Ausführliches Gespräch mit Britta Sembach und Susanne Garsoffky

Vor einigen Wochen haben wir auf das Buch „Die ‚Alles ist möglich-Lüge'“ hingewiesen, da die Autorinnen Britta Sembach und Susanne Garsoffky sich ausführlich zur „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ äußern und im Grunde mit ihren Überlegungen alles vorbereiten, um im Schlusskapitel auf das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen zu kommen. Genau das aber geschieht dort nicht. In diesem ausführlichen Gespräch mit der Zeitschrift Nido antworten sie auf Fragen zum Buch. Bei aller Kritik, die die Autorinnen dort zur Erwerbszentrierung vorbringen, haben sie zugleich eine unterschiedliche Haltung zu ihren Erfahrungen mit der Zerrissenheit zwischen Familie und Beruf. Das BGE läge hier so nahe, wenn doch nur die Konsequenz aus ihren Erfahrungen gezogen würde.

„Das ‚Alles ist möglich‘-Mantra ist eine Lüge“…

…so ist ein Beitrag im Deutschlandradio Kultur übertitelt, der über das Buch „Die Alles-ist-Möglich-Lüge“ berichtet. Es geht darin um die vermeintliche „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf, der die Autorinnen – Susanne Garsoffsky und Britta Sembach -, wie sie schreiben, selbst aufgesessen sind. Doch, wie wäre es anders möglich? Sie plädieren für mehr Flexibilität der Lebensgestaltung, Phasen, in denen die Familie im Zentrum stehen und solche, in denen der Beruf im Zentrum stehen kann, beide müssten sich abwechseln können. Weshalb kann die Hochzeit beruflichen Engagments nicht auf die Zeit der Familiengründung (zwischen 30 und 40) nachfolgen, fragen sie? Es bedarf anderer Vorstellungen von Leben und Arbeit, auch damit Väter mehr Zeit für Familie haben könnten. In den Beiträgen ist von abwechselnden Lebensphasen die Rede, von mehr Teilzeit- und Telearbeit. Würde das aber die Stellung von Erwerbstätigkeit tatsächlich relativieren und Freiräume schaffen, über Arbeitsbedingungen anders verhandeln zu können? Das Bedingungslose Grundeinkommen wird zumindest in den hier verlinkten Beiträgen (siehe Kurzbeiträge der Autorinnen hier und hier) nicht erwähnt, könnte jedoch die eigentliche Konsequenz sein.

Zu „Vereinbarkeit von Famlie und Beruf“ siehe frühere Kommentare hier.

Sascha Liebermann

Superfrauen, Supermütter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Verklärungen dominieren die Diskussionen über Elternschaft, Väter, Mütter und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Verklärungen sind es, weil sie in jede Richtung geschehen, entweder in die eines perfekten, ohne Probleme und Konflikte ablaufenden Familienlebens oder in die andere eines reibungslosen Zusammenfügens von unvereinbaren Sphären. Selten liest und hört man anderes, zumindest in der Öffentlichkeit. Eine Erfahrung in Gesprächen mit Eltern ist es, nicht so gerne darüber zu sprechen, dass nicht alles so gut und reibungslos klappt, wie es gewünscht oder gehofft wird.

Ein Lichtblick ist es dann, wenn einmal klar benannt wird, wo die Konflktlinien liegen und dass das Bestreben, Familie und Beruf vereinbaren zu wollen, seinen Preis hat, wie dies jüngst Judith Lembke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. März tat. Sie schreibt unter dem Titel „Vereinbarkeit ist eine Lüge“: „…Jeden Tag erleben sie [die Mütter, über die sie berichtet, SL] eine Binsenweisheit, die so banal ist, dass sie sich im Nachhinein wundern, warum sie es nicht haben kommen sehen: Wer Karriere machen will, muss viel arbeiten. Wer viel arbeitet, hat wenig Zeit für Kinder. Oder anders herum: Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere ist eine Lüge – zumindest, wenn das Wort Kinder dafür steht, dass man sie nicht nur bekommt, sondern sich auch selbst um sie kümmert…“ oder, könnte ergänzt werden, man ausreichend Zeit für sie haben möchte.

Das Gegenteil von dieser Einschätzung war in der Sendung „Superfrauen zwischen Beruf und Karriere“ (ZDF, 37 Grad) zu sehen. Wer aufmerksam hinhörte, konnte allerdings erkennen, dass manche der Eltern, die dort präsentiert wurden, den Preis der Vereinbarkeit schon spüren, aber entweder nicht wahrhaben wollen oder in Kauf nehmen. Wie überhaupt dieser Preis in der ganzen Sendung übergangen und statt dessen der Erfolg der Superfrauen gefeiert wurde. Eine Mutter von vier Kindern, Tanja von Waldbeck, spricht an einer Stelle darüber, wie es ist, wenn sie nach einem Arbeitstag ihre Kinder zu Bett bringt: „…Man hat dann das Gefühl [Hervorhebung SL], dass man doch noch Teil dieses Tages auf jeden Fall ist…“ (ab Minute 12). Die Steigerung davon, das Gefühl zu haben, dass es so sein könnte, wäre, nicht einmal das Gefühl zu haben – also nicht mehr Teil des Tages zu sein. Damit sagt sie etwas, wovon in der ganzen Dokumentation nicht die Rede ist: des Berufs wegen bei voller Stelle abwesend zu sein, bedeutet, von den Kindern beinahe nichts mitzubekommen, sie wenig zu erleben und zu erfahren bzw. gemeinsame Erfahrungen zu machen.

Wie von dieser Verklärung wegkommen? Indem dem Einzelnen die Möglichkeiten geschaffen werden, sich frei von Verklärungen der Aufgabe Elternschaft zu stellen, um zu entscheiden, wie er damit umgehen will. Dann würde es leichter sich – auch gegen den dominanten Zeitgeist – offen einzugestehen, dass man beides nicht haben kann – ausreichend Zeit für Familie, also auch die Kinder, und ein erfülltes Berufsleben. Der Preis für die „Vereinbarkeit“ ist hoch, das sollte offen ausgesprochen werden, statt sich in verklärenden Slogans zu ergehen. Einen solchen Freiraum eröffnet nur ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Alle bisher existierenden Instrumente der Familienpolitik heben den Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht auf. 

Darüberhinaus gibt es aus der Bindungsforschung beachtenswerte Befunde z.B. von Lieselotte Ahnert „Das bedeutet für Kinder Stress“ und Karl-Heinz Brisch „Das Krippenrisiko“. Sie zeigen deutlich, welche Folgen eine zu frühe Fremdbetreuung haben kann, zumal angesichs der gegenwärtigen Personalschlüssel in den Einrichtungen. Worüber diese Studien nichts sagen, ist, ob man ein Familienleben haben will, indem für die Familie nur das Frühstück und das Abendessen bleiben. Das muss jeder für sich entscheiden – mit allen Konsequenzen und ohne Verklärungen.

Siehe auch meine früheren Kommentare hier, hier und hier sowie „Erziehung zur Unmündigkeit“ von Thomas Loer

Sascha Liebermann

Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Ganztagsschulen…

…so scheint sich die bevorstehende Große Koalition das vorzustellen, wenn dieser Bericht vom Oktober zutrifft:

„…Auch die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Dorothee Bär (CSU), kündigte an, die Union werde sich in dieser Legislaturperiode für den Ausbau der Ganztagsschulen engagieren. Dabei müssten auch „außerschulische Kräfte“ wie Vereine, Musikschulen oder ehrenamtliche Strukturen einbezogen werden, sagte Bär der F.A.S. Ziel sei, dass Eltern Beruf und Familie in Einklang bringen könnten. Eine Verpflichtung zum Besuch einer Ganztagsschule lehnt die Union ab. „Das Angebot soll freiwillig sein“, sagte Bär.

Die SPD argumentiert ebenfalls mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber hinaus hält sie Ganztagsschulen für die überlegenen Bildungsstätten. „Wir brauchen den Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsschulen, um Kinder besser zu fördern und mehr Chancengleichheit im Bildungssystem herzustellen“, sagte Caren Marks, die Sprecherin der AG „Familie, Senioren,Frauen und Jugend“ der SPD-Bundestagsfraktion.“

Wieder einmal wird deutlich, dass Bildung nicht als solche betrachtet und nach den angemessenen Voraussetzungen dafür gefragt wird. Vielmehr leitet sich der Ruf nach der Ganztagsschule von der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ her. Wie auch immer man zur Ganztagsschule steht, sie führt dazu, dass Kinder institutionell unter ständiger Beaufsichtigung sind und nicht die ihnen nahe Lebenswelt frei erkunden können. Dass Kinder und auch Jugendliche im Schulalter nicht ständig auf dem Schoß der Eltern sitzen wollen und sie bei sich haben müssen, ändert nichts daran, dass sie aber dennoch ansprechbar sein sollen, wenn etwas anliegt. Auch das ist durch die Ganztagsschule erschwert. Wer hier nun einwendet, es sei doch besser, dass es überhaupt Ansprechpersonen gibt, wenn die Eltern berufstätig sind, nimmt diese Entwicklung einfach hin. Es wäre indes gerade zu fragen, ob diese Entwicklung sinnvoll ist oder nicht eher Möglichkeiten geschaffen werden sollten, die den Eltern freier erlauben, darüber zu befinden, wie sie die Aufgabe Elternschaft für sich beantworten wollen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde den Raum dafür schaffen, ohne vorzuschreiben, wie er zu füllen wäre (siehe meine früheren Kommentare hier, hier und hier).

Sascha Liebermann

Piratenpartei spricht sich für Bedingungsloses Grundeinkommen aus

Auf ihrem Bundesparteitag in Neumarkt hat sich die Piratenpartei für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, siehe den Beschluss „Arbeit und Soziales. Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn“. Angesichts der Äußerungen des Parteivorsitzenden Schlömer, der von einem Grundeinkommen beim Einstieg von 100 bis 200 Euro sprach, das dann schrittweise auf 400 erhöht werden könne, stellt sich die Frage, was der Beschluss nun tatsächlich bedeutet. „Existenzsichernd“, wie es im Beschluss heißt, lässt weiten Spielraum für Interpretationen. Zudem werden einige weitere Forderungen aufgestellt, die den Eindruck hinterlassen, alle von der Idee eines BGE geprägt zu sein, nicht aber konsequent weitergeführt zu sein.

Sich für einen bundesweit geltenden, gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen, den die Piratenpartei auch früher schon gefordert hat, bis das BGE eingeführt ist, kann zwiespältig sein. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, ein gewisses Mindesteinkommen als Untergrenze zu erklären angesichts von Niedriglöhnen. Auf der anderen kann dieser Übergang auch in eine Sackgasse führen. Denn, entweder wird der Mindestlohn eingeführt, ohne dass es schon Mehrheiten für das BGE gibt, das wäre die Sackgasse, die drohte, weil der Mindestlohn das Erwerbsideal befestigt und es nicht aufgibt. Von ihm führt kein Schritt notwendig zum BGE. Oder die Mehrheit für ein BGE ist da, dann bedürfte es keiner großen Übergänge mehr, also auch keines Mindestlohns (siehe meine Kommentare zu dieser Frage hier und hier). Was der Fall sein wird, lässt sich jedoch nicht voraussehen, insofern ist eine solche Festlegung auch eine Selbstknebelung. Ganz abgesehen davon ist, ob denn ein Mindestlohn tatsächlich die Auswirkungen hätte, die seine Befürworter damit verbinden. Eines ist sicher: Mindestlohn und BGE wohnen unterschiedliche, ja gegenläufige Ideale inne, das erstere wertet Erwerbstätigkeit besonders auf, das letztere will sie mit anderen Tätigkeiten gleichstellen.

Die Vorsicht in der Einführung eines BGE, mit einem niedrigen Betrag zu beginnen, ist zwar verständlich, wenn die Vorbehalte gegen ein BGE berücksichtigt werden, nicht aber, wenn die heutige Lage genauer betrachtet wird. Da es einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer gibt (darauf wird im Beschluss hingewiesen, aber nicht die Konsequenz daraus gezogen), der Steuerpflichtigen das Existenzminimum unbesteuert lässt, und dem wiederum die existenzsichernden Leistungen nach dem SBG II korrespondieren, ist es unverständlich, weshalb mit einem niedrigen BGE angefangen werden soll. Weshalb nicht einen Ausgangspunkt nehmen, der schon da ist, nämlich den Grundfreibetrag? Dieser Beginn wäre viel einfacher, zugleich folgenreicher als eine Erhöhung des Regelsatzes im ALG II, wie es die Piratenpartei vorsieht. Dasselbe gilt für die Einführung eines „Bildungsgrundeinkommens“, das, wenn es an Bildungsvorhaben geknüpft bliebe, nur ein umbenanntes, womöglich liberaleres Bafög wäre – je nach dem, wie es ausgestaltet würde. Ein BGE hingegen würde hingegen die Zweckbindung aufgeben und nicht nur denselben Zweck erfüllen wie ein Bildungsgrundeinkommen, es würde weit darüber hinausreichen.

Eine Forderung wie diese: „Kindererziehung und Erwerbstätigkeit müssen für beide Elternteile gleichermaßen miteinander vereinbart werden können“ ist in heutigen Zeiten wohlfeil und zugleich eine Floskel. Familie und Beruf lassen sich nicht „vereinbaren“ (siehe meine Kommentare dazu hier und hier).

In demselben Beschluss spricht sich die Piratenpartei für „die Abschaffung und sofortige Nichtanwendung“ der Sanktionen bei Hartz IV aus – eine klare Aussage, die von keiner Partei auf Bundesebene außer der Linkspartei bislang gemacht wurde, auch nicht von Bündnis 90/ Die Grünen.

Dass auch die Frage von Leiharbeit sich ganz anders darstellte als heute, wenn einmal ein BGE eingeführt wäre, wird in dem Beschluss nicht deutlich gemacht. Manche Diskussion könnten wir uns sparen, gäbe es ein Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe, um auf Erwerbsarbeit verzichten zu können.

Sascha Liebermann