„Nur Narren sagen, bis 2030 gibt es ein bedingungsloses Grundeinkommen“…

Interview mit Georg Vobruba auf focus online. Ausgewählte Passagen seien hier kommentiert:

„Das heißt: Wir arbeiten 2030 zwar mit mehr Technik, aber die arbeitsplatzvernichtende KI-Revolution bleibt aus?

Vobruba: KI ist die neueste Sau, die durchs Dorf getrieben wird, aber nicht die erste. Apokalyptische Sorgen, dass uns wegen neuer Technik die Arbeit ausgeht, entstehen alle zehn bis 15 Jahre und waren schon viel weiter verbreitet als heute. In den 1980er- und 1990er-Jahren glaubten das so gut wie alle. Nun haben einige Programme gelernt, mittelmäßige Romane zu schreiben. Na und? Dadurch entsteht keine Massenarbeitslosigkeit.“

Das eine ist hier, Entwicklungen in der Vergangenheit zu betrachten, das andere, etwas darüber zu sagen, wohin es führen wird. So recht Vobruba darin hat, dass vielen Szenarien, die einst als gewiss galten, ausgeblieben sind, so wenig wissen wir doch über nicht genutzte Automatisierungspotentiale. Deren Nutzung ist eben nicht nur eine technisch-praktische, sondern auch eine politische und kulturelle Frage insofern, als die Nutzung graduell unterschiedlich weitreichend erfolgen kann in Abhängigkeit von ihrer Erwünschtheit. Man denke an manche technischen Systeme, die es gibt, ohne dass deren Nutzung offensiv betrieben wird. Wo sind die fahrerlosen U-Bahnen, die schon lange auf einzelnen Strecken fahren, wo die offensive Nutzung vollautomatischer, sich selbst reinigender Toiletten usw.?

„Klingt, als müssten wir uns um die Zukunft der Arbeit nicht sorgen.

Vobruba: Technische Veränderungen haben die Arbeit bislang immer verbessert und eher mehr Arbeit geschaffen. Das heißt aber nicht, dass nicht in manchen Branchen und Gegenden sehr ernste Probleme entstehen. Dem Braunkohlearbeiter im Ruhrgebiet nützt es nichts, wenn in Bayern IT-Jobs entstehen.“

Worauf sich Vobruba hier bezieht, ist nicht klar. Was meint er mit „mehr Arbeit“ sei geschaffen worden? Meint er eine Diversifizierung der Arbeit? Betrachtet man das (Erwerbs)Arbeitsvolumen gemessen in Jahresarbeitsstunden bezahlter Arbeit, dann gibt es eine schon lange beobachtbare Entwicklung: es sinkt. Insofern ist also nicht „mehr Arbeit“ geschaffen worden, aber mit weniger Erwerbsarbeitszeit mehr Wertschöpfung.

An anderer Stelle heißt es:

„Das ist doch die Grundfrage, die sich alle stellen: Jeder Mensch sieht Probleme und wünscht sich Lösungen. Aber wie setzen wir diese Lösungen durch, bevor uns die Probleme über den Kopf wachsen?

Vobruba: Wer die Zukunft der Arbeit gestalten will, muss viele kleine Schritte gehen, statt ständig den großen Wurf zu suchen, zu scheitern und dabei die kleinen Schritte zu verpassen. Für politische Programme muss man bedenken, was man an Reformen in den gegebenen Konstellationen umsetzen kann. Große Ziele dienen eher als Orientierung. Ich verfolge die Grundeinkommen-Debatte jetzt seit 40 Jahren. Man kann nicht 40 Jahre lang tun, als stehe es vor der Tür. Wer sagt, bis 2030 gibt es ein bedingungsloses Grundeinkommen, macht sich zum Narren.“

Das kleine Einmaleins der Politik, so könnte man diese Bemerkung nennen, besagt, gestaltbar ist nur, wofür Mehrheiten mobilisiert werden können. Treffend stellt Vobruba fest, dass es aber durchaus großer Ziele bedarf, die eine Richtung weisen, damit klar ist, wohin die kleinen Schritte führen sollen. Aber geht es um den großen Wurf? Die charmante Seite eines BGE besteht doch darin, am Bestehenden ansetzen zu können. All die Leistungen, die es im Sozialstaatsgefüge gibt, lassen sich mit einem BGE integrieren, teils ersetzen, teils müssten sie beibehalten werden. Groß wäre der Wurf allenfalls, weil die Einwände gegen ein BGE bislang davon ausgehen, dass es keine Existenzsicherung geben soll, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Ein kleiner Wurf wäre es, wenn wir uns den heutigen Grund dafür anschauen, weshalb es eine Existenzsicherung als Ausdruck staatlicher Fürsorge geben muss: weil es um die Person um ihrer selbst willen geht oder anders ausgedrückt, um ihre Würde.

Folgt daraus Resignation?

„Was hat die Debatte dann gebracht?

Vobruba: Die Bedeutung der Grundeinkommen-Diskussion besteht nicht darin, ein bedingungsloses Grundeinkommen Knall auf Fall durchzusetzen. Sie besteht darin, kleine Erfolge ermöglicht zu haben, wie die Abschaffung von Hartz IV. Das war für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Die Forderung nach mehr sozialer Absicherung hat ihn ermöglicht. Damit bin ich zufrieden.“

In der Tat ist es plausibel anzunehmen, dass es die Veränderungen – die Aufhebung des Vermittlungsvorrangs ist eine große -, die mit dem Bürgergeld einhergehen, nicht gegeben hätte, wäre über ein BGE nicht so intensiv diskutiert worden. Dafür eben gab es Mehrheiten, ob es für ein BGE welche geben wird, wird sich zeigen müssen. Es wäre aber nicht die erste Veränderung, die einen größeren Anlauf benötigt.

Siehe zu früheren Ausführungen Vobrubas auch hier und hier

Sascha Liebermann

„Visions of Automation: A Comparative Discussion of Two Approaches“…

…ein Beitrag von Philipp Frey, der mit diesem Fazit endet:

„I would argue that rather than trying to predict what effects automation will have in the future —a question that cannot be answered conclusively in a non-deterministic framework— research should rather focus on the much more interesting question of what automation could and even more importantly should be used for. Rather than committing themselves to supplying knowledge for the more or less successful management of the status quo, such a reorientation would challenge researchers to include the societal conditions under which technological innovation takes place in their reflections and to understand them as the (modifiable) result of human practice, thereby moving from a technology-focused approach to one rooted in social theory. This broadening of their perspective would then allow scientists to explore ways to commission technology in the interest of societal progress, while at the same time emphasizing that societal progress will not result from technological development by itself .“

Frey verlagert damit den Blick auf eine andere Frage. Statt weiter im Geiste einer Kaffeesatzleserei (siehe hier und hier) darüber nachzusinnen, wie groß nun das Potential automatisierbarer Arbeitsgänge sein könnte, wieviele Arbeitsplätze dadurch verschwinden bzw. entstehen könnten, wäre es sinnvoller die Frage zu stellen, was Automatisierung leisten könnte und wozu sie genutzt werden sollte.

„Visions of Automation: A Comparative Discussion of Two Approaches“… weiterlesen

„Die Mär von der technologischen Arbeitslosigkeit“…

…unter diesem Titel bespricht Simon Schaupp auf Soziopolis die bei Suhrkamp veröffentlichte Übersetzung eines Buches von Aaron Benanav, das im Jahr 2020 auf Englisch erschienen ist. Der englische Titel „Automation and the Future of Work“ wurde ins Deutsche übernommen. Da in dem Buch offenbar auf das Bedingungslose Grundeinkommen eingegangen wird, seien hier die Anmerkungen Schaupps dazu kommentiert. Schaupp schreibt:

„Automatisierungstheoretiker:innen von links und rechts sind sich diesbezüglich einig: Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) soll die Existenzsicherung von der Erwerbsarbeit abkoppeln. Diesen Vorschlag lehnt Benanav ab. Da das BGE die Eigentumsverhältnisse unangetastet lasse, verbleibe die ökonomische Macht vollständig in den Händen der Besitzenden, denn mit dem Abzug von Investitionen könnten sie jede noch so fortschrittliche Regierung unter starken Druck setzen. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass sich – anstelle eines auf Umverteilung basierenden BGE-Modells – derjenige der vielen neoliberalen Vorschläge durchsetzen würde, der sich als der tragfähigste Stützpfeiler einer von Ungleichheit geprägten Gesellschaft erweise. Benanavs Schlussfolgerung: ‚Nur eine Eroberung der Produktion, mit der es endlich gelingt, den Kapitalisten die Macht über Investitionsentscheidungen zu entwinden, […] kann uns den Weg in eine Zukunft ohne Mangel bahnen.‘ (S. 129 f.)“

Lässt das BGE die Eigentumsverhältnisse unangetastet? Das hängt doch entscheidend von der Höhe ab, sie entscheidet ebenso, welche Möglichkeiten es schaffen würde, in welchem Maße es Machtumverteilung mit sich brächte. Was dann folgt hat mit einem BGE nichts zu tun, sondern mit staatlicher Regulierung bzw. einer Diskussion über Eigentum – also zwei Paar Schuh. Es sollte doch aber nicht vergessen werden, dass Investitionen nur dann interessant sind, wenn sie eine Erfolgsaussicht mit sich bringen. Dazu bedarf es also bestimmter Bedingungen. Ob denn Investoren sich so einfach zurückziehen würden, ist keineswegs ausgemacht, kämen dann womöglich andere Investoren bzw. würden andere Investitionswege erdacht.

„Die Mär von der technologischen Arbeitslosigkeit“… weiterlesen

Bereitstellung von Problemlösungen, keine Beschäftigungsmaßnahme – Wertschöpfung statt Erwerbsarbeitsplatzssicherung

Frühere Beiträge zu dieser Thematik von unserer Seite finden Sie hierhier und hier.