„Grundeinkommen in der Schweiz: Dagegen und trotzdem irgendwie dafür“…

…ein anderer Blick auf die Debatte in der Schweiz im Standard aus Österreich. Interessant ist der Hinweis auf die Haltung Thomas Straubhaars, dass die Schweiz der falsche Ort für ein Experiment sei, denn die Arbeitlosigkeit sei niedrig. Deswegen werde er gegen die Volksinitiative votieren. Weshalb befürwortet er es dann im Allgemeinen? Das lässt sich dann wohl nur damit erklären, dass er ein BGE als Mittel gegen Arbeitslosigkeit betrachtet (siehe auch hier). Es ist aber viel mehr als das und von Arbeitslosigkeit gar nicht abhängig.

„Wie die Jobcenter Arbeitslose in die Armut treiben“…

…einen Einblick in die Absurditäten und Fallen des gegenwärtigen Sozialstaats gibt ein Beitrag der Süddeutschen Zeitung.

Aus dem Ende des Beitrags:

„…Auch Julia Meier sollte im Augenblick auf neue Schulden verzichten. Seit knapp drei Jahren ist sie im Insolvenzverfahren. Dabei muss sie sich auf ein geringes Einkommen beschränken und weitere Kredite könnten ihr Verfahren scheitern lassen. Für ein neues Bett und einen Kühlschrank hat sie beim Jobcenter deshalb Beihilfe beantragt. „Da Sie diese Gegenstände schon einmal besessen haben, ist eine Bewilligung als Beihilfe (…) nicht mehr möglich“, antwortet ihr das Amt. Aber: „Es besteht die Möglichkeit, ein Darlehen zu beantragen.“

Statistik und das konkrete Leben…

…Einblick in diese Diskrepanz gibt ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung „Arbeitslos trotz Vollbeschäftigung“. Darin wird deutlich, wie weit ökonomische Modelle und Individualsituation auseinanderklaffen. Während die einen z.B. Vollbeschäftigung unter Akademikern feiern, wüssten die anderen zu berichten, was es heißt, wenn man sich anhaltend erfolglos bewirbt. Statistische Relationen in einem Modell wie dem von Vollbeschäftigung, sagen nichts darüber aus, wie sich die Lage jeweils für einen konkreten Menschen darstellt. Statt abstrakt Modelle zu feiern, muss die Gegenwart daran gemessen werden, welche Möglichkeiten sie dem Einzelnen bietet, trotz erfolgloser Beschäftigung dennoch seinen Neigungen noch folgen zu können, ohne außen vor zu sein. Das aber wäre erst mit einem BGE möglich.

Recht auf Arbeitslosigkeit – ein Lied von Goetz Widmann

In seinem Lied „Das Recht auf Arbeitslosigkeit“ hat Goetz Widmann die herrschende Fixierung auf Erwerbsarbeit treffend und suggestiv deutlich gemacht. Auch wenn er, was die zeitliche Perspektive angeht, etwas verhalten ist, so wird doch klar, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen – auch wenn er es nicht namentlich erwähnt – die Möglichkeiten eröffnet, auf die es ihm ankommt. Allerdings ist es für die Macht der Ideologie der Erwerbsarbeit auch bezeichnend, dass ihm im Text ein Zugeständnis an ebendiese Ideologie unterläuft, wenn er es so erscheinen lässt, als sei Leistung notwendig an Erwerbsarbeit gekoppelt und als müsse man den Leistungsbegriff aufgeben, wenn man die Ideologie der Erwerbsarbeit aufgibt. Aber sprechend ist, wie das Lied den Erwerbsarbeitsfanatikern einmal kraftvoll vor Augen führt: „Der Mensch, er ist der Mensch, und nicht die Rote Waldameise…“

Thomas Loer

Arbeitslosigkeit – „Die Zeit heilt keine Wunden“

Angesichts des notorischen Vorurteils, in der Arbeitslosigkeit würde es sich gar nicht so schlecht leben, erinnert dieser Beitrag in der FAZ an Forschungsergebnisse, die dazu vorliegen. Überraschend sind sie nicht, wer sich schon länger mit dem Phänomen beschäftigt und statt quantitativer fallrekonstruktive Studien durchgeführt oder gelesen hat, der ist mit der Dynamik von Stigmatisierung vertraut.

Angesichts des Loblieds auf die Erfolge der Agenda 2010 sei auch auf den Artikel von Sonja Fehr und Georg Vobruba zur Sache hingewiesen.

„Das kleine Einmaleins der Arbeitslosenstatistik“

Angesichts erneuter Meldungen zur „niedrigsten Arbeitslosigkeit“, die auch gut informierte und nachdenkliche Journalisten beeindruckt, sei wieder einmal darauf verwiesen, wie sehr es hier um statistische Kunstwelten geht, die manchmal sehr wenig mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Zur Schärfung des Blicks sei ein Beitrag über „Arbeitslosenstatistik“ empfohlen und auf einen früheren Beitrag von uns hingewiesen: „So viele Erwerbstätige wie nie zuvor“.

„Volkskrankheit Arbeitslosigkeit“ – ein Blick nach Frankfreich auf Arte

ARTE richtet heute abend mit mehreren Beiträgen den Blick auf die Arbeitsmarktentwicklung in Frankreich und vergleicht sie mit Deutschland. Im hier genannten Beitrag geht es auch um Wiedereingliederungsmaßnahmen für Erwerbslose, deren Absurdität an deutsche Verhältnisse erinnert. Der Film wird am 23.02.2012 um 10:45 wiederholt. Über die deutsche Lage berichtet ein anderer Film, der ebenfalls am 23.02.2012, um 11.50 Uhr, wiederholt wird: Gemeinsam sind wir stark!
Film bei youtube anschauen

Leerlaufende Abwehr – Daniela Schneckenburger (Bündnis 90/ Die Grünen) zum bedingungslosen Grundeinkommen

„Leerlaufende Abwehr“ – so könnte das Interview mit Daniela Schneckenburger, „grüne Landeschefin“ in Nordrhein Westfalen („Radikale Alternativen sind gerade attraktiv“, taz vom 1.12.2006) übertitelt werden. Anläßlich der Bundesdelegiertenkonferenz in Köln geführt, stößt man in diesem Interview zwar nicht auf interessante oder beachtenswerte Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Statt dessen können wir es vielmehr als Dokument dafür betrachten, wie sehr die Gegner damit ringen, sich die Idee vom Leibe zu halten.

An einer Stelle des Interviews heißt es: „…Ich halte diese Idee [des bGE, SL], wie auch Teile der Gewerkschaften, für eine Stilllegungsprämie, die endgültige Resignation vor der Arbeitslosigkeit.“ Ganz abgesehen davon, daß Menschen nicht stillgelegt werden können – es sei denn, man zählt sie zu den Überflüssigen, wie es heute zum guten reaktionären Ton gehört – ist diese Aussage bezeichnend. Sie spricht uns Bürgern nämlich die Fähigkeit ab, uns gegen Stillegungsversuche zu wehren. Was traut uns Frau Schneckenburger denn noch zu, wenn sie diese Gefahr sieht? Offenbar gar nichts, ihre Äußerung bezeugt nur eine bevormundende Haltung, die sich heute den Mantel der Fürsorge gerne umlegt und sich um unser Wohl vermeintlich sorgt – unser Wohl, das von ihr definiert wird.

Besonders deutlich wird dies, wo die Interviewerin auf die Initiative fördernde Wirkung des Grundeinkommens hinweist und Frau Schneckenburger antwortet: „…Das ist eine sehr idealistische Sicht. Machen wir uns nichts vor: In dieser Gesellschaft ist Arbeit, vor allem bezahlte Arbeit, für viele Menschen sinnstiftend. Nicht jeder Mensch hat die Fähigkeit, aus sich selbst heraus eine Betätigung zu finden…“. Wenn denn bezahlte Arbeit für viele sinnstiftend ist, dann müssen wir uns keine Sorgen darum machen, was die Bürger nach Einführung eines solchen Grundeinkommens tun werden. Aber, aus dieser Regel, in die man vertrauen könnte, folgt für Frau Schneckenburger nicht das, was naheläge. Sie stellt die Erfahrung, in der Regel engagieren sich die Bürger für ihren Beruf, auf den Kopf. Nur weil nicht jeder – also nicht alle, aber doch die meisten – in der Lage sei, aus sich heraus eine Betätigung zu finden, wäre ein solches Grundeinkommen nicht der richtige Weg. „Zwang zur Vermittlung in Arbeit“ mache „keinen Sinn“, so Frau Schneckenburger weiter. Doch, was ist denn eine Erwerbsverpflichtung anderes als Zwang, wenn man sich nur unter Inkaufnahme von Sanktionen dagegen entscheiden kann? Also, alles schönes Gerede. „Aktive Arbeitsmarktpolitik“, die ihr so am Herzen liegt, kann es genauso geben, wenn ein Grundeinkommen eingeführt wird. Werden wir sie noch benötigen? Das können wir dann sehen, wenn es so weit ist.

Die Geistesverwandtschaft mit Hartz IV fällt der Interviewerin auf. Sie fragt, worin der Unterschied zwischen Hartz IV und den Vorstellungen der Grünen bestehe. Darauf die Antwort: „Menschen ohne Arbeit brauchen mehr als Heizung, Kleidung und Essen. Sie müssen auch am gesellschaftlichen Leben teil nehmen können, ihr Kind zum Beispiel ein Instrument spielen lassen. Das Einkommen muss höher sein als das jetzige Arbeitslosengeld II.“ Tatsächlich? Eine mutige Antwort, die der Frage geschickt ausweicht, denn mit einem entsprechend hohen Grundeinkommen wäre das kein Problem.

Um zu sehen, wie weit es mit bürgerschaftlichem Denken her ist, sei zum Schluß noch eine andere Passage zitiert: „…Völlig absurd würde es, wenn – wie in manchen Konzepten gedacht – das Grundeinkommen jeder erhalten soll. Denn warum soll jemand ein Existenzminimum kriegen, der ein hohes Einkommen oder Vermögen hat?“ So spricht, wer nicht die Bürger als Bürger gleichstellen will, wer also das Grundeinkommen nicht als Bürgereinkommen betrachtet, sondern als barmherzige Gabe. Was unterscheidet denn „Vermögende“ von anderen hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser Gemeinwesen? Nichts. Sie sind gleich. Nur wenn das bedingungslose Grundeinkommen unabhängig von den Einkommen betrachtet wird, die durch eine Leistungserbringung zusätzlich erzielt werden, ist es in seiner ganzen Bedeutung begriffen. Erst dann hätten wir uns eine freiheitliche Ordnung gegeben, die die Menschen nicht nach ihrem Einkommen bewertet, sondern danach, was sie damit tun: Investieren sie, sollten sie steuerfrei bleiben, konsumieren sie Leistungen, sollten sie besteuert werden.

Sascha Liebermann