…oder vielleicht doch eher als Ausdruck der Erwerbszentriertheit deutscher Sozialpolitik? Wer den jüngsten Beitrag von Uta Meier-Gräwe im Handelsblatt liest, in dem sie mangelnde Geschlechtergerechtigkeit in der Finanzpolitik kritisiert, stößt am Ende auf folgende Passage:
„Es war möglich, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Rüstungsgüter in wenigen Tagen zu beschließen, aber der Anspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz wird für Grundschulkinder in Deutschland erst ab August 2029 gewährt. Man(n) setzt weiter auf die Ausbeutung der vermeintlich unerschöpflichen Care-Ressourcen von Frauen.“
Der Vergleich zwischen Sondervermögen und Betreuungsplatz soll hier nicht weiter interessieren. Erstaunlich ungebrochen wird die seit Jahren praktizierte Ausweitung von Aufenthaltszeiten in Kita wie Grundschule als wünschenswertes Ziel gesetzt. Meier-Gräwe, die durchaus die Vernachlässigung von Sorgetätigkeiten ebenso schon kritisiert hat, schreibt die Ganztagsbetreuung fort, ohne Alternativen zu eröffnen, die erst dann gegeben wären, wenn diesem Angebot die Option gegenüberstünde, ganz selbstverständlich selbst für die Kinder da sein zu können. Weshalb fordert sie nicht mehr Zeit für Familie? Die muss man sich gegenwärtig leisten können, d. h. es bedarf eines Einkommens, das zum Auskommen reicht. Ist das vorhanden, kann maximal einer zuhause sein oder beide anteilig. Ohne Erwerbstätigkeit läuft bislang gar nichts, selbst das Elterngeld steht noch im Verhältnis zu ihr.
Wer es ernst meint mit Alternativen, muss diejenige eröffnen, die der außerhäuslichen Betreuung gegenübersteht, das ist die familiale – und dazu bedarf es eines gesicherten Einkommens, das die gleiche Legitimität hat wie Erwerbseinkommen. Das geht ohne Bedingungsloses Grundeinkommen nicht. Wer diesen Schritt nicht geht, macht nicht ernst, vielmehr hält er am Vorrang von Erwerbstätigkeit fest.
Siehe auch unsere Beiträge zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, unbezahlter Arbeit und Ehegattensplitting – in Debatten darüber ist die gleiche Vereinseitigung allzu deutlich.
Sascha Liebermann