidend ist aber: Wir müssen mehr Druck aufbauen, wenn sich Menschen weigern, zumutbare Arbeit aufzunehmen.“

In Kontrast dazu lese man dieses Interview hier. Es wird nicht nach den Gründen gefragt, weshalb jemand kein Stellenangebot annimmt bzw. keines sucht. Um zu verstehen, was das Problem ist, muss man danach aber fragen und nicht einfach behaupten, dass das es zu wenig „Druck“ gebe. Aber wen interessieren die Gründe schon. Niemandem ist geholfen, wenn jemand aus dem Leistungsbezug gedrängt wird, ohne in der dann aufgenommen Erwerbstätigkeit auch erfolgreich sich einzubringen. Es wird Beschäftigung mit Leistung verwechselt, ein verbreitetes Phänomen:

Wir brauchen ohne Wenn und Aber weitere Verschärfungen bei den Sanktionen. Der Staat muss alles tun, damit zumutbare Arbeit auch tatsächlich aufgenommen wird. Da ist noch Luft nach oben. Wenn wir Menschen verpflichten, Ein-Euro-Jobs zu übernehmen, wird es unattraktiver, sich aufs Bürgergeld zu verlassen. Und: Wir müssen die Erfahrungen mit dem Job-Turbo für die Flüchtlinge aus der Ukraine genau auswerten. Das, was da erfolgreich ist, müssen wir auf alle ausweiten.“

Wer würde schon dagegen plädieren, die Vermittlungsbemühen der Arbeitsagenturen verbessern zu wollen, doch Illusionen zu nähren, ist keine Lösung.

Sascha Liebermann

„Jemand, der arbeitet, muss deutlich mehr haben als jemand, der nicht arbeitet“…

…darüber schreibt Dietrich Creutzburg in der Frankfurter Allgemeine Zeitung und bezieht sich auf ein Gespräch mit dem Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger. Ein etwas älteres Gespräch mit ihm haben wir hier kommentiert. Nun würde man erwarten, dass ein Arbeitgeberpräsident im Sinne unternehmerischen Handelns denkt und argumentiert, ist das hier der Fall?

Deutschland sei, so Dulger laut FAZ, mit dem Bürgergeld auf dem Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Hm, also, würde der Begriff ernst genommen „Bürger-Geld“ als Geld für Bürger um ihres Bürgerdaseins willen, dann schon, aber das Bürgergeld weist in keiner Form in Richtung eines BGE, da es – wie sein Vorgänger – eine Einkommensersatzleistung ist, die beantragt werden muss, für die strikte Bezugsbedingungen gelten und die sanktionsbewehrt ist. Das ist alles ziemlich das Gegenteil eines BGE, die These also eher heiße Luft und Anzeichen dafür, wie sehr da einem vor den mündigen Bürgern zu grauen scheint, die mit einem BGE größere Handlungsfreiräume hätten.

Nun fordert Dulger eine „Grundsanierung des Systems“ – was soll das heißen? Sollen bisher geltende Prinzipien der Existenzsicherung über Bord geworfen werden? Soll es noch strikter werden als zu Zeiten der alten Grundsicherung? Dann müsste Dulger aber ziemlich weit zurückgehen, vielleicht in die Zeit, als es noch gar kein Verständnis dafür gab, dass es Aufgabe des Sozialstaates ist, eine Existenzsicherung bereitzustellen, die dem Würdegebot gemäß ist. Das alles scheint er nicht zu wollen, sondern: „Eigenverantwortung stärken, gezielt unterstützen und auf wirklich Bedürftige konzentrieren“.

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Was will die CDU genau ändern am „Bürgergeld“?

Wenn man sich die Ausführungen Karin Priens anhört, sind sie etwa so weitreichend wie die Carsten Linnemanns oder der Broschüre „Neue Grundsicherung“. Allenfalls bedeuteten sie eine Rückkehr zum Arbeitslosengeld II.

À propos Bürgergeld: im Gesetz ist das nur ein Label, auf das sogleich die offizielle Bezeichnung „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ folgt. An ihr hat sich also durch die Einführung des „Bürgergeldes“ nichts geändert, auch nicht am Zweck des Gesetzes. Dass die Bezeichnung „Bürgergeld“ irreführend ist und schon, als der Vorschlag in die Diskussion gelangte, als kosmetische Veränderung bezeichnet werden konnte, sei hier nur erwähnt.

Sascha Liebermann

„…das komplette System vom Kopf auf die Füße stellen“…

…darüber spricht Carsten Linnemann in diesem Kurzinterview und sieht im Vorschlag der CDU, eine neue Grundsicherung einzuführen, offenbar den großen Wurf. Man fragt sich allerdings, ob das denn der Fall wäre. Vom Kopf auf die Füße wird den Ausführungen im Gespräch zufolge nichts gestellt, es sind doch eher Anpassungen innerhalb des bestehenden Gefüges, teils wäre es die Rückkehr zu Altbekanntem im Arbeitslosengeld II. Zu behaupten, es gebe keine verbindliche Kooperation mehr zwischen „Staat“ und „Bürgergeldempfänger“ muss man wohl als Wahlkampfgetöse verstehen. Linnemann sagt selbst, dass die Mehrheit der Bezieher gar nicht im Fokus der Neuen Grundsicherung stehe – „wir reden über den ganz harten Kern“. Das ganze Getöse dient also der Aufmischung weniger Bezieher, als handele es sich dabei um gewiefte, hartgesottene, sich durch nichts beirren lassende Bürgergeldbezieher, die wirklich mit allen Wassern gewaschen sind. Man könnte meinen, es gebe heute keine Sanktionsmöglichkeiten im Bürgergeldbezug. Linnemann begründet das Getöse damit, es den „Menschen schuldig“ zu sein, „die jeden Tag arbeiten gehen“. Hat er die denn gefragt und haben sie dem zugestimmt? Oder handelt es sich nicht eher um unverhältnismäßige Mittel, die wenig Erfolg – gemessen an dem vorausgesetzten Ziel – versprechen? Wenn man den Worten der Leiterin eines Jobcenters (Interview im NDR) folgt, gelangt man zu einer ganz anderen Einschätzung (siehe auch hierhier und hier). Beratungsprozesse benötigen Zeit, gerade wenn es um den Personenkreis geht, der hier im Fokus steht, der in der Regel vielfältige Beschwernisse hat. Kurzfristige Erfolge seien unrealistisch. Sind das ganz neue Einsichten? Nein, sie sind altbekannt (siehe die Verlinkungen oben). Zuguterletzt meint Linnemann noch, wir brauchten „dringend in Deutschland einen Mentalitätswandel“ – starker Tobak, würde ich denken. Sicher, wir stehen vor Herausforderungen; sicher ist auch, dass Altbewährtes sich nicht mehr eignen mag, dazu gehört aber gerade auch die Haudrauf-Sozialpolitik, die kein Problem löst.

Sascha Liebermann

„Das Bürgergeld ist [sic] als Kündigungsgrund? Das geben die Daten nicht her, aber die Erzählung hat sich verselbstständigt“…

…schreibt Stefan Sell zur den Auseinandersetzungen der letzten Monate. Er beschließt seinen Beitrag mit folgenden Worten:

„Aber das mit den Kündigungen wegen Bürgergeld ist schlichtweg unter der Rubrik Stimmungsmache abzuheften. Allerdings muss man zur Kenntnis nehmen, dass die monatelange Debatte, dass sich Erwerbsarbeit angeblich oder in bestimmten Konstellationen aufgrund komplizierter Anrechungs- und Wegfallregelungen bei anderen Leistungen auch tatsächlich nur begrenzt lohnen würde, mittlerweile tief verankert wurde bei einer Mehrheit der Bevölkerung, nach Umfragen gehen 75 Prozent der Menschen davon aus, dass das so ist. Da kann man noch so viele Gegenrechnungen machen. Oder auf die Daten verweisen. Das Bild von denen, die ihren Job hinschmeißen und es sich mit dem Regelsatz aus dem Grundsicherungssystem auf dem heimischen Sofa bequem machen, hat sich verselbstständigt. Und wird nicht wieder verschwinden.“

Sascha Liebermann

„Druck beim Bürgergeld bringt gar nichts“…

…sagte der Personalchef der Arbeitsagentur Nord, Markus Biercher, dem NDR in einem Gespräch.

Seit über dreißig Jahren arbeitet Biercher in diesem Bereich und verweist auf die Erfahrung, die mit „Druck und Zwang“ gemacht wurden. Arbeitslosigkeit werde als „Drama“ erlebt in der Regel. Was manches Mal als Unwille erscheine, habe häufig ernsthafte Gründe, von „Arbeitsverweigerung“ kann genau betrachtet nicht die Rede sein. Interessant auch, was er zur Bezahlkarte und zum Bürgergeld sagt. Die mediale Skandalisierung entspreche nicht der Realität.

Überraschend ist diese Einschätzung nicht, wenn man sich die empirischen Zusammenhänge genauer anschaut, aber auch aus Arbeitsagenturen hört man manchmal andere Stimmen als diese.

Sascha Liebermann

„Lohnt sich Arbeit“ – interaktiver Sozialrechner…

…, aber leider doch wieder die Verkürzung der Frage auf Einkommen. Der „Sozialrechner“ macht damit zwar auf ein Problem aufmerksam, das gerade die „Lohnt sich nicht“-Fraktion erschüttern müsste, die in den letzten Monaten sich nicht scheute, alle möglichen Gerüchte zum Bürgergeld zu verbreiten. Unter den Tisch fällt bei dieser Zuspitzung jedoch, welche nicht minder wichtige, vielleicht sogar relativ wichtigere Bedeutung Erwerbsarbeit auch heute schon hat.

Sascha Liebermann