„Hallo, CDU, ich war arbeitslos“ – über das Spannungsverhältnis zwischen legitimem Leistungsbezug und unerwünschtem Zustand…

…spricht Alexandra Pichl, Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, im Interview auf Zeit Online. Auszüge seien hier kommentiert:

„Alexandra Pichl: Ja, Arbeitslose geben sich ungern zu erkennen. Meine Erfahrung ist, dass man sich sogar vor Freunden und Bekannten damit versteckt. Nehmen Sie die typische Und-was-machst-du-so-Frage: Als Arbeitslose erzählt man dann vom früheren Job, vielleicht mit dem Zusatz, man sei gerade auf der Suche nach etwas Neuem.“

Pichl weist hier auf den Stigmatisierungseffekt hin, der von der Erwerbsnorm ausgeht, ein struktureller Effekt, der mit der von Pichl erwähnten Antwort zu entschärfen versucht wird. Es ist also nicht die Erwerbslosigkeit als solche, durch den er entsteht, es ist die Bewertung der Erwerbslosigkeit als unerwünschter Zustand, der sie zu einer Stigmatisierung werden lässt. Insofern ist die immer wieder diagnostizierte, aber doch nur vermeintliche Lösung die Erwerbsteilnahme. Sie hebt aber die Erwerbsnorm nicht auf, die Stigmatisierung wirkt als Drohung dafür fort, was geschieht, wenn man erwerbslos wird. Sehr deutlich legt sie in der folgenden Passage dar, was diese Situation auszeichnet:

„Hallo, CDU, ich war arbeitslos“ – über das Spannungsverhältnis zwischen legitimem Leistungsbezug und unerwünschtem Zustand… weiterlesen

Antwort worauf: Arbeitslosigkeit, Arbeitsvolumen, Würde?

In der jüngsten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt Ralph Bollmann angesichts des gescheiterten Volkentscheides zum Grundeinkommen in Berlin darüber, wie sich die Lage verändert habe. Während vor vielen Jahren in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein BGE attraktiv erscheinen konnte, um den Zwängen des Arbeitsmarktes auszuweichen, sei es heute ganz anders. Der Mangel an Arbeitskräften nehme dieser Idee ihre Bedeutung und sie berge sogar die Gefahr, den Mangel noch zu verstärken (siehe einen früheren Kommentar von mir dazu hier). Dass es noch immer eine erhebliche Arbeitslosigkeit gibt, auch Langzeitarbeitslosigkeit, erwähnt Bollmann nicht.

Antwort worauf: Arbeitslosigkeit, Arbeitsvolumen, Würde? weiterlesen

Nicht überraschend, aber dennoch gut zu wissen – ein Blick hinter die Arbeitslosenstatistik…

…und die Frage, wie das wohl mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen wäre.

Arbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit

„So stark kann Arbeitslosigkeit die Gesundheit belasten“ – aber weswegen?

So wichtig diese Feststellung auf der Website der Sendung quarks ist, so genau muss doch auf die Erklärung dafür geschaut werden. Im Beitrag geht es um den Wandel der Arbeitswelt, den Arbeitsplatzverlust durch die Folgen der Maßnahmen in der Pandemie, aber auch um solche der Digitalisierung, also auch Automatisierung, und der Arbeitslosigkeit als solcher. „Als solcher“ – hier genau ist der Haken einer verkürzten Betrachtung, denn Arbeitslosigkeit bedeutet heutzutage nicht einfach „ohne Arbeitsplatz“ zu sein. Der Verlust des Arbeitsplatzes kommt einer normativen Degradierung gleich, dem Versetztwerden in einen unerwünschten Zustand. Genau das wird in dem Beitrag nur wenig berücksichtigt:

„Viele Forschende gehen davon aus, dass sich Arbeitslosigkeit auch auf das Netzwerk der Menschen auswirkt. Das liegt zum einen daran, dass der Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen verloren geht. Aber auch Beziehungen, die gar nicht im Arbeitsumfeld entstanden sind, können kaputtgehen.“

An anderer Stelle wird von „Schamgefühlen“ gesprochen, die mit Arbeitslosigkeit einhergehen, ja, aber weshalb denn?

„‚Schamgefühle durch die Arbeitslosigkeit sind ein weiterer Grund, der eine Teilhabe erschwert– und zwar auch bei jenen, die noch in Lohn und Brot stehen. „Dadurch kann der Abbruch der Beziehungen von beiden Seiten ausgehen“, so die Forschenden.

Viele Arbeitslose fühlen sich zudem stigmatisiert.

„So stark kann Arbeitslosigkeit die Gesundheit belasten“ – aber weswegen? weiterlesen

„Arbeitslose leiden oft unter Angstgefühlen“ – und was ist der Grund dafür?…

…damit befasst sich Karsten Paul im Interview im Zeit Magazin. Darin werden zwar keine überraschenden Einsichten geboten, welche psychische Folgen Erwerbslosigkeit haben kann, sie werden aber in aller Deutlichkeit angesprochen. Interessant sind dann solche Bemerkungen:

„Paul: Es gibt Untersuchungen, in denen Arbeitslosigkeit mit Jobs verglichen wurde, mit denen die Angestellten unzufrieden waren. Da fanden sich dann keine Unterschiede hinsichtlich der psychischen Gesundheit zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen, ganz im Gegensatz zu den Jobs, mit denen ihre Inhaber zufrieden waren. Nicht jede Art von Erwerbsarbeit fühlt sich also besser an, als keine Arbeit zu haben.“

Auch hier gilt zwar, dass es keine neue Einsicht darstellt, doch sollte sie zu denken geben angesichts der noch immer verbreiteten Vorstellung, es sei „(fast) jeder Arbeitsplatz […] besser als keiner“ (im verlinkten Beitrag S. 44).

„Paul: Es gibt Forscher, die sagen, Menschen, die vorher einen anerkannten und besser bezahlten Beruf hatten, geht es nach einem Stellenverlust schlechter als anderen, weil die Fallhöhe größer ist. Also der Unterschied vom vorherigen Beruf zur Arbeitslosigkeit. Aber nach unseren Daten ist das nicht so. Demnach scheint es Personen, die vorher schlechter bezahlte und eher wenig angesehene Berufe hatten, in der Arbeitslosigkeit schlechter zu gehen.

„Arbeitslose leiden oft unter Angstgefühlen“ – und was ist der Grund dafür?… weiterlesen

„Arbeitslosigkeit ist kein Zeichen von Armut, sondern ein Ausdruck der Produktivität und des Vermögens unseres Landes“…

…, so, und damit ziemlich ähnlich zu dem Zitat, lautete der Schlusspassus unserer dritten These, mit der wir im Winter 2003 anfingen, für ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu werben.

Als Erfolg kann sie allerdings nur dann zur Geltung kommen, wenn die Frage der Einkommenssicherung beantwortet wird (siehe hier).

„Ist das Arbeitslosengeld zu hoch, sinkt der Anreiz, sich einen Job zu suchen“ – von wegen Binsenweisheit…

…, die Behauptung passt gut zu meinem gestrigen Beitrag zur vermeintlichen „poverty trap“. Hier die wörtlichen Ausführungen Martin Kochers, Arbeitsminister Österreichs in einem Interview mit Der Standard. Kocher antwortet auf die Frage danach, was er von der Erhöhung des Arbeitslosengeldes halte:

„Kocher: Hierzu gibt es kaum Studien, es gab aber auch zuvor nicht solch eine Ausnahmesituation. Wir wissen aber, dass der Anreiz, sich einen Job zu suchen, sinkt, wenn das Arbeitslosengeld zu hoch ist. Das ist für sich genommen eine Binsenweisheit. Es geht also darum, wie das Modell aussieht. Deshalb war ich Verfechter eines Modells, wonach die Entschädigung am Anfang höher ist und dann absinkt. Generell würde ich es als schlecht empfinden, jetzt in der Krise das System zu ändern.“

Von wegen Binsenweisheit, ein Klischee ist diese simple Formel und nur aufrechtzuerhalten, wenn Befunde aus der dynamischen Armutsforschung nicht zur Kenntnis genommen werden. Wiederholt ist von verschiedener Seite darauf hingewiesen worden, dass es den schlichten Zusammenhang zwischen Höhe von Arbeitslosengeld oder anderen Einkommenssubstituten nicht gibt und die Behauptung nur am Leben erhalten werden kann, weil bestimmte Annahmen gesetzt werden.

„Ist das Arbeitslosengeld zu hoch, sinkt der Anreiz, sich einen Job zu suchen“ – von wegen Binsenweisheit… weiterlesen

„…denn Arbeitslosigkeit ist ein großes Gift für die Menschen individuell und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt…“…

…eine doch erstaunlich affirmative und undifferenzierte Einschätzung, die Achim Truger, Mitglied des deutschen Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auf Kontrast (Österreich) abgegeben hat. Hier die ganze Passage:

„DIE ARBEITSLOSIGKEIT IST DURCH DIE CORONA-KRISE STARK ANGESTIEGEN, ABER AUCH DAVOR GAB ES SCHON EINE HOHE SOCKELARBEITSLOSIGKEIT IN VIELEN STAATEN DER EU. AUCH IN ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND. IST VOLLBESCHÄFTIGUNG ÜBERHAUPT NOCH EINE PERSPEKTIVE?
Truger: Vollbeschäftigung muss eine Perspektive sein, denn Arbeitslosigkeit ist ein großes Gift für die Menschen individuell und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Insofern sollte die Wirtschafts- und Finanzpolitik alles tun, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das beginnt bei einer konjunkturgerechten Makropolitik mit starken öffentlichen Investitionen, die sich nicht an willkürlichen Kredit- oder Schuldengrenzen, sondern am nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlergehen orientiert.
Es umfasst dann natürlich viele weitere Bereiche wie die Bildungs- und Forschungspolitik, sowie die Industrie-, Regional- und Strukturpolitik. Von zentraler Bedeutung ist auch eine gezielte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik mit starken Tarifparteien und starkem Sozialstaat.“

„…denn Arbeitslosigkeit ist ein großes Gift für die Menschen individuell und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt…“… weiterlesen