Mit etwas Wohlwollen…

…lässt sich hinter dem unglücklichen Begriff „Work-Life-Balance“ sehr wohl ein Problem erkennen, das auch dann nicht verschwindet, wenn der Einzelne eine „Arbeit“ findet, die zu ihm passt. Es bleibt nämlich das dauerhafte Spannungsverhältnis zwischen dieser „Arbeit“ und der Zeit für Familie und Kinder oder auch Angehörige – beides geht nicht zur selben Zeit. Das erste kann gut delegiert und von anderen erledigt werden, das zweite ist in seiner besonderen Form als persönliche Nahbeziehung an die konkrete Person gebunden und kann nicht delegiert, aber auch nicht nachgeholt werden. Selbst ein BGE würde dieses Spannungsverhältnis nicht aufheben, es würde lediglich den Raum schaffen, sich sorgsam zu überlegen, was wann Vorrang haben muss. Solange Erwerbstätigkeit Vorrang hat, gerät das andere unter die Räder.

Sascha Liebermann

„…innere Konflikte…“ statt schönfärberische Formeln…

…das wird im Beitrag von Julia Schaaf über die Bürgermeisterin von Coesfeld in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sehr klar, in dem sich die Bürgermeisterin dazu äußert, wie es ist, kleine Kinder zu haben und berufstätig zu sein:

„Andererseits spricht sie offen über ihre inneren Konflikte als Mutter: „Das gibt es jeden Tag, dass ich hin- und hergerissen bin.“ Auch wenn sie beim Abschied in der Kita morgens nie sage, dass sie zur Arbeit müsse – „ich will zur Arbeit gehen, ich bin glücklich damit“: Zu gehen falle manchmal schwer. „Und natürlich sehe ich andere Familien, die nachmittags einfach auf dem Spielplatz abhängen und mit den Kindern gemeinsam den Sommer genießen.“ Manchmal werde ihr bewusst, wie die Zeit verstreiche, während sie Entwicklungsschritte ihrer Kinder verpasse. Das Seepferdchen zum Beispiel. Und sie war nicht dabei: „Das ist schon schwierig.“

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Erwerbsbeteiligung von Frauen, Zeit für Familie für Männer – zugleich Festhalten an Erwerbsgebot

Bezug genommen wird in diesem Tweet auf den DIW Wochenbericht 9 / 2022, S. 139-147. Dort finden sich auch Erläuterungen zur Methodik der Studie, es handelt sich um eine Wiederholungsbefragung (siehe dazu auch hier). Eine der Schlussfolgerungen aus der Studie lautet:

„Ausbau der Ganztagsbetreuung, Reform des Elterngeldes und Subventionierung von haushaltsnahen Dienstleistungen können egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit fördern.“

Und weiter heißt es am Ende des Studientextes:

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Ausweg oder Sackgasse? Der Ganztagsbetreuungsplatz in der Grundschule als emanzipatorisches Projekt…

…oder vielleicht doch eher als Ausdruck der Erwerbszentriertheit deutscher Sozialpolitik? Wer den jüngsten Beitrag von Uta Meier-Gräwe im Handelsblatt liest, in dem sie mangelnde Geschlechtergerechtigkeit in der Finanzpolitik kritisiert, stößt am Ende auf folgende Passage:

„Es war möglich, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Rüstungsgüter in wenigen Tagen zu beschließen, aber der Anspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz wird für Grundschulkinder in Deutschland erst ab August 2029 gewährt. Man(n) setzt weiter auf die Ausbeutung der vermeintlich unerschöpflichen Care-Ressourcen von Frauen.“

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So ist es, der Vorrang von Erwerbstätigkeit bliebe bestehen

Siehe unsere Beiträge dazu hier und hier.

„Fehlanreize abbauen, Kinderbetreuung ausbauen und finanzielle Absicherung stärken“…

…so das wirklich überraschende – irgendwie doch ewig gleiche – Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung, mit ungeahnten Schlussfolgerungen. Man lese nur dies und beachte die Wunderwirkung von „Anreize“:

„Insbesondere die Kombination aus Ehegattensplitting, steuer- und abgabenfreien Minijobs und fehlenden Betreuungsmöglichkeiten setzt starke Anreize für eine traditionelle Rollenaufteilung, in der die Frau weniger Erwerbsarbeit und dafür mehr Sorgearbeit übernimmt als der Mann. Dabei sind die Vorteile einer solchen Spezialisierung im Haushalt über das Leben gering, der Preis langfristig aber hoch: ‚Viele Frauen stecken in der Zweitverdienerinnenfalle fest. Dadurch sind es bei Trennungen und im Alter vor allem Frauen, die gravierende finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen‘, mahnt Barišić. ‚Wohlfahrtstaatliche Leistungen, die einen spezifischen Lebensentwurf fördern, sollten der Vergangenheit angehören, zumal Familie heute deutlich vielfältiger ist als früher.‘

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„Auch Väter müssen lernen zu verzichten“…

… schreibt Philipp Krohn in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Bezahlschranke) und thematisiert diese Frage nicht zum ersten Mal, hier handelt es sich um zwei Buchrezensionen. Die pädagogische Anleihe im Titel wäre allerdings nicht nötig gewesen, um die Relevanz der Frage deutlich zu machen, denn um Lernen geht es nicht. Es geht vielmehr um die Frage, welchen Stellenwert Familie hat angesichts einer stetigen Ausweitung von Betreuungszeiten und der Absenkung des Betreuungsalters seit Einführung des Elterngeldes. Nicht mehr, sondern weniger Zeit für Familie nehmen sich Eltern, und das Elterngeld ist eine Prämie für Erwerbstätige, auch wenn Krohn zurecht kritisiert, dass Besserverdiener davon stärker profitieren.

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Die Chimäre von der „Vereinbarkeit“ – dennoch muss sie sein…

…so zumindest liest sich der Beitrag Livia Gersters in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Bezahlschranke) vor dem Hintergrund des Rücktritts der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Anne Spiegel. Die darin zitierten Politikerinnen, die selbst Mütter sind, sehen den Rücktritt und seine Begründung aus verschiedenen Perspektiven. Sie begrüßen, dass sichtbar wird, wir fordernd der „Politikbetrieb“ ist, wie unterschiedlich seine Erwartungen an Väter und Mütter, wie wenig er auf die Herausforderungen von Familien Rücksicht nimmt. Zugleich aber soll es möglich sein, beides zu „vereinbaren“, das Vollzeit-Engagement in der Politik und Familienleben. Dass der Alltag anders aussehen könnte, Abstimmungen zusammengelegt werden könnten usw. wird mit Blick auf das Europäische Parlament aufgezeigt. Die hierfür zitierte Politikerin kommentiert das so:

„Deshalb war es auch selbstverständlich, dass die Abgeordneten abends bei ihren Familien waren“.

Immerhin, doch: vereinbar? Wo ist die Vereinbarkeit, wenn der Alltag mit Vollerwerbstätigkeit beider Eltern gepflastert ist und das Familienleben in die Randzeiten entschwindet? Von einem realistischen Verständnis von Familie ist das weit entfernt, eben doch Un-Vereinbarkeit.

Sascha Liebermann

Eine wichtige Frage, die heute schnell unter dem Vereinbarkeitsgebot verschüttgeht…

…nicht nur für Mütter, für Väter ebenso, wie einst ein Manager es laut eines Beitrags in brandeins ausdrückte:

„Seine Managerkollegen von früher schmunzeln vermutlich schon über die Wortwahl. Alexander May ist ein Beispiel dafür, was in keiner erbaulichen Ministeriumsbroschüre steht, aber jeder schnell merkt, der Kinder bekommt: Familie hat ihren Preis. Karriere auch. Ob die Gleichung aufgeht, muss jeder für sich selbst entscheiden.“

Siehe unseren früheren Beiträge hierzu.

Sascha Liebermann

„Die entrückten Grünen“ – ein durchaus treffender Kommentar, aber ohne Perspektive…

…von Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Außerdem ist die Entrückung keine Besonderheit der Grünen, sie trifft auf alle Parteien zu. Auch wird seit Jahren mit vereinten Kräften der Ausbau der Ganztagsbetreuung vorangetrieben, ohne ernsthaft zu erwägen, was das für das Familienleben bedeutet, wenn dafür nur die Randzeiten des Erwerbslebens übrigbleiben. Von Altenbockum hat recht, wenn er es als Privileg betrachtet, heute mit einem Gehalt auskommen zu können, für die Mehrheit der Familien gilt das nicht, teils, weil sie darauf nicht verzichten können, teils weil sie es nicht wollen. Das nimmt nicht Wunder angesichts der verherrlichenden Feier von Erwerbsteilnahme in den vergangenen vierzig Jahren. Statt das Normalmodell der Vollerwerbstätigkeit in Frage zu stellen ist es zum Modell für alle Erwerbspersonen geworden. Das Familienleben wird in die Kita ausgelagert, was übrigbleibt, als „quality time“ verklärt. Doch dem Beitrag mangelt eine Perspektive. Wenn es denn so ist, dass die herrschende Vorstellung von Erwerbstätigkeit Familien an ihre Grenzen bringt, was dann? Davon ist nichts zu lesen, denn auch in der FAZ wird gemeinhin Erwerbstätigkeit der Vorrang vor allem anderen eingeräumt oder habe ich da etwas übersehen?

Siehe unsere früheren Beiträge zu dieser Diskussion hier.

Sascha Liebermann