„Sprechen Sie nie wieder von Massenarbeitslosigkeit“…

…das hielt Jens Südekum in einem Streitgespräch Richard David Precht entgegen, das schon im vergangenen November in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung abgedruckt war und online zugänglich ist (allerdings kostenpflichtig). Die Diskussion kreist letztlich um die Frage, ob die Digitalisierung nun langfristig mehr Vorteile oder mehr Nachteile bezogen auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt habe. Trotz differenzierter Betrachtungen von beiden Seiten, dass nicht vorhersagbar ist, was geschehen werde, vertreten beide bestimmte Erwartungen. Und es geht beinahe nur um den Arbeitsmarkt.

Gegen Ende dann sagt Precht:

„Es ist wichtig, dass Menschen, die gute Arbeit geleistet haben, aber trotzdem ihre Stelle verloren haben, mehr Geld in der Tasche haben als Hartz IV und in keinen stigmatisierten Status kommen. Als Hartz-IV-Empfänger bekommen Sie relativ schlecht eine Frau. Als Grundeinkommensempfänger sind Sie zeitweise unbeschäftigt, in einer Art Normalzustand. Und wir können unsere alten Ansprüche an die Leistungsgesellschaft langfristig flächendeckend nicht aufrechterhalten.“

Der Leistungsbegriff ist verengt auf Erwerbstätigkeit, Leistung ist aber breiter zu fassen und wird deswegen immer wichtig sein. Die Frage ist nur, welche Bedingungen sie benötigt, um sich im breiten Sinne entfalten zu können, dafür ist das BGE wichtig. Das thematisiert Precht jedoch gar nicht. Südekum aber auch nicht:

„Dem könnte ich vielleicht folgen, wenn die Diagnose richtig wäre, dass wir dauerhaft in ein Deutschland kommen, dem die Arbeit ausgeht. Das ist ja aber nicht so. Das bedingungslose Grundeinkommen würde ohne Not die komplette Struktur des Sozialsystems verändern und ist deshalb die falsche Therapie.“

Prechts Diagnose war ja differenzierter als „uns geht die Arbeit aus“. Erwerbszentrierte Systeme sozialer Sicherung hält Südekum offenbar für unerlässlich. Das wird hier ganz deutlich:

„Wenn wir aber in Deutschland langfristig als Gewinner aus der Digitalisierung kommen, haben wir nur ein vorübergehendes Problem, bei dem Menschen ihre Stelle verlieren und noch zehn oder zwanzig Jahre im Arbeitsmarkt sind. Dann ist die richtige Therapie eine andere: Weiterbildung, Umschulung, in den ganz schlimmen Fällen vielleicht öffentliche Beschäftigung. Aber doch nicht ein generelles Grundeinkommen, das die gesamte Gesellschaft betrifft!“

Hier wird Erwerbstätigkeit doch zur Beschäftigungsbeschaffungsmaßnahme, mit Leistungsorientierung hat das nichts zu tun. Südekum will statt eines BGE Einkommenssicherung durch breit gestreute Aktieneinkünfte. Damit verliert der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht an Bedeutung, es bliebe, wie es ist, der Leistungsvielfalt (bezahlte wie unbezahlte Arbeit) würde ebensowenig entsprochen wie der Bedeutung der Bürger für die Demokratie.

Sascha Liebermann