Ausweg oder Sackgasse? Der Ganztagsbetreuungsplatz in der Grundschule als emanzipatorisches Projekt…

…oder vielleicht doch eher als Ausdruck der Erwerbszentriertheit deutscher Sozialpolitik? Wer den jüngsten Beitrag von Uta Meier-Gräwe im Handelsblatt liest, in dem sie mangelnde Geschlechtergerechtigkeit in der Finanzpolitik kritisiert, stößt am Ende auf folgende Passage:

„Es war möglich, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Rüstungsgüter in wenigen Tagen zu beschließen, aber der Anspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz wird für Grundschulkinder in Deutschland erst ab August 2029 gewährt. Man(n) setzt weiter auf die Ausbeutung der vermeintlich unerschöpflichen Care-Ressourcen von Frauen.“

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„Warum wir (k)ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen“ – Einwände oder Vorwände?

Bei Youtube anhören.

So könnte ein Streitgespräch zwischen Henning Vöpel und Thomas Straubhaar überschrieben werden, das vom Handelsblatt initiiert wurde. Die Zeitangabe des Beitrags täuscht allerdings darüber hinweg, dass es nur in einem Teil von etwa 20 Minuten um ein BGE geht, der andere ist mit Finanznachrichten und Werbeeinblendungen gefüllt.

Thomas Straubhaar spricht sich hier klar dafür aus, mit einem BGE alle Sozialleistungen zu ersetzen und lässt offen, was mit Härtefällen wird, mit Personen, die besondere Hilfeleistungen benötigen, die nicht mit einem BGE gedeckt wären. Begründet wird das von ihm damit, dass es sich nicht bewährt habe, Sozialleistungen an Einzelfallgerechtigkeit auszurichten, weil der Staat nicht angemessen darüber befinden könne, was im Einzelfall gerecht ist. Hier scheint mir doch ein erhebliches Missverständnis vorzuliegen, der die verbreitete Rede von der Einzelfallgerechtigkeit zuarbeitet. Es liegt doch auf der Hand, dass der Gesetzgeber mit seiner Ausgestaltung des Sozialgesetzbuches ein Leistungsspektrum definieren muss, in dessen Rahmen dann Ansprüche geprüft und bewilligt werden. Diese Regelungen sind immer allgemeine Regelungen und können auf die konkrete Person nur so weit Rücksicht nehmen, wie es allgemeine Regelungen eben zulassen.

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Arbeitnehmerrechte sind kein Selbstzweck, wenn der durch sie erreichte Schutz anders gewährleistet werden könnte,…

…das scheinen manche Kritiker zu vergessen, wenn sie nach Einwänden gegen ein BGE kramen. Allerdings, wie BGE Eisenach schreibt, hat das eine mit dem anderen nur mittelbar zu tun, es sei denn Rürup meint hier, dass Arbeitnehmerrechte zugleich den sozialen Status von Erwerbstätigkeit herausheben. Dann könnte er durchaus richtig liegen, denn ein BGE würde die Bedeutung von Erwerbstätigkeit relativieren, es würde sie vom Sockel holen, auf dem sie heute, beinahe zum Selbstzweck geworden, steht. Denn schon lange geht es für Arbeitnehmer- wie -gebervertreter mehr um Arbeitsplätze als um Wertschöpfung, sie haben den Zweck des Wirtschaftens aus den Augen verloren (siehe auch hier).

Sascha Liebermann

Wieder einmal Brutto- vs. Nettokosten? …

…da sich der Beitrag im Handelsblatt hinter einer Bezahlschranke befindet, kann von dem Tweet aus nur festgehalten werden, dass es um Bruttokosten geht (auch Spiegel Online berichtet). Als neue Erkenntnis taugt das allerdings kaum, denn die Bruttokosten sind immer wieder thematisiert worden, sie sind jedoch nicht entscheidend. Wie sieht es denn mit der Gegenrechnung aus, welche zusätzlichen Einnahmen erwachsen könnten? Sie wird meist ausgelassen, vielleicht ist das hier anders. Welche Kosten entstehen denn durch ein BGE nicht, die durch unsere heutige Sozialstaatsordnung entstehen, wird dazu etwas gesagt? Was wird durch bestehende Strukturen be- oder gar verhindert, das durch ein BGE befördert würde? Vielleicht gibt es dazu Aussagen? Zumindest müssten etwaige Effekte erwogen, wenn sie schon nicht berechnet werden können. Leistet die Studie das?

Sascha Liebermann

Ausgewogene Darstellung, aber doch verengter Blick und Verkürzungen…

…enthält der Beitrag im Handelsblatt über „Die Vor- und Nachteile eines bedingungslosen Grundeinkommen“.

Zu Beginn werden sogleich als erster Grund für ein BGE etwaige Folgen der Digitalisierung (siehe auch hier) angeführt. In der Tat ist das eine häufig anzutreffende Begründung, die allerdings fragwürdig ist.

Ein BGE ist nicht nur für Staatsbürger gedacht, wenngleich deren Stellung hierfür von besonderer Bedeutung ist. Personen, die zwar nicht Staatsbürger sind, ihren Lebensmittelpunkt jedoch in Deutschland haben und zu definierende Aufenthaltskriterien erfüllen, sind ebenso als Bezieher vorgesehen. Zu definieren wäre auch, wie es mit Staatsbürgern ist, die ihren Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland haben. Für all dies gibt es häufig schon Regelungen, die aufgegriffen und entsprechend modifiziert werden könnten.

Dann werden Modelle angeführt, die am häufigsten genannten drei sind:

1) Das „Solidarische Bürgergeld“ – Dieter Althaus hat es später selbst als partielles bedingungsloses Grundeinkommen bezeichnet, weil es niedrige Regelbeträge vorsieht. Auch operiert es wie eine Negative Einkommensteuer (NES). Siehe unsere früheren Beiträge hierzu.

2) Das „emanzipatorische Grundeinkommen“ – hiervon gibt es eine NES-Variante und eine als Sozialdividende.

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„Care-Dienstleistungen sind Voraussetzung für eine gut laufende Wirtschaft“ – was folgt daraus?

Diese Frage stellt sich anlässlich des Beitrages von Uta Meier-Gräwe im Handelsblatt, der mit folgender Passage schließt:

„Care-Dienstleistungen sind Voraussetzung für eine gut laufende Wirtschaft. Sie müssen in Zukunft über Digitalisierungsgewinne und Produktivitätsfortschritte mitfinanziert werden. Anders werden auch künftige Pandemien nicht gut zu bewältigen sein. “

Was heißt das? Wie steht es um Haushaltstätigkeiten, wie darum, diese Leistungen ernst zu nehmen? Wer nicht eine Kommodifizierung aller Leistungsformen in Kauf nehmen will, benötigt eine Ermöglichung von Tätigkeiten, die nicht zu einem Erwerbsverhältnis werden oder mit einer Leistungsprämie versehen werden sollen. Einkommenssicherung von einer Gegenleistung unabhängig zu machen, ist nur möglich, wenn sie vom Erwerbsgebot abgekoppelt wird. Das geht nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

„Die neue Jobangst: Fast jedes fünfte Unternehmen will Stellen abbauen“ – Folge oder günstige Konstellation?

Diese Frage stellt sich anlässlich eines Beitrags von Donata Riedel und Frank Specht im Handelsblatt. Darin zeigen sich die Folgen der gegenwärtigen Lage, es zeigen sich aber ebenso Unklarheiten, welcher Anteil der erwogenen bzw. geplanten Entlassungen damit etwas zu tun hat. Vielleicht ist es nur einfacher gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten, wenn Schritte jetzt ergriffen werden, die schon länger in der Schublade lagen – von außen betrachtet, ist das nicht zu entscheiden und Auskünfte der entsprechenden Unternehmen sind immer zugleich Werbenachrichten.

Interessant ist in dem Beitrag auch, wie die für den Binnenmarkt stabilisierende Bedeutung von Einkommensleistungen wie dem Kurzarbeitergeld herausgehoben wird (zitiert wird Clemens Fuest, ifo-Institut). Für ein BGE gilt aber genau dasselbe und wird seit Jahren als ein Grund dafür vorgebracht. Davon hätten im Unterschied zum Kurzarbeitergeld und anderen Maßnahmen alle etwas, sofort, ohne Antrag – es hat geradezu präventiven Charakter.

Sascha Liebermann

„Geringverdiener kommen beim Kurzarbeitergeld am Schlechtesten weg“…

…darüber schreibt Norbert Häring in Handelsblatt. Interessant ist hier die Wirkung des Kurzarbeitergeldes auf die Lohnsteuerrückerstattung im Zuge der Steuererklärung, es geht also darum, wie sich das Kurzarbeitergeld im Steuergefüge auswirkt. Für unterschiedliche Fallkonstellationen stellt sich die Lage unterschiedlich dar, darüber mehr in dem entsprechenden Beitrag.

Wenn das eine nicht aus dem anderen folgt – der Sozialphilosoph Axel Honneth zum Grundeinkommen

Axel Honneth, Prof. em. an der Goethe-Universität Frankfurt, äußerte sich in einem Interview mit dem Handelsblatt ausführlich zum Bedingungslosen Grundeinkommen und weiteren Fragen, die damit in Verbindung stehen. Dabei fällt auf, dass Honneth sich recht abstrakt mit gesellschaftlichen Entwicklungen befasst, so z. B. hier:

„[Handelsblatt] Dabei hatte der Mensch wohl noch nie so viel Freizeit wie heute.
[Honneth] Es ist aber eine freie Zeit, die viel stärker als früher gleichzeitig von Forderungen des Arbeitslebens durchzogen ist – was durch die Digitalisierung inzwischen noch gesteigert wurde. Nur die wenigsten von uns sind doch konsequent offline am Abend und am Wochenende.“

Hier wie auch an späteren Stellen verliert Honneth kein Wort darüber, wie sehr die Bedeutung des  „Arbeitslebens“ durch sozialpolitische Reformen verstärkt wurde. Zwar reagierten die Agenda 2010 und ihre Vorläufer schon auf Wandlungen in der Deutung des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, sie haben zugleich aber diese verstärkt. Die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten so wie die workfare-Ausrichtung der Sozialpolitik haben diese Entwicklung institutionalisiert. Die Entleerung des Leistungsbegriffs (siehe auch hier), die Bejubelung jegliches Zuwachses an Erwerbstätigen, ganz gleich in welchem Umfang, sind Ausdruck dessen. Es sind nicht einfach „Forderungen des Arbeitslebens“, wie Honneth sagt, es handelt sich um einen breiten normativen Konsens bezüglich des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, der dazu führt, dass sich die „Forderungen des Arbeitslebens“ so entwickeln können. Vielleicht würde Honneth das auf Rückfrage ähnlich sehen, es fällt allerdings auf, dass er es gar nicht erwähnt.

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