Wo bleibt die Differenzierung?…

…Diese Frage stellt sich, nachdem Jens Jessen am Ende dieses langen Gesprächs mit Isabella Weber danach fragt, was sie von einem Bedingungslosen Grundeinkommen halte (ab 2:50:39). Was antwortet sie?

Etwas salopp sagt sie, „nich so en riesiger Fan“ davon zu sein, „alle sozialstaatlichen Probleme“ darüber zu lösen. Ich verstehe die Frage als eine Frage an eine Expertin, nicht danach, ob sie es befürwortet, nur in der Hinsicht könnte sie ein Fan sein. Wer schlägt denn vor, fragt man sich, über ein BGE – Weber spricht vom Universal Basic Income – alle sozialstaatlichen Probleme zu lösen? Bezieht sie sich womöglich nur auf die US-Debatte? Sie erwähnt keine Namen, außer den Milton Friedmans, insofern ist die Aussage rätselhaft, denn wohl gibt es solche Befürworter, die das anstreben, gerade in den USA und seinen libertären Kreisen (dazu kann man auch die Silicon Valley-Denker zählen), doch in Kontinentaleuropa? Hier wird doch durchaus deutlich darauf hingewiesen, dass es beim BGE um ein Sockeleinkommen gehe, über das hinaus es weiterhin bedarfsgeprüfte Leistungen und andere Infrastruktur geben müsse. Weshalb erwähnt sie das nicht? Mindestens diese Differenzierung wäre wichtig gewesen, um nicht eine solch verkürzte Einschätzung abzugeben. Die Bezugnahme auf Milton Friedman ist dazu noch an der Sache vorbei, denn er schlug eine Negative Einkommensteuer vor (siehe auch hier), die eben kein BGE ist. Damit ist der Differenzierungsverlust schon erheblich, womöglich kennt sich Weber in der Debatte nicht aus, aber dann eine solche Aussage zu machen, überrascht doch, warum sich nicht enthalten?

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Nachvollziehbarer Vorschlag von Bartsch, an „Bedürftigkeit“ orientiert…

…, nicht aber zuerst am Bedarf, der davon zu unterscheiden ist. Insofern ist der Hinweis von Susanne Wiest ganz treffend, Bedarfe können auch anders gedeckt werden, zumindest der Grundbedarf, und zwar durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Bedarfe, die darüber hinaus gehen, benötigten weiterhin eine Prüfung. Hier meinen manche, dann gäbe es doch keinen Unterschied zwischen der heutigen Lösung und dem BGE. Dabei wird verkannt, dass ein Sozialstaat mit BGE die Bedarfsprüfung auf ein anderes normatives Fundament stellt. Im Zentrum stünde stets die Wahrung oder Unterstützung von Autonomie, nicht, wie heute, die Erwerbsteilnahme bzw. Prüfung auf Nicht-Teilnahme. Während im Falle eines BGEs die Bedürftigkeitsprüfung also dazu dient, die Autonomie angemessen zu unterstützen, steht im heutigen System die Erwerbsteilnahme als Ziel im Zentrum, deswegen muss Erwerbsunfähigkeit auch erst festgestellt werden. Aus dieser Orientierung an Erwerbsteilnahme als Gebot, als Norm, folgt die strukturelle Stigmatisierung der Leistungsbezieher in dem Sinne, dass sie dem Gebot nicht entsprechen. Eine weitere Folge ist die Degradierung aller Leistungen „außerhalb“ des Erwerbssystems, denn diese muss man sich dann erst leisten können. Ein BGE würde also mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denkt man an die letzten Jahre zurück, hätte es sowohl in der Pandemie sofort seine Wirkung entfaltet im Sinne einer verlässlichen Basiseinkommenssicherung als auch angesichts drastisch steigender Energiepreise im kommenden Winter. Ein BGE sichert zwar auch in Krisen ab, reicht jedoch weit darüber hinaus.

Sascha Liebermann

„Ein völlig neuer Sozialstaat“ – so wünschenswert das ist,…

…so gewagt scheint die Betrachtung von Tina Groll auf Zeit Online, in der sie einen Vorblick auf Möglichkeiten gibt, die sich einer Ampel-Koalition bieten. Sozialpolitisch macht sie ein große Nähe zwischen FDP, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen aus, doch ist diese Nähe bislang gegeben? Es ist richtig, dass die SPD mit dem Slogan, Hartz IV abzuschaffen oder wahlweise hintersichzulassen schon zu Zeiten der damaligen Bundesministerin Andrea Nahles für eine Erneuerung warb. Doch die zu lesenden Vorschläge ließen erheblichen Deutungsspielraum und wiesen letztlich den Weg zu Hartz light, daran ändert die Bezeichnung „Bürgergeld“ nichts. Die Grünen haben mit ihrer Garantiesicherung schon einen Vorschlag von anderer Trag- und Reichweite, denn sie wollen auf Sanktionen verzichten. Die FDP beruft sich mit ihrem Vorschlag auf die viel herbeigeredete Armuts- bzw. Arbeitslosigkeitsfalle, die einer empirischen Überprüfung schon vor langer Zeit nicht standgehalten hat. Im Vergleich zu früheren Beschlüssen erscheint der aktuell geltende Beschluss (siehe auch hier) in der Tat freilassender, verzichtet allerdings nicht auf Sanktionen:

„So stehen diejenigen, die arbeiten, in der Pflicht, Steuern und Sozialabgaben zu entrichten, und diejenigen, die Arbeit suchen, in der Pflicht, etwas für die Überwindung ihrer Arbeitslosigkeit zu tun.

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BGE erfordert „geschlossene Grenzen“? Dann müssten wir heute ebenso…

…geschlossene Grenzen benötigen. Michael Hüthers Einschätzung ist nicht in Übereinstimmung mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, siehe hier. Die Bezugsbedingungen für sozialstaatliche Unterstützung definiert der zuständige Staat entweder in Übereinstimmung mit der Rechtslage oder indem  sie durch das Parlament verändert wird. Das gälte für ein BGE ebenso.

Sascha Liebermann

„Existenzangst abschaffen. So geht Sozialstaat“…

…damit wirbt die Partei Die Linke auf ihrer Website. Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Programm zur Bundestagswahl im September. Wie in programmatischen Aussagen nötig, geht es vollmundig zu, das weist die Richtung, in die die Vorschläge weisen, wenn es z. B. heißt:

„Ohne leistungsfähigen Sozialstaat keine funktionierende Demokratie“.

So wird man dem im allgemeinen durchaus zustimmen können, doch heißt das, bislang lebten wir nicht in einer Demokratie? Das würde zu weit gehen. An anderer Stelle ist zu lesen:

„Wir wollen ein neues Betriebssystem des Sozialen: eine öffentliche Infrastruktur, die Armut abschafft, Demokratie mit sozialer Sicherheit fördert und Umverteilung von Oben nach Unten schafft“.

Im Tech-Neudeutsch wird ein neues Betriebssystem eingespielt, aber woher stammt es, worauf beruft es sich? Lässt sich Armut wirklich abschaffen? Das gilt doch allenfalls für die Armut, die lediglich aus Einkommensmangel besteht, für anders begründete nicht.

Treffend ist die Kritik an Niedriglöhnen, Sanktionen und der Maschinerie von Hartz IV. Dann folgt dies:

„Jedes Jahr wachsen Wohlstand, Wissen und Reichtum. Längst wäre ein besseres Leben für alle Menschen möglich: sinnvolle Arbeit, mehr Freizeit, sicheres Leben. Doch jeder soziale Fortschritt muss dem Kapital abgetrotzt werden. Immer noch. Einkommen und Vermögen von Superreichen und der Konzerne beruhen nicht auf eigener Arbeitsleistung, sondern auf Aneignung fremder Arbeit. Anders als es die Neoliberalen behaupten, herrscht nicht das Leistungsprinzip. Sie sagen „Leistung“, aber meinen ihren finanziellen Erfolg und die Anerkennung von Marktergebnisse als „gerecht“.“

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„Die Rente mit 70 ist eine gestrige und ungerechte Idee“…

…schreibt Thomas Straubhaar auf Die Welt und weist darauf hin, dass die Lebenserwartung im Verhältnis zum Einkommen steht, so dass statistisch betrachtet diejenigen mit weniger Einkommen auch einen kürzeren Rentenbezug haben. Insofern laufe eine Erhöhung des Renteneintrittsalters – was schon oft in den letzten Jahren aus demselben Grund kritisiert wurde – auf eine Ungerechtigkeit hinaus, denn untere Einkommensschichten mit geringerer Lebenserwartung müssen den Renteneintritt noch weiter nach hinten verschieben, obwohl sie zugleich statistisch betrachtet früher sterben.

Straubhaar legt dar, dass abgesehen von dieser Ungerechtigkeit auch fragwürdig ist, ob das ökonomisch sinnvoll ist, wenn der Wandel der Arbeitswelt betrachtet wird. Lebensarbeitszeit müsse eher verkürzt, gesundheitsschädigende Erwerbsarbeit automatisiert werden.

Weshalb, diese Frage beantwortet Straubhaar nicht, wird also dennoch an der Bedeutung von Erwerbstätigkeit festgehalten, sie – wie auch Straubhaar erkennen lässt, wenn er von sinkender Wettbewerbsfähigkeit spricht – geradezu in Gegensatz zur Orientierung an Wertschöpfung gebracht?

Meines Erachtens hängt diese Denke mit einem beschränkten Begriff von Autonomie zusammen, der diese als etwas erachtet, das erst durch Erwerbstätigkeit gewonnen werde, durch „der eigenen Hände Arbeit“, wie es oft heißt. Damit wird aus den Augen verloren, dass die Entstehung von Autonomie in Bildungsprozessen fundiert ist, die jeder Erwerbstätigkeit vorausgehen und diese erst ermöglichen. Wer „sozialen Zusammenhalt“ bzw. „soziale Integration“ vor allem wenn nicht gar ausschließlich über Erwerbsarbeit vermittelt sieht, muss in Schaffen und Bewahren von Arbeitsplätzen ein entscheidendes politisches Ziel sehen. Allerdings übersieht diese Haltung, dass die wirklich umfängliche „Integration“ über einen Status geschieht, der gerade unverfügbar ist und ohne Vorbehalt gilt: Staatsbürgerschaft (und das Bekenntnis zu Bürgerrechten). Von ihm ausgehend wäre ein Sozialstaat zu entwerfen, der seine Leistungen weder von Erwerbstätigkeit abhängig macht, noch sie zum vorrangigen Ziel hat. Dann erst werden auch Leistungsformen ernst genommen, die heute unter den Tisch fallen – die sogenannte unbezahlte Arbeit.

Sascha Liebermann