„Arme gegen Ärmste auszuspielen“

Sozialstaat ohne Existenzminimum? Frank Lübberdings verkürzte Darstellung

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Frank Lübberding über die jüngste Sendung von maischberger (die ich nicht gesehen habe), in der es um Trotz Rente und Arbeit: Kann Armut jeden treffen?“ ging. Zurecht weist Lübberding auf Sinn und Zweck des heutigen Sozialstaats hin, dass er der Sozialstaat einer „Arbeitsgesellschaft“ sei und deswegen es nicht verwundern könne, wenn die von ihm bereitgestellten Absicherungsleistungen sich vor allem daran ausrichteten. Wobei das so ganz die Sache nicht trifft, denn Lübberding vergisst, dass die Aufgabe von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe dieselbe ist wie im Falle der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer. Trotz aller Erwerbszentrierung gibt es eine Fürsorgepflicht des Staates als politischer Gemeinschaft, die nicht eine für Erwerbstätige, sondern für Bürger und Personen mit Lebensmittelpunkt in Deutschland insgesamt ist. Es geht um die Existenzsicherung, ganz gleich ob Erwerbsbeiträge gezahlt wurden. Allerdings ist auch diese Existenzsicherung nicht als Daueralimentierung gedacht, Leistungsbezieher sollen aus ihr wieder herausgelangen durch Erwerbstätigkeit. Lübberding verkürzt diesen Zusammenhang aber, wenn er folgendes schreibt:

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„Hartz IV vor Gericht: Wie hart darf der Sozialstaat sein?“…

…darüber wurde in der Sendung Maischberger diskutiert. Erstaunlich unaufgeregt ging es zu mit Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) und Christian Lindner (FDP). Eingeladen war auch die Journalistin Elisabeth Niejahr (Wirtschaftswoche) sowie Martina Leisten und Kevin Falke, die schon wiederholt bzw. länger auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren bzw. sind und ihre Erfahrungen berichteten.

Überbürokratisierung, Schärfe der Sanktionen und manch anderes wurden kritisiert, für eine Veränderung wurde plädiert. Doch vom Geist des Systems abzurücken ist offenbar schwerer, als es scheint, denn bei aller berechtigten Kritik wollten weder Lindner noch Niejahr von Sanktionen grundsätzlich lassen. Robert Habeck hat den Vorschlag einer Garantiesicherung (siehe auch hier) vor einigen Monaten ins Spiel gebracht, eine sanktionsfreie Grundsicherung, die mit „Anreizen“ für Arbeitsaufnahme gekoppelt werden soll. Das ist noch nicht zu Ende gedacht, den Bürgern wird doch nicht so ganz getraut, dass sie bereit sind beizutragen und es keinen Grund gibt, daran zu zweifeln (siehe hier).

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„…die allermeisten, nein – manche Menschen würden sich ziemlich entspannt zurücklehnen…“…

…meinte der Unternehmer Jochen Schweizer in dieser Sendung bei Maischberger vom 23. November über das Bedingungslose Grundeinkommen (ab Minute 54’35). Seine Äußerung ist interessant, denn, was er zuerst vollmundig behauptet („die meisten“), nimmt er dann wieder zurück („manche“). Damit widerspricht er sich unmittelbar selbst (ganz ähnlich wie Christian Lindner, FDP). Dieser konkreten Äußerung voraus geht folgende:

„Ich habe die Befürchtung, dass bei einer Grundsicherung den Menschen die Motivation genommen wird, aus eigener Kraft, aus eigener Initiative etwas zu leisten, denn in dem Augenblick, wo ich nicht mehr arbeiten muss […] was ist denn dann mein Antrieb?…“.

Das sagt Jochen Schweizer, obwohl er zugleich in der Folge von der Eigeninitiative spricht, die gefördert werden solle, vom Sinn, den Arbeit machen müsse. Fördern lässt sich nur etwas, das schon vorhanden ist. Eigeninitiative kann man nicht erzeugen, sonst ist es keine Eigen-, dann ist es Fremdinitiative. Nimmt man Schweizer beim Wort, dann würden politische Entscheidungen nicht danach gefällt, was die Mehrheit zu tragen bereit wäre, sondern danach, was eine verschwindende Minderheit („manche) womöglich tun wird – das ist eine Politik von der Ausnahme her, ohne sich zu fragen, ob es nicht gute Gründe für diese Ausnahme gibt.

Sascha Liebermann

„Das große Rentengeschenk: Kassieren die Alten die Jungen ab?“ – Ablenkungsmanöver von grundsätzlichen Fragen

Zum selben Thema hier ein interessanter Beitrag auf den Nachdenkseiten von Wolfgang Lieb, der etwas Licht in die verworrene Diskussionslage bringt. Das Umlagesystem bietet viele Vorteile gegenüber der Kapitaldeckung, doch die Bindung der Rentenzahlung an Erwerbstätigkeit ist der große Haken (auch bei Maybrit Illner). Der gegenwärtige Vorschlag der Großen Koalition bevorteilt wieder einmal den Ideal-Erwerbstätigen mit gewissem Arbeitslosengeld I-Bezug. Nicht aber diejenigen, die Arbeitslosengeld II beziehen. In der Sendung wurde allzu deutlich, wie die bestehende Rentenversicherung an den Lebensrealitäten vorbeigeht. Auch wenn z.B. die „Mütterrente“ mehr Anerkennung als bisher für Frauen bedeutet, die für ihre Kinder zuhause geblieben sind und bislang die Nachteile in der Rente zu tragen hatten, bleibt doch eines klar: Engagement in der Familie wird relativ zu Erwerbstätigkeit degradiert. Das war seit Einführung der Rentenversicherung in den 1950er Jahren ein Missstand, worauf der Sozialrichter Jürgen Borchert wiederholt hingewiesen hat.

Alles beim Alten also – obwohl genau das der Einsatzpunkt für eine Diskussion über das Bedingungslose Grundeinkommen hätte sein können.

„Inge Hannemann gefährdet tausende Mitarbeiter der Jobcenter“ – sagt die Bundesagentur für Arbeit

In einer Pressemitteilung nimmt die Bundesagentur für Arbeit Stellung zur Kritik von Inge Hannemann an der Praxis der Jobcenter. Frau Hannemann wiederum hat dazu eine Gegendarstellung veröffentlicht. Auch wenn man geteilter Meinung darüber sein kann, ob die zuspitzenden Darlegungen von Frau Hannemann angemessen und der Sache förderlich sind, so kann doch bei nüchterner Betrachtung nichts darüber hinwegtäuschen, welche Zwänge das Sanktionssystem des Sozialgesetzbuchs hervorbringt. Jeder mache sich selbst ein Bild anhand der Äußerung von Heinrich Alt (hier und hier), Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.

„Ein Zeitgeist namens Quotenorientierung“ – Heinrich Alt und seine Widersprüche

In der jüngsten Sendung von Maischberger scheint es – folgt man dieser Besprechung – bemerkenswerte Äußerungen von Heinricht Alt, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, gegeben zu haben. Ganz anders als in der Sendung im vergangenen Dezember, als er darum bemüht war, die Bundesagentur wie auch die Gesetzgebung in Schutz zu nehmen.

Der Geist von Hartz IV – bei Maischberger und Anne Will

Zweimal bestand in dieser Woche die Möglichkeit, den Geist der Sozialgesetzgebung in seiner Lebendigkeit zu erfahren. In der ersten Sendung, Menschen bei Maischberger, war durch die Einladung von Ralph Boes und Katja Kipping (Die Linke) auch das Bedingungslose Grundeinkomen Thema (Sendung online verfügbar via youtube). Schon der Titel „Wer arbeitet, ist der Dumme“ zielte auf bestimmte Werthaltungen. So klischeehaft er ist, so sehr fasste er zuspitzend zusammen, weshalb wir Hartz IV haben. Enno Schmidt hat einen guten Kommentar zur Sendung verfasst. Alle vertraten in der Sendung, was sie zu vertreten hatten, eine Diskussion wurde daraus nicht. Schönfärberisch wurde über die Folgen der Sozialgesetzgebung gesprochen, die Anlass der Sendung war. Dabei hätte sachlich darüber diskutiert werden können, was es für unser Gemeinwesen bedeutet, eine solche Sozialgesetzgebung zu haben und ob wir sie zukünftig wollen. Ob wir damit nicht alles untergraben, was für unser Bestehen wichtigt ist: Freiheit, Demokratie, Solidarität und Leistung. Diese Frage ist keine juristische, es geht nicht um Rechtsauslegung, sie ist politisch, es geht um Gestaltung unseres Zusammenlebens.

Das Archiv Grundeinkommen hat einige Presseartikel und andere Stellungnahmen zur Maischberger-Sendung gesammelt.

In der zweiten Sendung, Anne Will, ging es ebenfalls um die Sozialgesetzgebung. Wie in der ersten Sendung erkennen Befürworter wie auch einige Kritiker der Sozialgesetzgebung nicht den Zusammenhang zwischen Anspruchs- bzw. Bedarfsprüfung und Stigmatisierung unter heutigen Bedingungen (mit einem BGE änderte die Bedarfsprüfung für Bedarfe über das BGE hinaus ihren Charakter). Selbst diejenigen, die eine Aufhebung von Sanktionen befürworten, meinen, damit wäre ein Sicherungssystem geschaffen, das Druck von den Menschen nähme (siehe hier und hier). Das kann getrost als naiv betrachtet werden, denn nicht die Sanktionen alleine erzeugen die Stigmatisierung, sie verstärken sie nur. Der Status der Notfallleistungen, die nach Anspruchs- bzw. Bedarfsprüfung stets nach Maßgabe des Vorrangs von Erwerbstätigkeit gewährt werden, ist es, der die Stigmatisierung bedingt. Wer aber, wie auch einige Kritiker der Sanktionen (die häufig den „alten“ Sozialstaat verteidigen), die das Sozialgesetzbuch vorsieht, den Vorrang von Erwerbstätigkeit für richtig erachtet, nimmt die Stigmatisierung in Kauf.

Wertvoll, wirkliche Arbeit ist eben nur Erwerbsarbeit – alles andere ist ein schönes Hobby. Markus Söder bemerkte gar nicht, wie er durch seine Ausführungen in der Maischberger-Sendung, das Engagement seiner Frau, die sich um ihre vier Kinder kümmert, herabwürdigte. Diese Herabwürdigung ist eine Folge der Überbewertung von Erwerbstätigkeit und degradiert Familie ebenfalls zu einer nachgeordneten Angelegenheit.

Sascha Liebermann

 

„Ich habe Angst vor der Armut“ – Ängste einer Renterin

Vor kurzem haben wir auf die Situation heutiger Renter und insbesondere auf die zukünftiger Rentnerinnen hingewiesen. Welch ein Segen ein Bedingungsloses Grundeinkommen auch vor diesem Hintergrund wäre, ist allzudeutlich. Nun war diese Lage auch Thema bei Maischberger mit dem Titel „Der Rentencheck: Welche Altersvorsorge ist noch sicher?“

Wir zitieren hier aus einer Besprechung (FAZ) der Sendung:

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