„Die Bindung macht sie gehorsam“…

…ein Interview mit Remo Largo im Deutschlandfunk.

Aus der Ankündigung: „Die Wiener Kindertherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger bemängelt, dass Kindern zu wenige Grenzen gesetzt würden, dass eine lebensuntüchtige Erwachsenengeneration heranwachse. Das sieht der Schweizer Kinderarzt Remo Largo anders: Grundlage für das Gehorchen sei vielmehr eine starke emotionale Bindung, und das benötige mehr als 20 Minuten Zeit pro Tag, sagte er im Deutschlandfunk.“

Damit macht Largo wieder einmal darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass Eltern ausreichend Zeit mit ihren Kindern verbringen (siehe auch hier). Aufmerksam macht er dadurch auf den Zusammenhang der Überbewertung von Erwerbstätigkeit und der Unterschätzung gemeinsamer Erfahrung in der Familie. Während das BGE im Zusammenhang mit der Frage der Auflösung geschlechterstereotypischer Aufteilung von Familie und Beruf durchaus diskutiert wird, kommt die von Largo hier benannte Dimension noch viel zu kurz in der Debatte. Es geht um Bildungsprozesse, frühere Solidarerfahrungen und die Auswirkungen auf das spätere Leben. Wenn manche Einwände gegen das BGE bemängeln, es könne das Arbeitsangebot zurückgehen, weil Eltern mehr Zeit mit der Familie verbringen würden, dann lässt sich dem nur entgegnen, dass genau das wichtig wäre.

Sascha Liebermann

„Man kann nicht alles haben – Frau auch nicht…

…Work, Life, Balance? Familie und Beruf – beides ist mehr Erfüllung, als man stemmen kann. Frauen müssen sich entscheiden. Ein Kommentar“.

Auch wenn es zuerst den Eindruck erweckt, als gehe es vor allem um die Mütter, betrifft der Kommentar von Karin Truscheit zur vermeintlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenso die Väter. Selten wurde so klar herausgestellt, dass Elternschaft eine Entscheidung verlangt, weil beides – Familie und Beruf – nicht gleichermaßen zu haben ist. Die Autorin schreibt:

„Und das ist das zweite Unerträgliche in der Debatte: das Werten und Entwerten, das Schönreden, wenn es um die Frage geht: Wie viel Karriere kann eine Mutter überhaupt machen? Man kann, als Mutter oder Vater, ganz viele Kinder haben und trotzdem eine Fernsehshow moderieren oder ein Ministerium leiten. Vorausgesetzt allerdings, die meiste Zeit kümmern sich andere um die Kinder. Karriere und Kinder finden zur gleichen Tageszeit statt.

Auch „Job-sharing“-Modelle werden dieses Dilemma kaum lösen, solange an diesen Stellen das Mutti-Etikett klebt, da es vor allem die Frauen sind, die so Karriere machen wollen. Das größte Problem bleibt jedoch selbst bei geteilten Führungspositionen die Unteilbarkeit dessen, was Kinder und Karriere gleichermaßen fordern – viel Zeit. Als Mutter oder Vater muss man sich für das eine, das Großziehen überwiegend selbst zu übernehmen, oder das andere, die klassische Karriere, entscheiden.“

Damit ist zu der Diskussion über die „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf (siehe hier und hier) beinahe alles gesagt – denn „vereinbar“ im Sinne der Vorstellung, beides sei gleichermaßen zu haben, sind sie nicht. Selbst allerdings wenn auf Karriere verzichtet wird, drängt einen unsere Überhöhung von Erwerbstätigkeit, uns in eine Richtung zu entscheiden. Man rechne nur einmal hoch, was es für das Familienleben heißt, vollerwerbstätig zu sein. Bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche ist man etwa 50 Stunden (Arbeitszeit, Pause, Pendeln zum Arbeitsplatz) abwesend von zuhause. Wer also morgens zwischen 7 und 8 Uhr aus dem Haus geht, kehrt zwischen 17 und 18 Uhr zurück. Von Stau und verspätetem Nahverkehr sehen wir ab.

Faktisch heißt das, dass der erwerbstätige Elternteil vom Familienleben so gut wie nichts mitbekommt. Für die Kinder je nach Lebensalter ist die Abwesenheit eine besonders krasse Entbehrung, denn sie haben ein unendliches Bedürfnis, mit den Eltern gemeinsam Zeit zu verbringen. Das heißt nicht, dass ständig gemeinsam gespielt oder etwas unternommen werden muss. Ansprechbar sollen Eltern sein, nah sollen sie sein, beim Spielen einfach dabeisein. An der Entbehrung ändert auch die von Bindungsforschern attestierte Bindungsfähigkeit von Kinden zu Personen außerhalb der Familie nichts. Denn diese Personen sind nicht die Eltern, von denen die Kinder sich später einmal ablösen müssen, um erwachsen zu werden. Darüber hinaus konstituieren sich die Beziehungen zu Erziehern gänzlich anders. Erzieher erbringen eine Dienstleistung, sie haben eine Dienstzeit und Feierabend, sind in ihrer Aufgabenwahrnehmung austauschbar. Sie kümmern sich um Kinder, die eine Einrichtung besuchen, ganz gleich, welche das sind. Sicher, auch ihnen wachsen die Kinder ans Herz, mit denen sie täglich Zeit verbringen, es ist letztlich aber eine Dienstleistungsbeziehung. Für die Kinder hingegen ist diese Austauschbarkeit, die zum Berufsleben dazugehört, nicht selbstverständlich, sie ist durchaus krisenhaft, denn Kinder gehen immer davon aus, dass andere ihretwegen da sind.

Wenn Eltern vollerwerbstätig sind, entbehren Kinder jemanden, der für ihr Leben zentral ist. Das ist eine Folge der Vollerwerbstätigkeit, sie ist nicht zu mildern. Der Verlust an gemeinsamer Zeit ist einer an gemeinsamer Erfahrung, sie lässt sich eben nicht organisieren (siehe hier), wie manche meinen, die die Quality Time preisen. Da Eltern in ihre Elternsein zuerst einmal hineinfinden müssen, auch das braucht Zeit, erschwert lange Abwesenheit diesen Erfahrungsprozess, der auch für Eltern krisenhaft ist, zum einen wegen den vollständig neuen Situation, der umfassenden Fremdbestimmung durch die Bedürfnisse der Kinder, zum anderen weil das Elternwerden eigene Kindheitserinnerungen verlebendigt, nicht nur angenehme, auch unangehme. Die Kinder verändern sich schnell in den ersten Jahren – und wieder braucht es Zeit, um diese Erfahrung zu machen.

Vollerwerbstätigkeit staucht die gemeinsame Zeit zusammen. Schon das gemeinsame Frühstück wird schnell hektisch (Kinder im Kitaalter spielen morgens gerne ausdauernd), das Mittagessen fällt aus und zum Abendessen ist man gerade wieder zurück. Wenn auch Teilzeittätigkeit (sofern sie von der Einkommensseite her ausreicht) mehr Zeit miteinander verschafft, erhöhrt sie den Koordinationsaufwand, es bedarf mehr Abstimmung, wodurch die gewonnene Zeit stärker organisiert werden muss. Dieser Befund besagt nicht, was jemand tun sollte, er besagt nur, was er in Kauf nehmen muss, wenn er sich für beides Familie und Beruf entscheidet. Das macht den Kommentar von Karin Truscheit so wertvoll. Sie macht klar, dass man sich entscheiden muss. Wer anderes behauptet, ist fern der Realität. Sicher kann man Kinder haben und sie durch andere versorgen lassen, um der Karriere nachzugehen. Das muss jeder selbst wissen, sollte aber nicht kleinreden, was das bedeutet.

Gleichwohl sind wir nicht so frei, diese Entscheidungen zu treffen, wie der Kommentar nahelegt, denn die Stellung von Erwerbstätigkeit ist normativ überhöht. Erwerbstätig zu sein gilt als besonders wertvoll. Wer erwerbstätig ist, macht alles richtig, auf jeden Fall leistet er etwas Sinnvolles, trägt zum Gemeinwohl bei. Das gilt für die Entscheidung, für Kinder zuhause zu bleiben, heute nicht mehr, denn die Überhöhung von Erwerbstätigkeit sorgt zugleich für eine normative Abwertung des Engagements in der Familie. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit daran, wodurch in unseren Systemen sozialer Sicherung Ansprüche auf Einkommensleistungen erworben werden: vorrangig durch Erwerbstätigkeit. Das zeigt sich ebenso deutlich in der Bildungsrhetorik, die in Frühförderung nach wie vor das Nonplusultra erkennt.

Wenn es also um eine Entscheidung geht, die getroffen werden muss, ob und wann in welcher Lebensphase einem Beruf oder Familie wichtiger sind, dann stellt sich die Frage, wie es möglich ist, sich ihr so freigelassen wie möglich stellen zu können? Gegenwärtig stellt sich diese Entscheidung stets vor dem Hintergrund der normativen Geltung von Erwerbstätigkeit. Hier nun kommt das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel, denn es zieht keine bestimmte Lebensführung einer anderen vor. Erwerbstätigkeit würde nicht mehr auf dem Sockel stehen, nicht mehr als der höchste Zweck gelten, zu dem sie heute gemacht wird. Weder nimmt ein BGE die Zumutung von einem, Entscheidungen treffen zu müssen, noch enthebt es einen der Folgen solcher Entscheidungen, die jeder aushalten muss. Es befreit jedoch von der normativen Hinleitung der Lebensführung in eine bestimmte Richtung. Nicht mehr Erwerbsätigkeit über alles würde gelten, sondern Selbstbestimmung in Gemeinschaft, denn das BGE ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, es ist nicht individualistisch und dennoch Individualität fördernd. Es ist nicht kollektivistisch und dennoch Vergemeinschaftung fördernd.

Sascha Liebermann

Finnland und das Grundeinkommen – Fortsetzung einer medialen Verwirrung

Wer herausfinden möchte, wie unsere Medienberichte in Deutschland zustande kommen können, der muss sich nur die sich überschlagenden Meldungen zur angeblichen Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Finnland anschauen. Schon im Sommer liefen einst die Drähte heiß, auch in der Grundeinkommensszene, so sehr wurde die Einführung offenbar herbeigesehnt. Kela, eine unabhängige „social insurance institution“ (Sozialversicherung) in Finnland ist nun der voreiligen Berichterstattung entgegengetreten (hier auf deutsch). Auch die Nachdenkseiten, namentlich Jens Berger, berichten von dieser „Ente“ und zeigen die Schwächen des Vorschlags auf, um den es in Finnland geht. Es wird daran deutlich, welchen Unterschied die Ausgestaltung eines BGEs machen kann – keine neue Einsicht indes für die  Grundeinkommensdiskussion. Bergers Kritik trifft gar nicht das BGE im Allgemeinen, wenngleich der Beitrag anderes suggeriert durch den Verweis auf früher schon geäußerte Kritik am BGE auf den Nachdenkseiten. Zu manchen davon habe ich mich ausführlich geäußert (siehe hier und hier – zu Butterwegge auch hier, zum Beitrag von Berger hier).

Berger erwähnt in keiner Weise, dass es beim BGE um mehr Entscheidungsfreiräume für die jeweils eigene Lebensführung geht. Sie hängen im wesentlichen davon ab, wie Einkommen in einem Gemeinwesen erzielt werden kann. Bekanntermaßen kennen alle modernen Sozialstaaten jenseits von Erwerbsarbeit beinahe ausschließlich kompensatorische Einkommensleistungen, für die entweder Ansprüche durch Erwerbstätigkeit erworben werden müssen oder die mit der Überprüfung von Erwerbswilligkeit einhergehen, solange der Bezieher erwerbsfähig ist. Wo nicht Erwerbswilligkeit überprüft wird, werden die Leistungen zweckgebunden vergeben (BAföG z.B.). Der darin sich ausdrückende normativ erwünschte Vorrang von Erwerbstätigkeit degradiert jegliches andere Engagement zu einem zweiter bzw. dritter Klasse – ganz gleich wie komfortable diese Leistungen als Geldbeträge sind. Sie sind in keiner Weise komfortabel im Verhältnis dazu, wie eng sie die Lebensführung an Erwerbstätigkeit als höchsten Zweck binden. Hinwendung zur Familie, Zeit für die eigenen Kinder, für ehrenamtliches Engagement wird durch diese Vorrangigkeit zur Freizeitbeschäftigung, obwohl sie in ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen tatsächlich gleichrangig zu Erwerbstätigkeit sind. Deutlich wird an Bergers Ausführungen, wie wenig ein Abrücken von dieser Vorrangstellung überhaupt denkbar erscheint. Er schreibt angesichts des kursierenden Vorschlags in Finnland:

„Wer erwerbslos ist und ein Kind hat, wird mangels bezahlbarer Betreuungsmöglichkeiten keinen Job annehmen können. Und wer erwerbstätig ist und bislang zur Mittelschicht gehört, wird sich den Kindergarten dann auch nicht mehr leisten können und zumindest ein Elternteil muss wohl oder übel den Job kündigen … Alleine die Kindergartenzuschüsse, die Subvention für die Vollzeitbetreuung von schulpflichtigen Kindern und die ordentlichen Beihilfen für Studenten sorgen bereits dafür, dass so ziemlich jeder Finne mit Kindern in toto heute mehrere Hundert Euro Transferleistungen vom Staat bekommt.“

Es wird kein Gedanke darauf gerichtet, dass die gegenwärtige Entwicklung – auch in Deutschland – zu immer längeren Betreuungszeiten von Kindern außer Haus – sei es in Kitas, sei es in Schulen – nur um den Preis zu haben ist, dass zum einen Eltern weniger Zeit mit den Kindern verbringen, zum anderen die Kinder dadurch weniger Zeit für Erfahrungen jenseits organisierter Betreuung in einem fest gefügten Rahmen haben. So wird ein geduldiges Erkunden der eigenen Lebensumgebung in der Nachbarschaft erschwert. Dass es ein lebendiges Familienleben nur geben kann, wo Eltern ausreichend unorganisierte Zeit mit den eigenen Kindern und mit sich als Paar verbringen, fällt vollends unter den Tisch. Das war auch in früheren Beiträgen Bergers so, wie überhaupt viele Kritiker des BGEs diese Seite einer Ermöglichung von mehr selbstbestimmter Familienzeit kaum wahrnehmen, einer Familienzeit, die nicht nach der Erwerbsarbeit kommt, sondern vor ihr (siehe weitere Beiträge zu diesen Fragen hier und ein Beitrag von Claus Offe). Dabei läge es nahe sich zu fragen, woher die ersten frühen Solidarerfahrungen im Leben rühren, wo das erste Mal die Erfahrung gemacht wird, dass Menschen – die Eltern – bedingungslos und verlässlich für einen da sind und das um der eigenen Existenz willen. Es ist die Familie, in der all dies mehr oder weniger selbstverständlich geschieht. Eltern haben weder Feierabend noch Ferien, was sie mit ihren Kindern verbindet, kennt keine Einschränkung. Das macht es zugleich so herausfordernd. Daraus folgt nun nicht, dass Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen nicht wichtig wären, jedoch nicht in dem heutigen Sinne einer immer weiteren Ausdehnung. An Kindern ist leicht zu beobachten, wann sie – und nicht die Eltern – ungefähr bereit sind, in den Kindergarten zu gehen und wie lange sie dorthin gehen wollen. Das ist meist zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr der Fall. Selbst wenn sie die Schule besuchen, ist das Bedürfnis nach Zeit in der Familie groß und dessen Befriedigung wird eingefordert, zumindest solange das Bedürfnis Anerkennung findet. Kinder resignieren allerdings auch, wenn diese Anerkennung nicht erfahren wird.

Man kann es für symptomatisch halten, dass in vielen kritischen Abhandlungen zum BGE, Zeit für Familie keinen besonderen Stellenwert genießt oder in Vorschlägen Berücksichtigung findet, die gerade einmal so weit gehen, die Arbeitswoche auf 30 Stunden zu reduzieren (z. B. hier). Was wir damit womöglich anrichten, die Bedeutung von Familie für Solidarerfahrungen derart geringzuschätzen, lässt sich nicht nur erahnen.

Sascha Liebermann

„Faszination Entwicklung“…

… – Zeit für Erfahrung, Zeit zum Heranwachsen – so könnte man die Dokumentation über den Schweizer Kinderarzt und Forscher Remo Largo, die jüngst im Schweizer Fernsehen gezeigt wurde, übertiteln. Largo hat sich etwa 50 Jahre damit befasst, wie Entwicklungsprozesse bei Kindern verlaufen und ist zu äußerst interessanten Einsichten gelangt. Ein afrikanisches Sprichwort steht dabei für seine Erkenntnisse: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Unter seiner Leitung wurden zwei Langzeitstudien durchgeführt, die zeigten, wie unterschiedlich die Entwicklungszeiträume sind, in denen Kinder bestimmte Fähigkeiten ausbilden. Er beschreibt seine Haltung als ein Denken vom Kinde aus. Einem breiteren Publikum ist er durch sein Buch „Babyjahre“ bekannt geworden, später folgten „Kinderjahre“, „Schülerjahre“ und „Jugendjahre“. Diese Einsichten in Bildungsprozesse führten ihn unter anderem dazu, sich mit dem Bildungswesen, insbesondere der Schule, zu beschäftigen und deutliche Kritik zu äußern, die sich nicht in Gemeinplätzen oder Plattitüden gefällt (Hier einige Videoaufzeichnungen seiner Vorträge). Auch können seine Bücher nicht als Ratgeber im üblichen Sinne verstanden werden, denn Rat gibt er keinen, er präsentiert dort Forschungsergebnisse auf eine verständliche Weise und zeigt auf, welche praktischen Schlüsse aus ihnen gezogen werden können. 

In der Dokumentation kommen darüber hinaus zwei Dinge kurz zur Sprache, zum einen seine Sorge darum, dass Automatisierung dazu führen könnte, sinnerfüllende manuelle Tätigkeiten durch Maschinen erledigen zu lassen, wo aber bliebe dann der „Handwerkerstolz“, denen er als Beispiel hervorhebt? Zum anderen wird am Ende deutlich, dass ein Gemeinwesen vor der Frage steht, welche Bedeutung es Beziehungen, der Gemeinschaftserfahrung, beimisst, statt alles nur am Geld zu messen. Dass Automatisierung dort, wo sie vernünftig ist, auch einem Rückgewinn an Lebenszeit gleichkommt, der gerade dann für Beziehungen zur Verfügung steht, dieser Zusammenhang liegt nahe, wird von ihm aber nicht hergestellt. Largo hat sich auch durchaus widersprüchlich geäußert, wie ich einem früheren Kommentar herausgehoben habe. Es wäre ein Leichtes von seinen Einsichten ausgehend zum BGE zu gelangen, um als Gemeinwesen den Rahmen dafür zu schaffen, Zeit für Erfahrung zu haben. Dass er das nicht tut, mindert seine Einsichten in Entwicklungsprozesse überhaupt nicht, als Brücke zum BGE werden sie umso deutlicher.

Sascha Liebermann

„Hilfe, wohin mit unserem Kind?“

Zur Website der Sendung

Die gesamte Sendung, wie auch schon frühere zu diesem Thema, wirft wieder die Frage auf, wie wir zu Familie stehen. Alle drei porträtierten Familien stehen nicht vor der Möglichkeit, dass beide Eltern für eine Weile – oder sogar, wie mit einem BGE möglich wäre, nach ihrem Dafürhalten – für ihre Kinder zuhause sein können. Wie das konkret aussehen würde, wenn es möglich wäre. müssten die jeweiligen Eltern für sich entscheiden. Heute jedoch, solange Erwerbstätigkeit ein solch große Bedeutung hat, betreiben wir eine Degradierung von Familie. In zwei Familien in dieser Dokumentation sind die Väter werktags die ganze Woche beinahe vollständig abwesend, die Anstrengungen und Entbehrungen, die das für die Mütter mit sich bringt, werden – womöglich entgegen der Absicht der Regisseurin (siehe Website der Sendung) – deutlich. Insofern ist es bezeichnend, dass der Mangel an Kitaplätzen beklagt wird, nicht aber Familienpolitik, die es bislang in keiner Weise vorsieht, dass Eltern sich ausreichend Zeit nehmen können sollen. Ein BGE würde hier ganz andere Möglichkeiten schaffen, ohne eine bestimmte Entscheidung besonders wertzuschätzen.

Sascha Liebermann

„Hart aber fair“ – Zur „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf

In der Sendung Hart aber fair ging es letzte Woche um wichtige Frage unseres Zusammenlebens. Welche Möglichkeiten benötigen Eltern, um darüber zu befinden, wie sie sich der Aufgabe Elternschaft stellen wollen. Der Titel der Sendung war entsprechend: „Kitastreik als Härtetest: Passen Job und Familie wirklich zusammen?“. Damit ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie es heute harmonisierend ausgedrückt wird, aufgeworfen. Einzig Maria Steuer und Heinrich Wefing bezogen hier eindeutig Position, wenngleich nur Frau Steuer offensichtlich Konsequenzen aus der Unvereinbarkeit zog und auf ihr berufliches Engagement eine Weile verzichtete. Sie war die einzige, die klar dafür plädierte, dass Mütter – für Väter müsste es genauso gelten – länger zuhause bleiben können sollten. Sie fand die heutige Entwicklung bedenklich, nicht nur die Fremdbetreuung schon früh einsetzen zu lassen (Stichwort U3) und die Betreuungszeiten auch auf die Nacht auszuweiten. Überhaupt dem Berufsleben ein solch großes Gewicht einzuräumen, dass Familie hinter ihm zurückzustehen habe, stellte sie in Frage. Ihr gegenüber, wenn man es so sehen will, ist die Position von Bundesministerin Manuela Schwesig zu verorten, die mit verschiedenen Vorschlägen schon an die Öffentlichkeit getreten ist und als eindeutige Verfechterin der „Alles ist möglich-Lüge“ zu verstehen ist. Allerdings gab sie an einer Stelle auf sich selbst bezogen zu erkennen, welche Folgen es für sie habe, wenn beide Eltern sich beruflich engagieren: Wenn man dann gemeinsam zuhause ist, soll es harmonisch sein, so ihre eigene Vorstellung davon. Wann bleibt dann Zeit für Streit und die ganz normalen alltäglichen Reibereien, die zum Familienleben dazugehören? Ist das der Preis der „Vereinbarkeit“, dass vorübergehende Disharmonien nicht mehr ausgehalten werden bzw. gar nicht mehr eintreten sollen? Auf ihrer Seite, wenn auch zugleich die Verhältnisse kritisierend, stand die Erziehern Zita van Dijk. Sie wies treffend darauf hin, dass es etliche Eltern gibt, die es sich nicht erlauben könnten zuhause zu bleiben – nicht einmal ein Elternteil. Deswegen seien Kitas gut und wichtig. Erzieher sei keine „Basteltanten“, ihre Verantwortung sei ungleich größer, womit sie sich gegen verächtliche Bemerkungen über ihren Beruf zu Recht verwahrte. In der Tat ist der Beruf des Erziehers ein verantwortungsvoller, die Ausbildung und auch das Ansehen sollten entsprechend sein. Abfällige Bemerkungen sagen etwas darüber, wie wir über Kinder denken. Über das Ziel hinaus schoß sie allerdings, indem sie durch ihre vehemente Verteidigung der Kitas die gegenwärtigen Missstände festschrieb – genau damit geriet ihre Verteidigung in die Schieflage. Sie verlor darüber vollkommen aus den Augen, dass Eltern nicht Bezugspersonen wie andere sind. Die Kinder haben an sie eine primäre Bindung, die mit nicht der zu anderen Personen vergleichbar ist. Selbst zwischen Mutter- und Vater-Bindung muss noch einmal unterschieden werden. Hier tendierte die engagierte Erzieherin dazu, kognitive Entwicklungen über- und affektive unterzubewerten. Sie verteidigte dabei allerdings den status quo, wenn sie vehement darauf hinwies, dass manche Eltern nicht anders könnten. Die Frage wäre doch, wie es ihnen möglich gemacht werden könnte, zuhause zu bleiben, wenn sie wollen. Maria Steuer hingegen führte aus, dass für sie die entscheidende Erfahrung, deretwegen sie sich gegen die Betreuung ihrer Tochter bei einer Tagesmutter entschied, die Reaktion ihres Kindes auf die bevorstehende Trennung gewesen sei. Da reagierte  Zita van Dijk fast schon beleidigt, als sei jede Entscheidung gegen eine Einrichtung eine persönliche Beleidigung des Erzieherberufs. Trennungen seien in jedem Alter schwierig, entgegnete sie, auch noch mit dem Eintritt in die Grundschule. Kinder die solche Erfahrungen schon früher gemacht hätten – durch die Kita -, kämen mit dem Übergang zur Schule besser klar. Nun, hierzu könnte manches gesagt werden, ich möchte es auf einen Punkt beschränken. Es ist kein Zufall, dass Kinder etwa mit dreieinhalb bis viereinhalb Jahren gerne in den Kindergarten gehen und Schließungstage gar nicht begrüßen. Vorher tun sie dies nur, wenn die Eltern es wollen. Hört man Eltern darüber reden, dass ihr 15 Monate oder zwei Jahre altes Kind gerne gehe, dann ist dies vor allem eine Deutung der Eltern, nicht aber eine Haltung des Kindes, die sich darin artikuliert. Noch im Alter von drei Jahren sind Auskünfte von Kindern, wie sie zu einer Sache stehen, schwankend, so dass die Frage danach, ob sie in den Kindergarten gehen wollen, in einem Moment bejaht, im nächsten deutlich verneint wird. Kinder können sich, das wird häufig unterschätzt, mit vielem arrangieren, vor allem mit den Wünschen der Eltern, die sich freuen, wenn die Kinder „gerne“ in die Kita gehen. Wer wirklich will, dass sich Eltern unbefangen der Aufgabe Elternschaft stellen können wollen und dann entscheiden, wovon sie meinen, dass es das für sie Richtige ist, muss Ihnen ermöglichen, sich dieser Aufgabe frei von normativen Erwartungen zu stellen. Das geht nur dann, wenn das Zuhausebleiben genauso, auch finanziell, möglich ist wie Erwerbstätigkeit.

Wie mit früher Fremdbetreuung umzugehen wäre, dazu könnte eine andere Haltung der Kitas beitragen: Wenn Kindertagesstätten nicht einfach als Dienstleistungen verstanden werden, bei denen Eltern Betreuungszeiten einkaufen, sondern als Einrichtungen die auf der Grundlage einer professionalisierten Haltung darüber befinden, zu welchen Bedingungen (Betreuungszeiten und -umfang) sie Kinder aufnehmen, wäre die Lage erheblich anders. Entsprechend müssten Anfragen auch abgelehnt werden können, wenn die Einrichtung den Eindruck hätte, dass Eltern Verantwortung abgeben wollen oder sich über die Folgen zu früher und zu umfangreicher Fremdbetreuung nicht im Klaren sind. Diese Diskussion wird gegenwärtig allerdings kaum geführt, weil der Kita-Ausbau vor allem arbeitsmarkt- und bildungspolitisch motiviert ist, sich aber nicht sich an den Kindern ausrichtet. Das ist schon an den Betreuungszeiten erkennbar.

Wer früher Eindruck gewonnen haben sollte, dass die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder das sogenannte traditionelle Familienbild vertrete, der schaue sich das Kurzinterview im Rahmen dieser „Hart aber fair“-Sendung an. Man sei zwar „nie am richtigen Ort“, sagte sie, meint aber, sie habe darunter mehr gelitten als ihre Tochter, wenn sie nicht zuhause sein konnte. Das klingt nach Rationalisierung, denn, wer weiß schon, was in einem Kind in den ersten Lebensjahren vorgeht. Es bedarf ungleich mehr der Eltern, insbesondere der Mutter, als umgekehrt. Kristian Schröder führte als Grund dafür, weshalb sie zehn bzw. acht Wochen nach Geburt ihrer Töchter wieder ins Ministeramt bzw. das Bundestagsmandat zurückkehrte, an, dass sie keine Elternzeit nehmen konnte. In diesen Positionen stehen sie einem nicht zu. Nun, sie hätte die Positionen aufgeben können, das mag für sie subjektiv keine Alternative gewesen sein, als Alternative bestand sie dennoch. Wenn sie in der Folge sagte, es müsse doch möglich sein, „eins, zwei, drei Jahre“ einen Gang beruflich runterzuschalten, um mehr Zeit zu haben, muss man staunen. Glaubt sie ernsthaft, dass nach einem oder sogar drei Lebensjahren eines Kindes das berufliche Engagement wieder genauso intensiv sein könnte, wie zuvor, ohne die Zeit für Familie erheblich einzuschränken? Da ihr Mann ebenfalls beruflich stark engagiert ist, heißt das, beide haben wenig Zeit für die Kinder. Legt man eine Vollzeitbeschäftigung von acht Stunden am Tag zugrunde, rechnet Pendelzeiten hinzu, dann ist man neun Stunden tagsüber abwesend. Lässt man den Arbeitstag um acht Uhr beginnen, dann endet er um 17 Uhr. Wieviel bekommt man dann von den Kindern mit, bis sie ins Bett gehen? Dass als Ministerin oder Bundestagsabgeordnete die Arbeitszeiten so regelmäßig einggrenzbar sind, ist ein frommer Wunsch, nicht aber Realität. Ihr Bekenntnis zur Wahlfreiheit, ganz wie Frau Schwesig, sieht Familie ganz aus dem Blickwinkel eines alleinlebenden Erwachsenen, der keine hat. Denn Wahlfreiheit ist nur solange ein hehres Ziel, wenn sie die Folgen für andere berücksichtigt. Starkes berufliches Engagement bleibt aber für Familie nicht folgenlos, für die Kinder schon gar nicht (siehe z.B. hier und hier, ähnlich auch Bundesministerin Andreas Nahles im Interview; vergleichbare Haltungen bei allen Parteien auch in der Bundestagsdebatte zum Betreuungsgeld im Deutschen Bundestag).

An solchen Diskussionen wird einmal mehr deutlich, wie sehr wir in der Vorstellung festhängen, Erwerbstätigkeit müsse jeder Zeit das Maß der Lebensentscheidungen sein und dürfe nur kurzzeitig in den Hintergrund rücken. Für Familie „einen Gang“ herunterzuschalten wird dann schon als Zugeständnis betrachtet. Das soll nicht heißten, dass wir als Gemeinwesen vorschreiben sollten, wie Eltern damit umzugehen hätten. Wir sollten allerdings auch nicht so tun, als sei es für Kinder und ihre Entwicklung gleichgültig, wie die Entscheidungen ausfallen. Die Folgen davon hat im Zweifelsfall das Gemeinwesen zu tragen. Weil die Verantwortung groß ist, bedarf es eines Freiraums für Eltern, sich dieser Entscheidung zu stellen, ohne in eine Richtung gewiesen zu werden. Einmal mehr erweist sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen hierfür als besonders angemessen.

Sascha Liebermann

„Warum nicht mal 30 Stunden?“…

…fragt ein Beitrag im Magazin Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung. Der Titel ist einem Interview mit dem „Arbeitszeitforscher“ Gerhard Bosch entnommen, der sich einst schon zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert hat („Das Menschenbild des Grundeinkommens „ist nicht wünschenswert““)

Im Interview geht es vor allem um kürzere Arbeitszeiten im Vergleich zu einer heutigen Vollzeitstelle und um Auszeiten wie Sabbaticals. Wenige Stellen seien hier kommentiert:
 „…Wir haben eine starke Standardisierung, die auf der Fünf-Tage-Woche basiert. Trotzdem wirken viele Leute gehetzt.
Die Standardisierung und den Wert des Wochenendes kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Eine Gesellschaft braucht solche Rhythmen. Bei Beschäftigten ohne geregelte Erholungspausen wächst der Wunsch, längere Auszeiten zu nehmen. Auszeiten sind inzwischen sogar unter Topmanagern hoffähig geworden. Der Wettbewerb setzt die Unternehmen jedoch unter einen enormen Druck, den sie an ihre Beschäftigten weiterreichen. Es gibt Unternehmen, die ausgelaugte IT-Spezialisten regelmäßig auswechseln. Die Experten verdienen sehr gut und scheiden frühzeitig aus. Aber das ist keine Lösung für alle. Ich plädiere eher für eine Entschleunigung auch durch Sabbaticals…“

Sabbaticals sind schon lange in der Diskussion, doch würden sie allenfalls Verschnaufpausen schaffen. Sie könnten sogar die Erwerbsorientierung noch weiter stärken, da weiterhin dem Zweck der Wiedergewinnung von Arbeitskraft eingebunden blieben und keine Perspektive unabhängig davon eröffneten. Sie wären eben von vornherein befristete Verschnaufpausen im Rahmen der Erwerbsorientierung.

„…Heute sind viel mehr Frauen erwerbstätig als früher. Doch arbeiten sie oft weniger, als sie es sich wünschen. Was sind die Ursachen?
Durch die fehlende Kinderbetreuung, die Abgabenfreiheit für Minijobs, die über den Ehepartner abgeleitete Krankenversicherung und das Ehegattensplitting arbeiten viele deutsche Frauen in Minijobs. Diese sind gegenüber sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeit erheblich billiger. Für manche Tätigkeiten werden fast nur noch Minijobs angeboten, wodurch die Chancen auf einen Übergang in reguläre Arbeit sinken. Im Unterschied zu anderen Ländern wurde bei uns die durchschnittliche Arbeitszeit der Frauen dadurch – entgegen ihren ausdrücklichen Wünschen – immer kürzer…“

Hier wird deutlich, wie stark Bosch in Zusammenhängen der Erwerbsorientierung und im Modell nutzenorientierten Handelns denkt. Ob Frauen den Wunsch nach mehr Erwerbstätigkeit auch hätten, wenn es tatsächlich durch das Gemeinwesen anerkannt wäre, für Kinder zuhause zu bleiben – darüber sagt dies nichts. Inwiefern der Wunsch nach mehr Erwerbstätigkeit und der nach mehr Anerkennung durch Erwerbstätigkeit, daher rührt, dass die fürsorgliche Zuwendung zu Kindern nicht wertgeschätzt wird (siehe hier und hier), kann nur vermutet werden. Dass Ehegattensplitting hält niemanden davon ein, berufstätig zu sein, dem die Berufstätigkeit wichtig ist, der darin eine sinnvolle Betätigung erkennt.

„..Sie plädieren als Wissenschaftler seit 15 Jahren für eine neue Arbeitszeitordnung. Wie sollten die Arbeitszeiten zukünftig gestaltet werden?
Ich werbe für ein neues Normalarbeitsverhältnis, in dem je nach Lebenslage auch Phasen mit bezahlten und unbezahlten Unterbrechungen oder Teilzeitarbeit einen Platz haben. Die Art und Weise, wie wir heute arbeiten, entspricht nicht mehr den Lebensentwürfen vieler Beschäftigter. Wir wissen längst, dass viele Frauen in einer längeren Teilzeit arbeiten wollen und dass Männer weniger Überstunden machen wollen…“

Nun kann man sich dafür Arbeitszeitmodelle ausdenken und für sie streiten (sehr differenzierte Teilzeitformen, wie es sie in der Schweiz gibt), die Verhandlungsmöglichkeiten verbleiben innerhalb der Erwerbsorientierung. Bessere Verhandlungsmöglichkeiten hat nur, wer ausweichen kann oder dessen berufliches Profil knapp ist. Will man aber dem Einzelnen mehr Verhandlungsmöglichkeiten schaffen, die weit über Arbeitszeit hinausgehen, von denen diese nur ein Aspekt sind, dann bedarf es einer anderen Lösung, die eben nur ein Bedingungsloses Grundeinkommen bietet. Wäre es eingeführt, braucht über Arbeitszeitmodelle nicht mehr in dem Maße nachgedacht werden, weil sie sich aus den Verhandlungen ergeben, die dann wirklich souverän geführt werden können.

„..Männer sollen also weniger Erwerbsarbeit leisten und Frauen mehr? Was sind eigentlich die Vorteile?

Die Vorteile liegen in einer größeren betrieblichen Bindung der zunehmend gut qualifizierten Frauen und der kostengünstigen Flexibilität bei kurzer Vollzeit, da die Überstunden innerhalb der Regelarbeitszeit keine Zuschläge erfordern. Die Polarisierung zwischen langen Arbeitszeiten und marginaler Teilzeitarbeit könnte abgebaut werden. Eine egalitärere Stundenverteilung würde auch die Einkommensungleichheit verringern…“

Und was hieße das für Familien, für die Zuwendung zu den Kindern? Das wird aus folgender Passage deutlich

„…Sie plädieren aber nicht für eine große, allgemeine Arbeitszeitverkürzung?

Das ginge an den Wünschen der Menschen ebenso vorbei wie an den Verhältnissen in den Betrieben, die in einer globalen Konkurrenz stehen. Firmen sollten aber verstärkt lange Teilzeit – zwischen 20 und 28 Stunden – sowie kurze Vollzeit – zwischen 28 und 35 Stunden – anbieten. Wenn Frauen und Männer gleichermaßen erwerbstätig sind, sich Erziehungs- und Pflegeaufgaben teilen, muss die Arbeitswelt flexibler werden. Wir brauchen ein neues, flexibles Normalarbeitsverhältnis mit der traditionellen Schutzfunktion, die ein unbefristeter Arbeitsvertrag bietet, aber erweitert um Optionen für eine selbstbestimmte Arbeitszeitgestaltung im Erwerbsverlauf. 2002 haben wir „längere Teilzeit“ und „kurze Vollzeit“ als neue Arbeitszeitnormen vorgeschlagen. Jetzt sind diese Begriffe endlich in der politischen Diskussion angekommen…“

Also, doppelte Erwerbstätigkeit, was, selbst bei reduzierten Arbeitsstunden in Vollzeit nicht nur zu höherem Koordinationsbedarf zwischen den Eltern, also mehr Alltagsplanung, führt, sondern auch zu doppelten Verpflichtungen. Denn beide Eltern müssen die Verantwortung gegenüber den Kindern und dem Familienleben auf der einen und die Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber auf der anderen Seite unter einen Hut bekommen. Was gemeinhin als Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefeiert wird, ist, dem Titel eines im letzten Jahr erschienen Buches folgend, die „Alles ist möglich-Lüge“. Das Leben lässt sich nicht einfach organisieren, je kleiner die Kinder sind, desto weniger. Darüber hinaus würde die von Bosch vorgeschlagene Flexibilisierung nicht aus der Vorrangstellung von Erwerbsätigkeit hinausführen, würde andere Tätigkeiten weiterhin dahinter eingeordnet lassen.

Wohin das führt, sehen wir hier:

„…Das hört sich alles gut an. Aber wer kann es sich schon leisten, längere Zeit nur 30 Stunden zu arbeiten?
Wenn in einer Paarbeziehung beide 30 Stunden arbeiten, ist das Einkommen nicht niedriger als mit einem Alleinverdiener. Aber es stimmt: Bei einem zu geringen Haushaltseinkommen scheitert das Modell. In Ländern wie den USA, in denen Einkommen sehr ungleich verteilt sind, versuchen die Geringverdiener, ihren Lebensstandard durch einen zweiten Job oder Überstunden zu sichern. Bei zunehmender Einkommensungleichheit laufen alle Vorschläge zu einer auch nur vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit ins Leere…“

30 Stunden in einer Fünf-Tage-Woche sind immer noch sechs Stunden pro Werktag (in einer Vier-Tage-Woche wäre es siebeneinhalb Stunden, beinahe wie bisherige Vollzeit), hinzukommen noch An- und Abfahrt, die je nach dem eine weitere Stunde betragen können. Dann wären es also sieben Stunden am Tag. Damit einhergehen müssten längere Betreuungszeiten für Kinder im Kindergarten (Arbeitszeit der Eltern plus Bring- und Abholzeit), da beide Eltern berufstätig sind und nur dann, wenn Schicht gearbeitet würde, einer die Kinder abholen könnte. Boschs Vorschlag würde – für den Vollzeiterwerbstätigkeit aus der gegenwärtigen Entwicklung hin zu längeren Betreuungszeiten nicht hinausführen. Darüber hinaus würde durch den Vorrang von Erwerbstätigkeit die damit einhergehende Abwertung von Familien nicht aufgehoben.

Und in der folgenden Passage wird das Lenkungsdenken allzudeutlich, Stichwort „Anreize“:

„…Gibt es dafür eine ausreichende Infrastuktur?
Das Angebot an Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen mit zuverlässigen ganztägigen Öffnungszeiten muss weiter verbessert werden, sodass Eltern auch tatsächliche Arbeitszeitoptionen erhalten. Die gegenwärtigen Versuche der Politik, ein neues Familienmodell zu fördern, sind inkonsequent, da der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen durch gegenteilige Anreize im Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht konterkariert wird…“

Das Leben operiert nicht in Reiz-Reaktions-Abläufen.

„…Sie fordern Wahlarbeitszeiten für Beschäftigte, was neben dem Recht auf Teilzeit auch das Rückkehrrecht auf die alte Arbeitszeit einschließt. Wie weit zieht die Politik mit?
Mit der Verabredung im Koalitionsvertrag, Rückkehrrechte auf die alte Arbeitszeit bei Kindererziehung und Pflege gesetzlich zu verankern, wurde ein großer Schritt in diese Richtung getan. Vielleicht kommt man im nächsten Schritt dazu, solche Rückkehrrechte auf alle Teilzeitbeschäftigten auszudehnen..“

Was von einer gesetzlichen Regelung zu halten ist, zeigen die heutigen Beispiele z.B. im Falle von Eltern, die in Elternzeit gehen und dann doch nicht mehr zurückkehren können auf ihre Stelle, ganz legal. An diesem Beispiel zeigt sich wiederum, wieviel weitreichender ein BGE wäre, weil es nicht nur die Abhängigkeit vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit – je nach Höhe des BGE – aufhöbe, sondern auch das Nicht-Erwerbstätigsein zum legitimen Status erklären würde.

Sascha Liebermann

„Das tätige Leben – heute und morgen“…

…darauf wagt der Historiker Jürgen Kocka einen Blick im Debattenmagazin Berliner Republik(Jubiläumsausgabe). Er hebt mit einer Feststellung an, die bemerkenswert und vielsagend ist:

„Unsere Gesellschaft hört nicht auf, eine Arbeitsgesellschaft zu sein. Die Arbeit ist ihr nicht ausgegangen, wie namhafte Sozialwissenschaftler vor ein paar Jahren prophezeiten: Noch nie haben prozentual so viele Deutsche Erwerbsarbeit geleistet wie heute. Nach wie vor beruhen wirtschaftliche Leistungskraft, sozialer Zusammenhalt, kulturelle Orientierung und politischer Einfluss in hohem Maße auf Erwerbsarbeit. Aber die Arbeitsgesellschaft ändert sich grundlegend, in zumindest drei wichtigen Hinsichten…“

In der Tat war die These vom „Ende der Arbeit“ vorschnell und unpräzise. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass ein Blick auf die Entwicklung des Arbeitsvolumens einen zu solchen Überlegungen führen konnte und kann. Denn, bei aller Zunahme der Erwerbstätigen, die auch Kocka offenbar für bemerkenswert hält, hat das Arbeitsvolumen kaum zugenommen, es verteilt sich also nur auf mehr Köpfe. Die Gründe für die deutsche Entwicklung sind nicht so klar (siehe „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“ und „Irre Beschäftigungseffekte, wirklich tolles Land…“).

Die Behauptung, dass „wirtschaftliche Leistungskraft, sozialer Zusammenhalt, kulturelle Orientierung und politischer Einfluß“ in hohem Maße auf Erwerbsarbeit beruhen, ist erstaunlich. Zwar wird immer wieder behauptet, dass Erwerbsarbeit für den sozialen Zusammenhalt wichtig sei, doch spricht nichts dafür, dass dies in einem fundamentalen Sinne tatsächlich so ist. Sie hat zwar ihren Ort und ihre Bedeutung für unser Gemeinwesen. Der Zusammenhalt, den sie stiftet, ist aber keiner, der sich auf die Person als ganze richtet, die um ihrer selbst willen anerkannt würde, sondern nur auf sie als Mitarbeiter insofern, als sie der Erledigung einer Aufgabe dient. Im Erwerbsverhältnis ist der Einzelne gerade deswegen austauschbar, weil er nicht um seiner selbst willen wirkt, es geht um eine Aufgabe oder Sache, für die und nur in Relation zu der er wirken soll. Wo er das nicht mehr angemessen kann, muss er ersetzt werden. Das ist weder unmenschlich, noch Ausdruck von Kälte oder Sinnentleerung, wie manchmal zu lesen ist, sondern für eine arbeitsteilige Aufgabenbewältigung unerlässlich. Die Würde der Person ist dadurch nicht in Frage gestellt, weil sie diese Würde von sich aus hat und nicht erst durch Erwerbsarbeit erlangt (siehe hier und hier). Die Würde erfährt der Einzelne an anderen Orten, wo es auch tatsächlich um ihn um seiner selbst willen geht: in Familie und Gemeinwesen. Im Erwerbsleben wird die Würde erst dann virulent, wenn sie nicht geachtet oder der Zweck, dem ein Mitarbeiter dient, mit der Würde und damit den Grundlagen der politischen Ordnung kollidiert. Wenn Kocka feststellt, dass politischer Einfluss in hohem Maße auf Erwerbsarbeit beruhe, wäre das gerade problematisch – würde indes erklären, weshalb Tätigkeitsfelder jenseits von Erwerbsarbeit als Privatvergnügen betrachtet werden.

In einer späteren Passage schreibt Kocka:

„…Vieles von dem, was im 19. und frühen 20. Jahrhundert vornehmlich von Frauen im Haus erledigt wurde, ist zum Gegenstand von Erwerbsarbeit oder zur Aufgabe sozialstaatlicher Träger geworden. Der Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl hat die familiären und häuslichen Aufgaben stark reduziert. Die schnell ansteigende Frauenerwerbsarbeit ist teils Antrieb, teils Folge dieser Entwicklung…“

In der Allgemeinheit, in der er schreibt, wird man dem Autor leicht zustimmen können, doch wie ist es genau zu verstehen? Ist es tatsächlich so, dass die Aufgaben, die mit Familie einhergehen, heute weniger vereinnahmend sind? Was durch die Nutzung moderner Haushaltsgeräte oder die Übertragung von Aufgaben an Dienstleister an Zeit gewonnen wird, weil sie nicht mehr mit aufwendigen manuellen Tätigkeiten verbracht werden muss, ist Zeit, die frei wird, um sie den Kindern zu schenken. Sie ist damit sogleich wieder vereinnahmt für eine andere Aufgabe. Denn unsere Lebensverhältnisse verlangen dem Einzelnen heute eine individuierte Lebensführung ab, d.h. es gibt keine traditionelle Antwort mehr auf die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, die den heutigen Lebensverhältnissen gemäß wäre. Deswegen ist auch die inviduierte Zuwendung zu den Kindern von so großer Bedeutung und zeitaufwendiger, als es traditionale Zuwendung war, denn diese individuierte Zuwendung fördert die Individuierung der Kinder wiederum und schafft damit die Grundlage für eine autonome Lebensführung. Diesen Wandel ernst genommen wird die Rede von der Arbeitsgesellschaft in ihrer Unangemessenheit noch deutlicher, weil sie für Familie gerade nicht den Raum lässt und ihn auch nicht schafft, den sie bräuchte, um sich diesen Herausforderungen zu stellen (siehe„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und „…wir wollen, dass jeder sein Leben in Würde selbst finanzieren kann…“)

Gegen Ende heißt es dann:

„…In dem Maße, in dem die Erwerbsarbeit stärker durch nicht-marktbezogene Arbeit ergänzt und mit dieser verknüpft wird, eröffnet sich auch ein inhaltsreicheres Verständnis der Arbeitsgesellschaft. Eine Arbeitsgesellschaft neuer Art, die der Erwerbsarbeit weiterhin einen zentralen Stellenwert einräumt, zugleich aber von menschlicher Arbeit anderer Qualität ebenfalls lebt: eine Arbeitsgesellschaft über die reine Erwerbsarbeit hinaus? Eine „Tätigkeitsgesellschaft“, wie Ralf Dahrendorf es formulierte? Eine Arbeitsgesellschaft, die zugleich Bürgergesellschaft (Bürger im Sinne von citizen) ist und gerade nicht in der Logik des Kapitalismus aufgeht? Vielleicht ist dies das zentrale Merkmal der gegenwärtigen Situation – und eine Chance für die Zukunft…“

Hier, erst gegen Ende, eröffnet der Beitrag den Ausblick darauf, etwas anderes zu sein als eine Arbeitsgesellschaft und verharrt doch zugleich in ihren Grenzen. Der Begriff „Arbeitsgesellschaft“ ist für unsere Lebensverhältnisse unangemessen und geht an ihren Fundamenten vorbei. Schon heute hinkt unser Selbstverständnis der tatsächlichen politischen Ordnung hinterher. Was uns zusammenhält, ist nicht die Arbeitsgesellschaft, es ist die politische Gemeinschaft – das mag uns nicht klar sein, ist jedoch die Realität.

Sascha Liebermann

Vorreiter Skandinavien?

Neil Irwin zeigt in einem Artikel in der New York Times auf, wie fortschrittlich die skandinavische Sozial-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik sei. Trotz extrem hoher Besteuerung ließen sich die Menschen dort nicht vom Arbeiten abbringen, was darauf hinweise, dass sie arbeiten wollen und nicht durch Anreize dazu gebracht werden müssen. Wenn er aufweist, was in den skandinavischen Staaten alles für infrastrukturelle Wohltaten, die aus den hohen Steuern finanziert werden, den Bürgern das Arbeiten ermöglichen, wird man allerding etwas stutzig. So heißt es mit Bezug auf die Berechnungen von Henrik Jacobsen Kleven von der London School of Economics: „There is a solid correlation, by Mr. Kleven’s calculations, between what countries spend on employment subsidies — like child care, preschool and care for older adults — and what percentage of their working-age population is in the labor force.“ Was bedeutet das? Nun, es heißt doch, dass – vor allem dort, wo Erwerbsarbeit ein normatives Normalmodell, einen starken normativen Konsens darstellt – der Druck auf diejenigen, die nicht „Beruf und Familie vereinbaren“ wollen, extrem gesteigert wird, denn nun gibt es keine „Ausrede“ mehr: die Kinder können ja „untergebracht“ werden… Die norwegische Kindergärtnerin Marianne Hillestad, die in dem Artikel zitiert wird, spricht es unumwunden aus: „The system is designed to keep us working.“ Das skandinavische System der Wohlfahrt, das auch hier immer wieder als Vorbild hochgehalten wird, ist also nicht etwa da, um den Bürgern ein würdevolles und freies Leben zu ermöglichen. Und wenn eine Krankenschwester aus Oslo, Camilla Grimsland Os, einerseits sagt: „Being home with my children is a blessing“, aber andererseits: „I feel that I contribute when I go to work.” – ja, was heißt das? Doch offensichtlich, dass, für die Kinder zu Hause da zu sein, für sie und ihre Landsleute eben nicht bedeutet, etwas beitzutragen, sondern eher als etwas Zusätzliches gilt, als ein persönlicher Luxus, der für sie „a blessing“ darstellt, aber kulturell-normativ doch vielleicht eher als „a mixed blessing“, als ein zweifelhaftes Vergnügen gesehen wird. Irwin macht diesbezüglich die zutreffende Bemerkung: „The Scandinavian countries may have cultures that encourage more people to work, especially women.“ Diese Beobachtung verweist auf die gern übersehenen kulturellen, arbeitsethischen Voraussetzungen der skandinavischen Länder. Vor deren Hintergrund sind die sozialen Errungenschaften dort nicht mit einem BGE vereinbar und auch keineswegs als Schritte auf dem Weg dorthin zu begreifen. Ziel des BGE ist demgegenüber die Befreiung von diesem normativen Erwerbszwang – und paradoxerweise ist eine Voraussetzung zu seiner Einführung die vorweggenommene gedankliche Befreiung davon.

Thomas Loer

„Papa, trau‘ Dich!“

So lautete der Titel der „Story im Ersten“ am 19. Januar. Die Sendung beschäftigte sich damit, wie Väter heute mit der Herausforderung Elternschaft umgehen. Begleitet wurden Väter, die Elternzeit nahmen – manche kürzer, manche länger – und von ihren Erfahrungen berichteten. Das hätte die Chance geboten, mehr darüber herauszufinden, wie Väter das Hin- und Hergerissensein zwischen Beruf und Familie erleben. Ansatzweise geschieht das auch, so werden zwei Väter porträtiert, die „nur“ noch halbtags berufstätig sind, um nachmittags für ihre Kinder da zu sein. Einer berichtet darüber, dass er erst seit Aufgabe seiner leitenden Funktion realisiert hat, wie stark der Druck zuvor war und wie wenig er von seiner Tochter mitbekommen hatte. Beider Frauen allerdings arbeiten Vollzeit, die „traditionelle“ Aufteilung wird also einfach umgedreht und kein Blick daruf geworfen, wie ein Familienleben aussehen könnte, für das sich beide mehr Zeit nehmen. So ist am Film ein Widerspruch erfahrbar, der leider nicht weiter filmisch aufgenommen wird. Dass es keine „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf gibt, wie der prägnante Titel eines Buches „Die Alles ist möglich-Lüge“ es auf den Punkt bringt.

Siehe auch KannMannFrau von Gabriele von Moers und „Superfrauen, Supermütter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf“

Sascha Liebermann