Kindergrundsicherung gegen Grundeinkommen oder: Kinder absichern ohne Eltern

vorwärts hat in diesem Jahr schon einige Beiträge über das Grundeinkommen veröffentlicht. Nun meldet sich dort Alexander Nöhring, Geschäftsführer des Zukunftsforum Familie, ein familienpolitischer Fachverband der Arbeitwohlfahrt, mit dem Beitrag „Die Kindergrundsicherung ist besser als ein Grundeinkommen für alle“, zu Wort. Er war unter anderen als Experte in der Anhörung im Landtag von Nordrhein Westfalen zu Kindergrundsicherung und Bedingungslosem Grundeinkommen geladen, von der wir berichtet haben (hier, zu den Expertenstellungnahmen geht es hier).

Es entbehrt nicht der Ironie, dass ein Verein wie das Zukunftsforum Familie, der sich als Vertreter von Familieninteressen versteht, vorwiegend für Erwerbsbeteiligung argumentiert, statt dafür, Eltern mehr Freiraum dafür zu verschaffen, sich der Aufgabe Elternschaft stellen zu können.

Im Beitrag heißt es ziemlich zu Beginn:

„Als ZFF sehen wir die Gefahr, dass die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) Anstrengungen zu einer sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik, wie beispielsweise tarifvertraglichen Errungenschaften, entgegensteht. Bei den Befürworter*innen des Grundeinkommens ist auch der gesetzliche Mindestlohn umstritten. Das ZFF hingegen ist der Überzeugung, dass die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden dürfen, für existenzsichernde und rentenfeste Löhne zu sorgen und die Realisierung von Bedingungen guter Arbeit zu erreichen, wie beispielsweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Lohngerechtigkeit, Work-Life-Balance und Gesundheitsmanagement.“

Eine Gefahr kann man in allen Vorschlägen erkennen, deren Auswirkungen nicht genau zu bestimmen sind, will sagen, die zwar Möglichkeiten schaffen, aber nicht garantieren, dass diese Möglichkeiten auch ergriffen werden. Dann müsste so ziemlich alles abgelehnt werden, das vom Bestehenden wegführt. Möglichkeiten haben es jedoch so an sich, dass sie auch nicht genutzt werden können und es ist gerade die Demokratie, die auf das selbstbestimmte Ergreifen bzw. Nicht-Ergreifen von Möglichkeiten setzt, statt das Ergreifen derselben vorzuschreiben. Statt abstrakt über Gefahren zu sprechen wäre doch auszuloten, welche Möglichkeiten ein BGE denn nun schüfe im Vergleich zum bestehenden Sozialstaat. Das geschieht in dem Beitrag jedoch nicht, sonst würde der Autor sich klar machen, weshalb ein ausreichend hohes BGE einen Mindestlohn (siehe auch hier) nicht mehr erforderlich macht, ein zu niedriges hingegen ihn womöglich notwendig machte.

Was die Arbeitgeber nicht alles leisten sollen. Die Frage wäre doch, ob es ihre Aufgabe ist und sein kann, ob sie dies Verantwortung überhaupt tragen können, all das zu leisten, was der Autor erwartet. Oder ob nicht vielmehr dies alles leichter erreichbar wäre, wenn die Arbeitnehmer über die entsprechende Verhandlungsmacht verfügten, dann könnten sie für vieles selbst streiten. Wo das nicht ausreicht, könnte über allgemeine Regelungen immer noch nachgedacht werden. Verhandlungsmacht wird es aber erst dann in jeder Lebenslage geben, wenn der eigene Lebensunterhalt unabhängig von einem Erwerbsverhältnis gesichtert ist. Genau das leistet ein BGE, eine Kindergrundsicherung hingegen nicht. Für die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf sei hier auf meinen älteren Beitrag verwiesen.

Weiter heißt es:

„Darüber hinaus erkennt das ZFF in einem BGE einen Widerspruch zum Ziel der Geschlechtergerechtigkeit: Es stünde dem feministischen Ideal einer eigenständigen Erwerbstätigkeit als emanzipatorische Praxis gegenüber. Zudem könnte es dazu führen, die aktuelle „Care-Krise“ zu verschärfen, anstatt sie zu mildern: Gut bezahlte (männliche) außerhäusliche Erwerbsarbeit stünde einer (weiblichen) privaten Fürsorgetätigkeit gegenüber, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zwar abgesichert, aber nicht ebenso gut entgolten wäre.“

Wer Emanzipation als Fortschritt hin zur weiteren Befestigung eines Arbeitsbegriffes versteht, in dessen Zentrum Erwerbstätigkeit steht – dann muss das so gedacht werden wie in dem Beitrag. Wenn Emanzipation aber Selbstbestimmung in Gemeinschaft, Freiraum zum Ergreifen von Möglichkeiten in alle Richtungen des Tätigseins heißt, dann geht das nicht ohne BGE. Nöhring bemerkt nicht, dass eine weitere Ausdehnung von Erwerbstätigkeit ihren normativen Vorrang weiter bekräftigt und gerade Fürsorgeeaufgaben in der Familie und darüber hinaus weiter herabsetzt.

Zu betonen, dass „eigenständige Erwerbstätigkeit“ emanzipatorisch sei, heißt letztlich, die Familie als Schonraum für Intimität und Nähe aufzugeben, denn, wer vollerwerbstätig ist, kann nicht mit den Kindern zuhause sein. Als sei es nicht schon länger ein Missstand, wenn Eltern – faktisch meist Väter – so wenig zuhause präsent sind, weil Vollerwerbstätigkeit dies eben nicht erlaubt. Nun soll dieser Missstand noch auf Mütter ausgehnt werden, damit wenigstens beide nicht da sein können. Worin besteht da der Fortschritt? Es ist ein Fortschritt, der den Schonraum Familie zerstört und an ihrer Statt die Zeit, die Kinder in Betreuungseinrichtungen verbringen sollen, weiter erhöht. Statt eine Sozialpolitik fortzuführen, die genau dahin strebt, würde ein BGE Freiräume öffnen, es würde gerade Eltern signalisieren, dass sie dazu ihre Haltung finden sollen, ohne ein bestimmtes Ziel anstreben zu sollen, heute die Rückkehr in Erwerbstätigkeit. In dem Moment, da Eltern unabhängig von Erwerbseinkommen dies entscheiden könnten, stellt sich nicht mehr die Frage, wer besser verdient – die heute manchmal bittere Realität, manchmal eine Ausrede und manchmal Ausdruck einer bewussten Entscheidung ist. Soll denn verwehrt werden, sich für das Zuhausebleiben zu entscheiden, ganz gleich, ob das „gleich“ oder „ungleich“ verteilt wäre? Wo keiner mehr muss, zeigt sich die Verantwortung für Fürsorge um so stärker – Ausreden wie heute – Erwerbstätigkeit – gibt es dann nicht mehr.

Aufklärung über den Emanzipationsbegriff folgt auf den Fuß:

„Für das ZFF steht die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums durch eigenständige Erwerbsarbeit an erster Stelle. Diese sorgt nicht nur für gesellschaftliche Wertschöpfung, sondern kann gleichfalls die Emanzipation von wirtschaftlicher Abhängigkeit unterstützen. Darauf hat u.a. auch Christoph Butterwegge in seinem Beitrag zu dieser vorwärts-Debatte hingewiesen.“

Es setzt sich fort, was wir schon diagnostizieren konnten: Individualistisch ganz im Sinne des erfolgreichen Marktakteurs argumentiert Nöhring hier. Das ZFF setzt sich – so kann man daran erkennen – nicht für Familie ein, sondern dafür, Familie der Erwerbstätigkeit und individualistischer Selbstversorgung nachzuordnen. Aus dem Blick gerät dabei, was Familie wie jede andere Lebensgemeinschaft auszeichnet, dass es keine, einzelnen Personen zuzuordnende Einkommen geben kann, sondern alle Einkommen immer Familieneinkommen sind, sonst ist es keine Lebensgemeinschaft. Das Gemeinschaftliche im Leben besteht bei Familie und Paarbeziehungen gerade darin, dass das Leben ein gemeinsames und kein separates ist. Wer Emanzipation daran festmacht, über eine unabhängige Einkommensquelle zu verfügen, hebt das gemeinschaftliche Leben gerade auf (siehe auch hier), reißt es auseinander. Dass unser Sozialstaat heute auf diese Eigenheiten nur ungenügende Antworten bietet, wie z. B. die lächerliche Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, steht auf einem anderen Blatt. Das BGE würde genau diesbezüglich eine große Verbesserung darstellen, aber nicht gegen, sondern mit Gemeinschaft. Es würde nicht weiter die Illusion nähren, dass Einkommen Individualverdienst seien und statt dessen deutlich machen, wie sehr hinter jedem Einkommen Gemeinschaftsleistungen stehen.

Indem Nöhring den Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung herausstellt, der durch Erwerbsarbeit erfolge, degradiert er die Leistungen von Familie zum Privatvergnügen – für einen solchen Verein, der Familieninteressen zu vertreten behauptet, erstaunlich. Wie soll Familie da eine Zukunft haben?

„Der Satz „Dem Staat und der Gesellschaft sollte jedes Kind gleichviel wert sein“ gewinnt hier eine besondere Bedeutung: Als ZFF meinen wir, dass dies nicht bedeutet, dass auch alle gleichviel ausbezahlt bekommen müssen. Es muss aber sichergestellt sein, dass alle Kinder auch tatsächlich ein Existenzminimum erhalten, welches zum Leben ausreicht und die soziokulturelle Teilhabe ermöglicht. Und um es deutlich zu sagen: Die derzeitigen Kinderregelsätze im SGB II/XII sind hierfür zu gering!“

Ganz konsequent der Linie einer individualistischen Vorstellung folgend wird für eine Kindergrundsicherung argumentiert, ohne nur ins Auge zu fassen, dass Kinder viel Zeit mit ihren Eltern – und anderen für sie wichtigen Personen – für ihr Wohlergehen benötigen. Dazu leistet eine Kindergrundsicherung keinen Beitrag, sie nährt nur die Ilusion, das Kindeswohl könne ohne die Eltern betrachtet werden:

„Das Konzept der Kindergrundsicherung könnte genau dies leisten. Im Rahmen des Bündnisses Kindergrundsicherung streiten wir deshalb zusammen mit vielen weiteren namhaften Verbänden (u.a. Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Kinderschutzbund, Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, pro familia Bundesverband, Naturfreunde Deutschland, Verband berufstätiger Mütter) und Wissenschaftler*innen für dessen Realisierung.“

Wer für mehr Erwerbstätigkeit der Eltern streitet, weil sie zu „gesellschaftlicher Wertschöpfung“ beitrage, hat eine Vorstellung vom Wohlergehen von Kindern, ohne an Eltern zu denken, ohne daran zu denken, dass gemeinsame Erfahrungen Zeit benötigen. Das Zusammenleben wird darauf reduziert, zur Wertschöpfung beizutragen, ohne dass die anderen Beiträge zum Fortbestehen des Gemeinwesens durch sozialisatorische Leistungen von Familien oder das Engagment der Bürger überhaupt erwähnt wird. Manche würden womöglich die Haltung, die hier gegenüber Familie an den Tag gelegt wird, als „neoliberal“ bezeichnen.

Sascha Liebermann

Wie Podiumsdiskussionen nicht weiterführen,…

…das hat mich eine Veranstaltung an der Universität Köln am vergangenen Samstag gelehrt. Leider beherrschte der Hang zur Polarisierung die Veranstaltung. Das lag nicht an den Veranstaltern, die alles gut vorbereitet hatten. Es lag am Podium. Auch fehlte es an Schlagworten nicht, von denen ausgehend Klärungen hätten angestrebt werden können, statt alles in einen Topf zu rühren. Besonders misslich war es, dass in einer Diskussionsveranstaltung an einer Universität, Werturteile und -haltungen nicht genügend von Analyse unterschieden wurden. Sie auseinanderzuhalten wäre einer Universität gemäß gewesen, denn was die Podiumsteilnehmer für richtig und falsch halten, tut nichts zur Sache, wenn es um Analyse geht. Das führte an etlichen Stellen dazu, dass z.B. Christoph Butterwegge sich aus einer Äußerung dasjenige herauspickte, was ihm nicht zusagte, um darauf herumzureiten, andere Aspekte einer Äußerung jedoch schlicht unter den Tisch fallen ließ. Schon zu Beginn wurden BGE-Befürworter von ihm als Sekte bezeichnet, die mit einem Tunnelblick umherliefen – war das Podium da gleich mit angesprochen? Dass es solche Phänomene gibt, ist unbestritten, doch was tut das in einem solchen Rahmen zur Sache? Wenn dann noch Podiumsteilnehmer dafür verantwortlich gemacht werden, was andere zum selben Thema gesagt haben, ist es äußerst schwierig, über eine Sache zu diskutieren. Christoph Butterwegges Überlegungen waren für diejenigen nicht überraschend, die jüngere Äußerungen von ihm kannten (siehe meinen Kommentar hier).

Dass bei alldem dennoch manch interessante Äußerung fiel, möchte ich diese hier kurz kommentieren, da sie für die Diskussion im Allgemeinen von Belang sind. Als Zitate markierte Stellen geben sinngemäß wieder, was meiner Erinnerung nach gesagt wurde.

Sehr deutlich war der Hinweis von Steffen Roth darauf, dass Modellsimulationen zum BGE, die Aussagen über zukünftiges Handeln von Menschen machen wollen, unbrauchbar sind. So hatte sich vor einiger Zeit auch Alexander Spermann geäußert. Das hört man nicht so oft von Wirtschaftswissenschaftlern, eher werden Simulationen wie Tatsachen behandelt, wie z.B. jüngst in einem Beitrag auf Ökonomenstimme. Ich habe es selbst schon öfter in Diskussionen erlebt, dass auf der einen Seite zwar eingeräumt wird, dass Simulationen keine Aussagen über Wirklichkeiten treffen, sie auf der anderen Seite aber, wenn es darauf ankommt, wie Wirklichkeitsaussagen behandelt werden. Bei all den Simulationsmodellen sowie der Frage nach der Finanzierung setzt sehr schnell eine Taschenrechnerhaltung ein. Gegenwärtige Einnahmen und Ausgaben werden auf das BGE übertragen und dann gezeigt, dass es nicht finanzierbar sei – da war sich Butterwegge ganz sicher. In den wenigsten Fällen wird überhaupt berücksichtigt, dass mit einem BGE die gesamte Grundlage der Wertschöpfung sich verändern würde, weil die Entscheidungen für ein Engagement, sei es erwerbsförmig oder nicht, auf einer anderen Grundlage stattfänden. Diese womöglich positiven Auswirkungen lassen sich zwar nicht beziffern, sie aber abzutun ist fahrlässig, denn wir wissen nichts darüber, inwiefern heutige Erwerbsarbeitsbedingungen das Entstehen von Wertschöpfung verhindern. Wer also einschätzen will, was mit einem BGE geschehen könnte, muss all dies in Betracht ziehen.

Steffen Roth wies darauf hin, dass er es für problematisch halte, wenn über einen solchen Vorschlag hinaus, wie das BGE einer ist, dann noch Überlegungen mit ihm verbunden werden, was Menschen zu tun haben, wenn sie ein BGE erhalten. Da trifft er durchaus einen Punkt in der Grundeinkommensdiskussion, denn auch manche Befürworter meinen es mit der Bedingungslosigkeit nicht ganz ernst. Roth führte aus, dass dies darauf hinauslaufe zu definieren, was ein „gutes Leben“ sei, wie es auszusehen habe. Das wäre in der Tat Bevormundung. Was er allerdings nicht erwähnte, war, dass die Entscheidung, Einkommen über Erwerbstätigkeit erzielen zu sollen, wie es heute für selbstverständlich gehalten wird, ebenso eine Vorstellung von „gutem Leben“ definiert. Sie besagt: „Alle sollen erwerbstätig sein, weil sie so einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten und sich selbst versorgen“. Dieser Eingriff ist normativ erheblich, keineswegs ethisch neutral, wie so oft auch von Wirtschaftswissenschaftlern behauptet. Was hieran gesehen werden kann ist, dass es keine „neutralen“ Konstellationen im wirklichen Leben gibt. Es werden immer normative Entscheidungen getroffen. Sie unterscheiden sich nur darin, welche Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen eingeräumt werden, woran sein Stellenwert bemessen wird, ob er um seiner selbst und des Gemeinwesens selbst willen etwas gilt oder nicht. Ein BGE würde eben dem Einzelnen um seiner selbst willen durch das Gemeinwesen Anerkennung verschaffen, ohne dass er etwas zu tun hätte.

Es war an dieser Stelle der Schritt nicht weit, um über Freiheit und Abhängigkeit zu sprechen, die dann schnell gegeneinander gestellt werden. Das BGE, so auch Roth, greife durch die Entscheidung, erhebliche öffentliche Mittel für es bereitzustellen, in die Freiheit der anderen ein, die ein BGE gar nicht bräuchten. Auf diese Argumentation stößt man häufig im Zusammenhang mit der öffentlichen Alimentierung von Kultureinrichtungen, Hochschulen, dem Nahverkehr usw. Dort würden aus allgemeinen Steuermitteln Leistungen vorgehalten, von denen zum einen diejenigen profitierten, die es sich ohnehin leisten könnten, dorthin zu gehen, zum anderen diejenigen sie mitzutragen hätten, die sie gar nicht nutzen. Wo diese so gegeneinandergestellt wird, muss die Frage gestellt werden, ob es ein so reichhaltiges Kulturleben ohne öffentliche Alimentierung geben könnte. Die ganz praktische Frage ist dann auch, halten wir das für ein vor allem privates oder vor allem öffentliches Gut? Daran entscheidet sich die Gestaltung, ganz wie bei der Diskussion um Studiengebühren.

Außerdem werde die Abhängigkeit des Einzelnen vom „Staat“ durch ein BGE noch erhöht im Vergleich zu heute – so Roth, aber auch Butterwegge – da dieser dann ja das BGE bereitstelle. Weil dies bei Sozialversicherungen nicht so sei, so Butterwegge, ziehe er sie vor. Sie könnten nicht oder nicht so leicht zum Spielball politischer Gemengelagen werden wie das BGE, das mit jedem neuen Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministeriums in Frage gestellt werden könnte. Nun, dagegen ließe sich Rechtssicherheit schaffen, in dem das BGE gesetzlich verankert würde. Darüber hinaus ist es Ausdruck eine politischen Kultur, wie sie mit solchen Leistungen umgeht. Gesetze sind keine dauerhaften Garantien, wenn der politische Wille, sie zu erhalten, fehlt. Die Ansprüche an Sozialversicherungen jedoch unterliegen den Folgen politischer Entscheidungen ebenso wie die Anpassungen bei den Renten, dem Arbeitslosengeld und ähnliches zeigen. Dass Butterwegge dann das BGE noch als Almosen bezeichnete, machte deutlich, wie unwillig er war, sich darauf einzulassen. Almosen sind mildtätige Gaben, Mitleid ist der Beweggrund, nicht aber die Stellung einer Person im Gemeinwesen, wie es für das BGE gelten würde. Nicht die Bundesregierung stellt ein BGE je nach gusto bereit, sondern das Gemeinwesen, das sie repräsentiert. Das sind zwei ziemlich verschiedene Paar Schuh.

Wenn statt eines BGE eine „repressionsfreie Grundsicherung“ (siehe meine Kommentare dazu hier, hier und hier) vorgezogen wird, so Butterwegge, kann man ober der Schlagworte nur staunen. Wie soll eine Grundsicherung „repressionsfrei“ sein, wenn sie doch nur als kompensatorische Leistung konstruiert ist, die das Fehlen von Erwerbseinkommen ausgleichen soll? Es erhält sie nur derjenige, der kein Erwerbseinkommen erzielt, wodurch Erwerbseinkommen das normative Gebot bleibt. An ihm wird gemessen, was der Einzelne beigetragen hat. Alleine dadurch schon werden Bezieher stigmatisiert, die nicht erwerbstätig sind. Nicht von ungefähr sind in allen Systemen sozialer Sicherung, die solche Leistungen kennen, Bedürftigkeitsprüfungen eingebaut. Die Leistungsbezieher sollen, so das Ziel der Leistungen selbst, diesen Zustand wieder verlassen können. Damit ist klar, woher der Wind weht. Wer also dennoch dauerhaft Leistungsbezieher bleibt, muss sich immer wieder rechtfertigen, weil er etwas tut, was nicht vorgesehen ist. Das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung. Kann Butterwegge das ernsthaft nicht gesehen haben – oder nicht gesehen haben wollen? Auf einen Hinweis meinerseits, dass stigmatisierende Effekte solcher Leistungen nur dann aufgehoben würden, wenn es ein dauerhaftes, anders legitimiertes Mindesteinkommen gäbe, so wie es das BGE vorschlägt, räumte er ein, dass Erwerbsarbeit seiner Auffassung nach an erster Stelle stehen müsste. Von einer „repressionsfreien Grundsicherung“ zu reden oder davon, dass der heutige Sozialstaat „patriarchal autoritär“ sei, ist dann nur kritische Kosmetik. Kein Wunder also, wenn Butterwegge in seinen Veröffentlichungen affirmativ davon spricht, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft lebten.

Ebenfalls bezeichnend war, wie mit dem Thema Familie (frühere Kommentare von mir dazu hier und hier) umgegangen wurde. Es spielte die ganze Zeit keine Rolle, bis dann eine Frage aus dem Publikum sich darauf richtete, ob denn mit einem BGE nicht das Verständnis von Arbeit erweitert werde, ob also auch Tätigkeiten damit Anerkennung fänden, die heute nachlässig behandelt werden, z.B. in der Familie. Butterwegge entgegnete, dass er, wenn er sich mit seiner Tochter befasse, nicht von Arbeit sprechen würde, das verbitte er sich. Da ist durchaus etwas dran, denn Arbeit hat immer ein Gegenüber, das bearbeitet wird. Es ist insofern naheliegend, dass wir den Arbeitsbegriff meist für Tätigkeiten reservieren, in denen es um die Bereitstellung von standardisierten Gütern und Diensten geht, nicht aber für Dienste am Menschen. Dort wird häufig von Patienten oder Klienten gesprochen. Weiterhin ist der Arbeitsbegriff heute meist mit der Einkommenserzielung verbunden, so dass ganz selbstverständlich von Arbeit dort gesprochen wird, wo es um bezahlte, also für eine Markt geleistete Arbeit geht. Butterwegge ging mit seiner Antwort allerdings an der Frage vorbei, die auf eine Gleichordnung von Tätigkeiten zielte. Stattdessen plädierte er dafür, Erzieher besser zu bezahlen. Was hatte das mit der Frage zu tun? Dass ein BGE etwas ermögliche, was heute mehr und mehr rechtfertigungsbedürftig wird: sich nämlich selbst um die eigenen Kinder zu kümmen, solange Eltern das für sinnvoll halten, ist für Butterwegge kein Thema. Abgesehen vom Erwerbsgebot und seiner normativen Aufladung können gerade diejenigen mit niedrigen Einkommen es sich nicht erlauben, für die Kinder zuhause zu bleiben, was sie dazu zwingt, früh wieder erwerbstätig zu werden. Das Elterngeld verstärkt diesen Zustand nur.

Als ich darauf hinwies, dass ein BGE in einem Haushalt kumuliere und gerade Familien mit niedrigerem Einkommen heute relativ deutlich besser stellen würde, darüber hinaus noch das Engagement in der Familie anerkannt (nicht bezahlt) würde, weil das BGE an die Person nicht an die Leistung gebunden sei, beantwortete er mit einer flapsigen Bemerkung. Jetzt fehle ja nur noch, sinngemäß, die Befürwortung des Betreuungsgeldes (siehe meinen Kommentar hier). Dass ein BGE hingegen Familie aufwertet, ohne zugleich andere Optionen wie Krippe oder Kindergarten abzuwerten, dafür war kein Platz in dieser Diskussion.

Was hielt Butterwegge noch entgegen? Er sei für einen Mindestlohn von 10 bis 12 Euro. Ein Mindestlohn von 12 Euro würde bei einer 40-Stunden-Woche gerade einmal zu einem Einkommen von 1920 Euro führen. Also gerade diejenigen, die von einem solchen Mindestlohn abhängig wären, erhielten relativ wenig Spielraum für ihre Entscheidungen, sofern sie mehr Zeit für die Familie haben wollten. Wenn Butterwegge auch an diesem Abend wieder das Verhältnis von Arm und Reich in Deutschland beklagte, will er offenbar keinen weiter reichenden Schritt gehen, als den Mindestlohn ein wenig zu erhöhen. An der Stigmatisierung derer, die noch andere wichtige Aufgaben sehen als Erwerbstätigkeit, will er offenbar festhalten. Das passt so gar nicht zum Kampf für die Armen.

Flapsig ist er mit der Frage danach umgegangen, ob uns denn nicht die Arbeit ausgehe, wie es durchaus missverständlich manchmal heißt. Es geht dabei natürlich nur um Erwerbsarbeit, bezahlte Arbeit. Die Entwicklung des Arbeitsvolumens pro Kopf für Deutschland spricht eine deutliche Sprache, wie unten zu sehen ist. Auch ist der Trend des Absinkens seit 1880 belegt. Differenzierte Debatten gibt es zur Frage, wie das zu erklären sei, eine eindeutige Antwort steht offenbar aus. Darüber einfach, wie Butterwegge es tat, hinwegzugehen, ist unseriös.

 

Abbildung: Arbeitsvolumen pro Kopf in Deutschland 1960-2010, bis 1990 Westdeutschland, ab 1991 West- und Ostdeutschland. Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Statistisches Taschenbuch, eigene Berechnung. (Die Grafik ist dem Beitrag von Kai Eicker-Wolf entnommen).


Völlig außen vor an diesem Abend, bis auf wenige Bemerkungen auf dem Podium, blieb die Bedeutung eines BGE im Gefüge der Demokratie. Das war symptomatisch, ist allerdings in der Grundeinkommensdiskussion selbst ein Schwachpunkt. Schon als ich den Begriff Staatsbürger zu Beginn einführte, um von dort aus das BGE herzuleiten, wurde deutlich, wie über Demokratie gedacht wurde. Hier war es wieder Christoph Butterwegge, der sich auszeichnete. Obwohl ich deutlich machte, dass ein BGE alle Staatsbürger und Menschen mit Lebensmittelpunkt in Deutschland erhalten könnten (hier muss dann geklärt werden, welche Aufenthaltsstatus vorgesehen sind), warf er mir vor, dass dies ausgrenzend sei. Wenn schon, dann müssten alle Wohnbürger einbezogen werden. Leider gab es keine Möglichkeit, diesen Punkt weiter zu klären, dabei wäre es wichtig gewesen. Mir ging es darum deutlich zu machen, dass ein Gemeinwesen von denen getragen werden muss, die Träger aller Rechte sind, das sind aber nur die Staatsbürger, nicht die Wohnbürger. Wohnbürger müssen die politische Ordnung und die damit verbundene Rechtsordnung nur anerkennen, sie müssen sie aber nicht tragen und verantworten. Das ist überall so, wo es politische Gemeinwesen gibt, keine Gemeinwesen ohne Unterscheidung zwischen Angehörigen und nicht Angehörigen. Ein BGE würde also, wenn es am Status festgemacht würde, genau das Solidarband stärken, das heute schon unerlässlich ist dafür, die Staatsbürger als tragendes Fundament auch im System sozialer Sicherung anzuerkennen. Hier geht es unmittelbar um das Verhältnis von Demokratie und Selbstbestimmung im Gemeinwesen.

Sascha Liebermann

"Nie mehr arbeiten und trotzdem Geld für alle?" – SWR Fernsehen 31. Oktober 2007

Unter diesem tendenziösen Titel wurde im SWR-Fernsehen über Grundeinkommen (Dieter Althaus, Boris Palmer) diskutiert. Neues an Einwänden gegen das bedingungslose Grundeinkommen gibt es nicht zu vermelden. Doch, um zu sehen, wo die Diskussion steht, ist die Sendung interessant.

Wo die SPD-Bundespolitiker stehen, wurde an der Äußerung Ludwig Stieglers (SPD) deutlich, die er Ralf Engelke (ALG II-Empfänger und Mitglied imNetzwerk Grundeinkommen) entgegenhielt: „Sie [Herr Engelke] leben von der Gemeinschaft und Sie müssen Ihren Teil der Gemeinschaft geben und Sie können nicht sagen, ihr alle anderen zahlt eure Steuern, damit ich mein Leitbild leben kann. Das geht eben nicht, sondern Sie sind genauso verantwortlich, sich einzubringen. Und wenn Sie eine Stelle in Köln oder in Stuttgart kriegen, dann müssen Sie dort auch hingehen. Als Langzeitarbeitsloser! Das kann ich Ihnen nicht ersparen, ich habe das Gesetz mitgemacht, Herr Althaus auch. Wir waren miteinander im Vermittlungsausschuss und dazu müssen wir auch stehen, weil ja das Grundprinzip besteht: Jeder muss zunächst einmal für sich selber aufkommen“. Christoph Keese (Welt am Sonntag) stand dem SPD-Politiker zur Seite gegen das Grundeinkommen und sprach zuvor von den „Anreizen“, die beim bGE fehlen und zu einem Absinken der Beschäftigungsquote führen. Als bloßes Gerede ist das darauf folgende Plädoyer für Bildung zu werten. Christoph Keese will sie offenbar verordnen, obwohl doch allzubekannt ist, daß Bildung nur mit und nicht gegen eine Lebensgeschichte möglich ist. Auch hier aber war deutlich genug: statt auf die Initiative des Einzelnen zu setzen, sie zu ermöglichen, wollen wir über das Leben des Einzelnen bestimmen.

Was es heißt, davon zu sprechen, daß jemand von oder gar auf Kosten der Gemeinschaft lebe, haben wir ausführlich kommentiert. Diese Denkhaltung zeigt, wie eng unser Verständnis von Leistung und Wertschöpfung ist, wie wir sehen wollen, daß wir alle von jedem leben und niemand „sich selbst versorgt“, wie es so gerne heißt. Dies erkennen wir nicht an, weil Erwerbsarbeit alles sein soll, nur, was einen Preis hat, zählt offenbar. Andere Leistungen, ohne die Erwerbsarbeit gar nicht möglich wäre, werden verächtlich behandelt, uns Bürgern wird unterstellt, daß wir sofort den Griffel fallen lassen, wenn ein bGE für unsere Absicherung sorge. Der „Freizeit“-Zuwachs, den ein bGE brächte, wie manche das nennen, lasse unser Sozialgefüge erodieren (Siehe „Leben auf Kosten anderer“. Man beachte die Kritik an den Berechnungen von Opielka und Strengmann-Kuhn zum Solidarischen Bürgergeld. Ihnen wird vorgehalten, sie seien statisch und enthielten die zu erwartenden dynamischen Effekte nicht, die vom bGE ausgehen – als könnten Berechnungen darüber jemals Auskunft geben. Daß nun auf den „Nachdenkseiten“, einer sonst durch reflektierte Kommentare auf sich aufmerksam machenden Website dem beipflichtet wird, ist erstaunlich – unreflektiert). Daß es im Gefolge eines bGEs überhaupt zu einer Abnahme von Initiative und Engagement komme, was Christoph Keese bezogen auf Erwerbsarbeit behauptete – blieb eine Behauptung. Vergeblich wird man nach Belegen suchen, denn dort, wo man sie zu finden meint, zeigt sich z.B. eins: Ein bGE wird wohl dazu führen, daß Eltern sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen, in den Augen Christoph Keeses ein großes Problem. Dabei wäre es doch für unser Gemeinwesen wünschenswert, wenn nicht nur Eltern, sondern wir alle mehr Freiräume hätten, ganz gleich, wozu wir sie nutzen. Wo sich Bürger nicht engagieren, in keiner Weise, können wir, wenn wir wollen, auch Gründe erkennen – sie sind mit der Lebensgeschichte des Einzelnen verbunden. Ein bGE ließe jeden in Würde leben, statt ihn zu etwas zu drängen, dem er nicht gewachsen ist.

Die öffentliche Diskussion um Alternativen kann also – im Gegensatz zur Aufassung, die Boris Palmer in der Sendung vertrat – nicht umhin, auch über das Menschenbild zu diskutieren, von dem wir ausgehen. Allerdings ist dieses Menschenbild keines, was jenseits der Gegenwart zu suchen wäre. Wir müssen uns nur klar machen, welches Menschenbild unserer Demokratie zugrundeliegt. Wollen wir unsere Demokratie stärken, dann müssen wir den Bürgern mehr zutrauen, sie sind der Souverän. Ohne ihre Bereitschaft sich einzubringen, wäre unsere Demokratie gar nichts, sie existierte nicht. Offenbar können wir das noch nicht sehen, sonst wäre es nichts als konsequent, ein bGE einzuführen.

Sascha Liebermann

Die Debatte geht weiter – auch in den Gewerkschaften

In der aktuellen Ausgabe von Ver.di Publik findet sich unter dem Titel „Der große Wurf?“ ein Beitrag von Heike Langenberg zum Grundeinkommen. Leider wird die Gelegenheit nicht ergriffen, die Idee in ihrer Breite einmal darzustellen. Stattdessen werden gezielt Zitate aus Beiträgen von Befürwortern angeführt, die belegen sollen, wes Geistes Kind das bGE ist. Schauen wir uns die Zitate einmal näher an.

Schon der Einstieg ist ein bemühter Versuch, auf ein Problem hinzuweisen. Dort heißt es: „Je mehr Leute von ihrem Recht auf bezahlte Freizeit Gebrauch machen, desto weniger produzieren die finanziellen Ressourcen für das Grundeinkommen. Dann finanziert sich das System irgendwann nicht mehr“. Ganz recht, kann man da nur sagen. In der Tat würde es keine Wertschöpfung mehr geben, wenn alle sich aus dem Erwerbsarbeitsmarkt zurückzögen bzw. an der Erzeugung von Gütern und Diensten nicht mehr mitwirken wollten. Warum sollte das ein Einwand gegen das Grundeinkommen sein, denn letztlich gilt diese Diagnose schon für unsere heutige Lage. Alle Bürger haben nämlich einen Anspruch auf die im Sozialgesetzbuch geregelten Leistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Sozialgeld. Alle könnten diesen Rechtsanspruch geltend machen, wenn sie ihn geltend machen wollten – er könnte ihnen nicht verwehrt werden, sofern sie die dazu gesetzten Bedingungen erfüllen. Warum aber machen die Bürger diesen Anspruch meist nur geltend, wenn sie kein Erwerbseinkommen mehr zu erzielen in der Lage sind? Was müssen wir daraus schließen?

Erklären läßt sich diese Zurückhaltung nur damit, daß sich alle über den Notfallcharakter dieser Leistungen nach unserem heutigen Verständnis im klaren sind. Wer sie in Anspruch nimmt, muß nicht nur das Recht dazu haben, er sollte auch wirklich dieser Hilfe bedürfen. Daß die Bürger nicht massenhaft, also z.B. in der Mehrheit diese Leistungen in Anspruch nehmen, heißt doch letztlich: sie möchten, solange sie dazu in der Lage sind, ihren Beitrag leisten, damit unser Sozialstaat erhalten werden kann. Sie wollen also nur in Anspruch nehmen, was sie auch wirklich benötigen. Doch dieser einfache Zusammenhang wird von Frau Langenberg nicht gesehen, würde sie sich sonst ernsthaft fragen müssen, weshalb denn heute nicht alles zusammenbricht. In der Regel wollen alle beitragen zum gemeinsamen Wohlergehen, die Frage ist doch vielmehr: Geben wir ihnen die Möglichkeit, es nach ihrem Dafürhalten zu tun?

Aus Götz Werners Buch „Einkommen für alle“ wird folgende Passage zitiert: „Andererseits kann der Arbeitgeber, der seinerseits keine Sozialabgaben mehr für seine Mitarbeiter aufwenden muss, fortan mit diesen neue, tendenziell niedrigere Gehälter aushandeln“. Ja, sehr wohl, aushandeln kann er diese Gehälter, nicht aber diktieren. Das ist ein wichtiger Unterschied, den Frau Langenberg nicht sieht. Wenn sich das verfügbare Einkommen zukünftig aus dem Grundeinkommen und einem Erwerbseinkommen zusammensetzt, dann ist die Summe aus beiden entscheidend und nicht die Höhe des Erwerbseinkommens alleine. Selbst bei einem niedrigeren Erwerbseinkommen im Vergleich zu heute könnte die Summe aus beiden höher sein als das heute verfügbare Einkommen. Wenn man sich also schon auf die Taschenrechnerlogik einläßt, sollte man sie zuende führen.

Ist das Grundeinkommen hoch genug und erlaubt, anzusparen, dann bedarf es nicht einmal einer Zusatzversorgung im Alter. Auch muß diese, will sich jemand freiwillig versichern, nicht notwendig privater Art sein. Auch hier könnte der Staat eine Zusatzleistung, auf freiwilliger Basis, anbieten. Viel gravierender sind doch die Auswirkungen eines bGEs auf die Versicherungswirtschaft: Je höher es wäre, desto weniger wären Versicherungen, die der Altersvorsorge dienen, überhaupt noch nötig. All das Geld, das heute über diese Versicherungen in den internationalen Finanzmarkt fließt, stünde für Konsum und Investition zur Verfügung. Der Finanzmarkt hätte im Verhältnis zu heute eine andere geringere Bedeutung. Auch die Chance, dies einmal klarzustellen, wird in dem Beitrag leider versäumt.

An einer späteren Stelle im Artikel heißt es dann: „Einen weiteren Vorteil für Arbeitgeber nennt die Initiative ‚Freiheit statt Vollbeschäftigung‘ auf ihrer Internet-Seite: ‚Sie [die Unternehmen] können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen'“. Wäre das nicht wünschenswert, daß die Unternehmen sich ihrer ersten und wichtigsten Aufgabe widmen: Werte zu schaffen, statt versteckt sozialpolitische Mithilfe zu leisten? Wieviel Wertschöpfung wird dadurch verhindert, daß wir Unternehmen diese Aufgabe ansinnen? Politisch müssen wir die Bürger absichern, damit der Verlust eines Arbeitsplatzes eben nicht die Folgen hat, die er heute hat. Doch dazu bedarf es des bGEs und keiner unternehmerischer Wohltaten.

Es überrascht dann nicht, zum Schluß noch folgendes Zitat zu lesen: „In der Diskussion über ein Grundeinkommen wird verkannt, dass Arbeit für den einzelnen Menschen mehr ist als Abhängigkeit, mehr auch als ,nur‘ Einkommensquelle. Sie stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt gesellschaftliche Anerkennung. Und ein Teil dieser Anerkennung steckt auch im Arbeitsentgelt“, sagt Sabine Groner-Weber, Leiterin des Bereichs Politik und Planung beim ver.di-Bundesvorstand“. Wir nehmen einmal wohlwollend an, daß Frau Groner-Weber nicht meint, jede Arbeit, auch diejenige, die man gar nicht machen will, vermittele Anerkennung. Wovon hängt sie dann ab? Zuerst einmal davon, daß man eine Aufgabe auch machen will, sich für sie entscheiden kann. Das ist nur möglich, wenn man die Wahl hat, sich auch dagegen zu entscheiden. Dann ist es wesentlich, ob man sich mit der Aufgabe auch identifizieren kann, einen Beitrag zu ihrer Erledigung leisten will. Und zuletzt ist es, heute mehr als mit einem bGE, wichtig, ein Einkommen zu erzielen, von dem man leben kann. Wie hoch das sein muß, hat aber jenseits eines Minimums, eine breite Spanne.

Es ist wohl vielsagend, daß freie Entscheidung und Interesse an einer Aufgabe als Voraussetzungen für ein erfülltes Berufsleben in dem Artikel gar nicht vorkommen. Würde Frau Langenberg diesen Zusammenhang sehen, dann wäre es leicht, folgenden Schluß zu ziehen: Wenn es für den Einzelnen wichtig ist, sich in einer Aufgabe zu verwirklichen, dann wird er dies auch mit einem bGE anstreben. Nun denn, dann sollten wir es einführen und uns nicht mit Spiegelfechterei aufhalten.

Sascha Liebermann