„Vollzeitarbeit ist keine Lösung“…

…so ist ein Beitrag Jutta Allmendingers auf Zeit Online (Bezahlschranke) übertitelt. Das lässt aufhorchen angesichts dessen, dass noch immer in der Vollzeiterwerbstätigkeit das Ziel der Arbeitsmarktpolitik gesehen wird. Da diese Ausrichtung das Gegenteil von Familienpolitik ist, es sei denn, man versteht darunter eine Politik für Familien ohne diese, ist die Frage, welche Vorschläge von dieser Ausrichtung wegführen könnten. Einige Passagen seien hier kommentiert:

„Das [die funktionale Aufteilung von Erwerbs- und Sorgetätigkeit zwischen Ehemann und -frau, SL] entsprach den damaligen Normen: Die gesamte im Paarhaushalt anfallende Arbeit, unbezahlte Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit und bezahlte Erwerbsarbeit wurden funktional getrennt, die bezahlte Erwerbsarbeit dem Mann, die unbezahlte Sorgearbeit der Frau zugerechnet, entsprechend ihrer „Bestimmung“ und Ausbildung.“

Was Jutta Allmendinger hier beschreibt, entspricht zwar den normativen Vorstellungen der damaligen Zeit, gleichwohl sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, wie hoch die Frauenerwerbsquote schon war, nämlich knapp unter 50% (Grafik zur Erwerbstätigenquote seit 1960, siehe auch hier). Sicher ging es dabei vorrangig um „Zuverdiensttätigkeiten“, wie Teilzeiterwerbstätigkeit damals auch genannt wurde, die Quoten ab 1960 zeigen aber, welche Stellung Erwerbstätigkeit damals schon hatte. Nicht erwerbstätig sein zu müssen, bedeutete, es nicht nötig zu haben und konnte als Freiheits- bzw. Wohlstandsgewinn betrachtet werden – heute würde das unter dem Stichwort Zeitsouveränität diskutiert. In der Rückschau werden die damaligen Zeiten schnell als „traditional“ eingeordnet, so wie heute von „Retraditionalisierung“ die Rede ist, wenn es Frauen auf Erwerbstätigkeit für eine gewisse Zeit verzichten oder sie stark einschränken. Dabei ist es nicht dasselbe, und zwar normativ, ob sich jemand dafür entscheidet, zuhause zu sein, weil er es für richtig und wichtig erachtet oder ob er die Aufgabe übernimmt, weil es normativ erwartet wird. Insofern geht der Begriff „Retraditionaliserung“ an der Sache vorbei.

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Jutta Allmendinger zum Bedingungslosen Grundeinkommen bei Jung & Naiv

Die relativ kurze Passage in dem langen Gespräch ab 1:23:30 gibt doch einen ganz guten Einblick darein, wie Jutta Allmendinger über das BGE denkt. Als sei die Diskussion nicht ziemlich differenziert mittlerweile, fordert sie auf Thilo Jungs Frage hin zuerst einmal eine Antwort darauf, welches BGE er denn meine. Systematisch betrachtet gibt es gar nicht so viele und der Kern ist bei allen ziemlich gleich. Abweichungen gibt es vor allem in der Betragshöhe und dahingehend, welche sozialstaatlichen Leistungen es ersetzen soll. Auch diese Spanne ist allerdings schnell benannt, hängt dann letztlich von praktischen Bewertungen ab.

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„Bergab geht’s immer nur bei den anderen“ – Missgunst in Deutschland…

…darüber schrieb Gerald Wagner in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und bezieht sich die Befragung im Rahmen der zweiten Welle der „Vermächtnis“-Studie, die das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt hat. Wagner kritisiert die Deutungen der Befragungsergebnisse durch Jutta Allmendinger und meint, Klärung könnte hierzu nur die Sozialstatistik bieten. Sie kann aber allenfalls darüber aufklären, ob zutrifft, wie Befragte die gesellschaftliche Lage deuten (also Einkommensverhältnisse, prekäre Arbeitsverhältnisse usw.), nicht aber, weshalb Befragte diese Verhältnisse so deuten, wie sie es tun, und wie dann eine Diskrepanz zwischen realen Verhältnissen und Deutung zu erklären sei. Da hilft die Statistik nicht weiter, hierzu bedarf es „qualitativer“ Studien im Sinne z. B. der fallrekonstruktiven Forschung (siehe z. B. hier). Befragungsdaten sind ohnehin denkbar oberflächlich, weil sie nur abfragen, was der Befragte auch bewusst angeben kann.

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Was dagegen spricht, spricht auch dafür…

…so resümiert das Handelsblatt Äußerungen der Soziologin Jutta Allmendinger in einer Besprechung ihres Buches „Das Land, in dem wir leben wollen“. Hier die entsprechende Passage:

„Wenn etwa die Erwerbsarbeit solch einen hohen Wert für die Menschen heute, aber auch für ihren Zukunftswunsch hat, ist die Debatte über das Grundeinkommen aus Allmendingers Sicht die falsche. Demnach brauche man Menschen nicht aus der Erwerbsarbeit herauskaufen, da sie ja arbeiten wollen. Andererseits könnten Befürworter eines Grundeinkommens dies auch als Beleg dafür anführen, dass sich Menschen eben nicht einfach in die Hängematte legen würden, statt etwa zu gründen. Arbeit, so die Studie, bedeute Entfaltung und Zugehörigkeit, Teilhabe und Miteinander. Die Wissenschaftlerin argumentiert daher: „Wir müssen die Menschen mitnehmen, ihnen Chancen, Orientierung und Sicherheit geben, sie aktiv vorbereiten auf die Arbeitswelt von morgen.“

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Ziehungsrechte – die schlechte Alternative zum Bedingungslosen Grundeinkommen

Die Diskussion über Ziehungsrechte wird schon länger geführt, in jüngerer Zeit durch den Vorschlag eines Lebenschancenkredits von Steffen Mau – schon der Begriff ist bezeichnend – ist sie wiederbelebt worden. Im Unterschied zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen sind diese Modelle aber zweckgebunden, eröffnen zwar mehr Freiräume als heute, bleiben jedoch in der Logik einer aktivierenden Sozialpolitik stecken. Die Überlegungen von Mau gehen auf Ausführungen von Alain Supiot zurück. Zu dessen Modell hatte sich vor einigen Jahren Ulrich Mückenberger in seinem Beitrag „Ziehungsrechte – Ein zeitpolitischer Weg zur „Freiheit in der Arbeit“?“ geäußert. Mückenberger macht darin deutlich, dass diese Ziehungsrechte jedoch von beschränkter Wirkung seien und machte sich deswegen für ein Grundeinkommen stark, das ergänzend hinzutreten müsste, um Nicht-Erwerbstätige von den Ziehungsrechten nicht auszuschließen.

In eine ähnliche Richtung wie Ziehungsrechte weisen Vorschläge zu Lebenszeitkonten (siehe z. B. hier, hier, hier und hier). Siehe auch „Ganz nah dran und doch anders – Anthony Atkinsons ‚participation income'“.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen – Ein Gewinn für die Gesellschaft?“…

…unter diesem Titel diskutierten am 1. Dezember auf Einladung der Volkswagenstiftung Prof. Dr. Michael Opielka (ISÖ – Institut für Sozialökologie, Siegburg, und Professor für Sozialpolitik, Ernst-Abbe-Hochschule Jena), Prof. Dr. Stephan Lessenich (Institut für Soziologie, Universität München, Prof. Dr. Jutta Allmendinger (WZB – Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) und Michael Sommer (ehemaliger Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)).

Siehe hierzu einen Kurzbericht im Weser Kurier. NDR Info berichtete ebenfalls darüber.

„Jedes Leid hat einen Namen“

Auf diese Formel bringt Götz W. Werner den Missstand, dass wir individuelle Lebenssituationen allzu leicht hinter Konzepten und statistischen Größen verschwinden lassen (siehe seine Kolumne im dm-Kundenmagazin), das damit verbundene Leid folglich nicht mehr sehen. In Erinnerung ruft er hierbei eine Diskussion mit der Soziologin und gegenwärtigen Präsdentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, aus dem Jahr 2008 in dem Magazin Chrismon (der Artikel ist online nicht mehr verfügbar, siehe aber unseren Beitrag von damals dazu). Sie hält darin der Perspektive auf das Individuum, die Werner stark macht, das Konzept der Vollbeschäftigung entgegen, wenn sie sagt, 3% Arbeitslose bedeuten beinahe Vollbeschäftigung. Nun, was hilft das dem Einzelnen? Ganz anders wäre es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Die Soziologin spricht über das Leben – und verwechselt es mit Statistik

Aus der Soziologie, die etwas dazu sagen könnte, hört man wenig über Forschungsergebnisse zur Autonomie der Lebensführung und Gemeinwohlbindung, die Aufschlüsse über mögliche Auswirkungen eines bedingungsloses Grundeinkommen zulassen. Um so aufmerksamer sind die Ausführungen von Jutta Allmendinger zu lesen, die sich im Gespräch mit Götz Werner im Online-Magazin Chrismon zu ähnlichen Fragen äußert. Es sei dem Leser überlassen, was man aus den Ausführungen der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) über den Zustand der Soziologie herauslesen kann. Was zum BGE gesagt wird, kommentieren wir.

chrismon: Viele Menschen quälen sich morgens aus dem Bett, weil sie arbeiten müssen.
Allmendinger: Die meisten Menschen würden arbeiten, aber viele in anderen Jobs als heute. Ich bin in der luxuriösen Situation, mir meine Arbeit weitgehend wählen zu dürfen. Aber nicht alle Menschen haben eine Bildung, wie ich sie genießen durfte, weil ich zufällig im richtigen Elternhaus groß geworden bin.

Was lässt diese Antwort nun erwarten? Plädiert sie dafür, dass Menschen mehr Möglichkeiten erhalten sollten, wählen zu können? Das wäre konsequent. Gemeint ist wohl, dass Bildung die Wahlmöglichkeiten verbessert. Das ist statistisch betrachtet der Fall, nicht aber für den Einzelnen gesichert (wie auch Paul Krugman weiß), wie man an zahlreichen, sich von einem zum nächsten befristeten Arbeitsvertrag hangelnden Wissenschaftlern und Freiberuflern sehen kann.
Frau Allmendinger entgegnet dann auf die Äußerung Götz W. Werners, der feststellt, dass auch viele Akademiker arbeitslos seien:

Allmendinger: Das stimmt so nicht. Unter Akademikern sind, statistisch betrachtet, keine drei von hundert Menschen arbeitslos. Unter den Bildungsarmen im Osten sind es 50 von hundert.
Werner: Also fast drei Prozent! Ist das nichts? Wie viel Hunderttausend Menschen stehen dahinter?

Was aber ändert der statistische Befund am Einzelschicksal? Gar nichts, wie Werner treffend feststellt. Für eine Vorstellung von Politik, die Probleme über Planung lösen will, ist ein solcher Befund relevant, nicht aber für eine, die den Einzelnen im Auge hat und seine Möglichkeiten maximieren will.

Allmendinger: Sie sehen das Problem individuell. Aufs Ganze gesehen bedeutet eine Arbeitslosenquote von drei Prozent Vollbeschäftigung. Das Thema Akademikerarbeitslosigkeit wird in den Medien überbetont.

Das Einzelschicksal werde also überbetont. Für den Einzelnen ist diese Auskunft eine Verhöhnung, denn er ist nicht nur arbeitslos, er sieht sich auch dem ALG-Apparat gegenüber. Dass die von Frau Allmendinger genannte Zahl eine willkürliche Definition darstellt, dass „Arbeitslosigkeit“ ohnehin ein Artefakt ist, insofern sie davon bestimmt wird, auf welchem Weg wir unser Einkommen erhalten bzw. nicht erhalten – heute durch sozialversichungspflichtige, abhängige Beschäftigung, sei hier nur erwähnt.

chrismon: Wird es in Zukunft so stete Berufsbiografien geben, wie die heutige Rentnergeneration sie gelebt hat?
Allmendinger: Lebensläufe, die Brüche aufweisen, sind produktiver. Ich wünsche mir mehr davon. Sie nehmen ohnehin zu.

Man staunt. Soll doch der Einzelne darüber entscheiden ob er mit solchen Brüchen leben will. Auf der Basis einer Absicherung durch ein BGE könnte er es tun. Jedoch eine Lebensmaxime daraus zu machen und an der Arbeitshauspolitik der vergangenen Jahre festzuhalten, die antifreiheitlich ist, ist zynisch.

chrismon: Ist Hartz IV, konkret das Arbeitslosengeld II, nicht schon so etwas wie ein Grundeinkommen?
Werner: Nein. Das Arbeitslosengeld II wird nicht bedingungslos gezahlt. Wer es beantragt, muss sich dafür rechtfertigen und seine Lebensverhältnisse offenbaren. Hartz IV ist offener Strafvollzug. Die Menschen sind ihrer Freiheitsrechte beraubt.
Allmendinger: Aber Ihr Grundeinkommen wäre deutlich niedriger als Hartz IV, wenn Sie bei 800 Euro im Monat beginnen.
Werner: Aber jeder kann dazu verdienen.
Allmendinger: Sie rechnen das Grundeinkommen doch auch an. Wenn Sie 800 Euro als Grundeinkommen haben und 2000 durch Erwerbsarbeit verdienen, entfällt das Grundeinkommen.

Abgesehen davon, dass Frau Allmendinger Bildung nur als Bildung für den Arbeitsmarkt begreift, hat sie sich offenbar auch mit der Diskussion um das BGE wenig beschäftigt, zumindest verwechselt Sie das BGE Herrn Werners mit dem von Herrn Althaus.
Und dann bringt Frau Allmendinger etwas zur Sprache, was auch in der BGE-Diskussion umstritten ist. Zwei verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit sind zu erkennen.

Allmendinger: Sicher, aber man muss doch leben! Angenommen ich habe nur 800 Euro Grundeinkommen pro Monat. Sie, Herr Werner, haben 10000 Euro, Grundeinkommen plus Verdienst. Pro Monat geben wir beide 300 Euro für die nötigsten Lebensmittel, Toilettenpapier und Kleidung aus. Um unsere Grundbedürfnisse zu decken. Das Ergebnis: Gemessen an unseren Einkommen würde ich mehr Steuern zahlen als Sie.
Werner: Ja, schon. Aber wir hätten beide 300 Euro eingesetzt, aber mir bleiben 9700 Euro. Das Grundeinkommen heißt nur: Hier ist die Teilhabe, jetzt zeig mal, was du kannst! Die Frage ist, was man mit seinen Talenten macht.

Und eine weitere Passage, an der zu erkennen ist, dass sich die Wissenschaftlerin nicht auf die Umgestaltungsmöglichkeiten durch ein BGE einlässt und sie einfach bezweifelt statt zu argumentieren.

chrismon: Und wer leert dann die stinkende Biomülltonne?
Werner: Die Frage drückt die Haltung aus, dass man Menschen zwingen muss, etwas zu tun, was man selbst nicht tun will. Wer eine Leistung haben will, hat drei Möglichkeiten: erstens einen attraktiven Arbeitsplatz zu schaffen, an dem diese Leistung erbracht wird. Zweitens: Wenn sich niemand findet, der die Leistung erbringt, muss man diesen Arbeitsplatz noch attraktiver gestalten und die Arbeit besser bezahlen. Dritte Möglichkeit: Sie machen es selbst.
Allmendinger: Sie haben die Hoffnung, dass ein Grundeinkommen würdevolle Jobs schafft. Ich bezweifle das.

Die Frage der Freiheit wird immer auf die Frage reduziert, wie komme ich am beste
n in den Arbeitsmarkt, wie in der folgenden Passage zu sehen ist. Das Leben erscheint immer nur als Leben für einen ‚Job’, eines außerhalb ist für Frau Allmendinger nicht denkbar. Sie trifft damit zwar die heutige Lage, denn wer ohne Einkommen ist, hat ein Problem. Gerade das aber würde ein BGE ja ändern, die Orientierung am ‚Job’ wäre nicht mehr notwendig, diejenige am Beruf, an der Berufung jedoch viel mehr als heute möglich.

Allmendinger: Für Sie wären 800 Euro Gold wert gewesen, weil sie gute Voraussetzungen hatten, vor allem eine gute Ausbildung. Auch ein Grundeinkommen schafft nicht automatisch gleiche Zugangschancen. Dieses Gerechtigkeitsprinzip ist in unserer Gesellschaft durchbrochen. Menschen mit niedriger Bildung bekommen schlechte oder keine Jobangebote. Sie vertreten da ein elitäres Konzept. Denen, die viel haben, wird noch mehr gegeben.
Werner: Jetzt öffnen Sie sich doch mal! Wenn alle ein Grundeinkommen hätten, könnten alle etwas tun, ohne dass es gleich ums Verdienen geht. Das würde ehrenamtliche Arbeit befördern, Bürgerinitiativen, Sozialarbeit. Schon heute gibt es 22 Millionen Menschen in Deutschland, die ehrenamtlich arbeiten!

Ist das alles, was die Soziologie dazu zu sagen hat? Ein Grund mehr, auf die Bürger und ihr Engagement für ein BGE zu setzen.

Sascha Liebermann