Wohlwollend: Ahnungslosigkeit, sonst Ignoranz bzw. Herabwürdigung…

…, anders lässt sich diese Äußerung von Christian Lindner kaum verstehen. So bezeichnend sie ist, so wenig sollte daraus ein FDP-Bashing folgen, denn die anderen Parteien sehen das ebenso, sonst müssten sie für mehr Zeitsouveränität von Eltern plädieren. Doch bleibt das bestenfalls eine Phrase, denn wo Vollerwerbstätigkeit als Idealzustand beruflichen Engagements gesehen wird, ist für Familie, die mehr als ein Beiwerk ist, wenig Platz.

Siehe frühere Kommentare dazu hier und hier.

Sascha Liebermann

„Das effektivste Mittel gegen Kinderarmut ist“,…

…wenn möglichst wenig Zeit für die Kinder bleibt, weil die Eltern sie vor Armut schützen sollen – so könnte man sarkastisch auf eine solche Meldung antworten.

Wer es ernst meint mit seiner Sorge um die Kinder, muss eine Lösung suchen, die dazu beiträgt, dass die Eltern mehr Zeit für sie haben können.

Siehe unsere früheren Kommentare hierhier und hier.

Sascha Liebermann

„Vollzeitarbeit ist keine Lösung“…

…so ist ein Beitrag Jutta Allmendingers auf Zeit Online (Bezahlschranke) übertitelt. Das lässt aufhorchen angesichts dessen, dass noch immer in der Vollzeiterwerbstätigkeit das Ziel der Arbeitsmarktpolitik gesehen wird. Da diese Ausrichtung das Gegenteil von Familienpolitik ist, es sei denn, man versteht darunter eine Politik für Familien ohne diese, ist die Frage, welche Vorschläge von dieser Ausrichtung wegführen könnten. Einige Passagen seien hier kommentiert:

„Das [die funktionale Aufteilung von Erwerbs- und Sorgetätigkeit zwischen Ehemann und -frau, SL] entsprach den damaligen Normen: Die gesamte im Paarhaushalt anfallende Arbeit, unbezahlte Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit und bezahlte Erwerbsarbeit wurden funktional getrennt, die bezahlte Erwerbsarbeit dem Mann, die unbezahlte Sorgearbeit der Frau zugerechnet, entsprechend ihrer „Bestimmung“ und Ausbildung.“

Was Jutta Allmendinger hier beschreibt, entspricht zwar den normativen Vorstellungen der damaligen Zeit, gleichwohl sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, wie hoch die Frauenerwerbsquote schon war, nämlich knapp unter 50% (Grafik zur Erwerbstätigenquote seit 1960, siehe auch hier). Sicher ging es dabei vorrangig um „Zuverdiensttätigkeiten“, wie Teilzeiterwerbstätigkeit damals auch genannt wurde, die Quoten ab 1960 zeigen aber, welche Stellung Erwerbstätigkeit damals schon hatte. Nicht erwerbstätig sein zu müssen, bedeutete, es nicht nötig zu haben und konnte als Freiheits- bzw. Wohlstandsgewinn betrachtet werden – heute würde das unter dem Stichwort Zeitsouveränität diskutiert. In der Rückschau werden die damaligen Zeiten schnell als „traditional“ eingeordnet, so wie heute von „Retraditionalisierung“ die Rede ist, wenn es Frauen auf Erwerbstätigkeit für eine gewisse Zeit verzichten oder sie stark einschränken. Dabei ist es nicht dasselbe, und zwar normativ, ob sich jemand dafür entscheidet, zuhause zu sein, weil er es für richtig und wichtig erachtet oder ob er die Aufgabe übernimmt, weil es normativ erwartet wird. Insofern geht der Begriff „Retraditionaliserung“ an der Sache vorbei.

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„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“…

…von der ehemaligen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend – ohne Wimpernzucken angesichts dessen, worum es geht.

Man rechne durch: Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile bedeutet praktisch bei der hier in Rede stehenden Einkommenshöhe sicher keinen Acht-Stunden-Tag, zuzüglich Pausenzeiten, zuzüglich Pendelzeiten zum und vom Arbeitsplatz. Von vierzundzwanzig Stunden am Tag, abgezogen Ruhezeiten, bleiben wie viele übrig, die mit der Familie verbracht werden können? Frühstück und vielleicht Abendessen. So viel zur „Vereinbarkeit„.

Statt Reden auf die „Vereinbarkeit“ zu halten, sollte man doch einfach sagen, dass die berufliche Fortentwicklung einfach wichtiger ist als Familienleben. Das wäre ehrlich und man wüsste, woran man ist.

Sascha Liebermann

Mit etwas Wohlwollen…

…lässt sich hinter dem unglücklichen Begriff „Work-Life-Balance“ sehr wohl ein Problem erkennen, das auch dann nicht verschwindet, wenn der Einzelne eine „Arbeit“ findet, die zu ihm passt. Es bleibt nämlich das dauerhafte Spannungsverhältnis zwischen dieser „Arbeit“ und der Zeit für Familie und Kinder oder auch Angehörige – beides geht nicht zur selben Zeit. Das erste kann gut delegiert und von anderen erledigt werden, das zweite ist in seiner besonderen Form als persönliche Nahbeziehung an die konkrete Person gebunden und kann nicht delegiert, aber auch nicht nachgeholt werden. Selbst ein BGE würde dieses Spannungsverhältnis nicht aufheben, es würde lediglich den Raum schaffen, sich sorgsam zu überlegen, was wann Vorrang haben muss. Solange Erwerbstätigkeit Vorrang hat, gerät das andere unter die Räder.

Sascha Liebermann

„…innere Konflikte…“ statt schönfärberische Formeln…

…das wird im Beitrag von Julia Schaaf über die Bürgermeisterin von Coesfeld in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sehr klar, in dem sich die Bürgermeisterin dazu äußert, wie es ist, kleine Kinder zu haben und berufstätig zu sein:

„Andererseits spricht sie offen über ihre inneren Konflikte als Mutter: „Das gibt es jeden Tag, dass ich hin- und hergerissen bin.“ Auch wenn sie beim Abschied in der Kita morgens nie sage, dass sie zur Arbeit müsse – „ich will zur Arbeit gehen, ich bin glücklich damit“: Zu gehen falle manchmal schwer. „Und natürlich sehe ich andere Familien, die nachmittags einfach auf dem Spielplatz abhängen und mit den Kindern gemeinsam den Sommer genießen.“ Manchmal werde ihr bewusst, wie die Zeit verstreiche, während sie Entwicklungsschritte ihrer Kinder verpasse. Das Seepferdchen zum Beispiel. Und sie war nicht dabei: „Das ist schon schwierig.“

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Erwerbsbeteiligung von Frauen, Zeit für Familie für Männer – zugleich Festhalten an Erwerbsgebot

Bezug genommen wird in diesem Tweet auf den DIW Wochenbericht 9 / 2022, S. 139-147. Dort finden sich auch Erläuterungen zur Methodik der Studie, es handelt sich um eine Wiederholungsbefragung (siehe dazu auch hier). Eine der Schlussfolgerungen aus der Studie lautet:

„Ausbau der Ganztagsbetreuung, Reform des Elterngeldes und Subventionierung von haushaltsnahen Dienstleistungen können egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit fördern.“

Und weiter heißt es am Ende des Studientextes:

Erwerbsbeteiligung von Frauen, Zeit für Familie für Männer – zugleich Festhalten an Erwerbsgebot weiterlesen

Ausweg oder Sackgasse? Der Ganztagsbetreuungsplatz in der Grundschule als emanzipatorisches Projekt…

…oder vielleicht doch eher als Ausdruck der Erwerbszentriertheit deutscher Sozialpolitik? Wer den jüngsten Beitrag von Uta Meier-Gräwe im Handelsblatt liest, in dem sie mangelnde Geschlechtergerechtigkeit in der Finanzpolitik kritisiert, stößt am Ende auf folgende Passage:

„Es war möglich, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Rüstungsgüter in wenigen Tagen zu beschließen, aber der Anspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz wird für Grundschulkinder in Deutschland erst ab August 2029 gewährt. Man(n) setzt weiter auf die Ausbeutung der vermeintlich unerschöpflichen Care-Ressourcen von Frauen.“

Ausweg oder Sackgasse? Der Ganztagsbetreuungsplatz in der Grundschule als emanzipatorisches Projekt… weiterlesen