Integration bezogen worauf?

Die Antwort von BGE Eisenach macht auf ein Missverständnis aufmerksam, das in dieser Diskussion immer wieder anzutreffen ist und mit einer Verunklärung des Demokratiebegriffs einhergeht. Dass es stets die Rechtsgemeinschaft der Bürger ist, die Rechte garantieren und ihnen zur Durchsetzung (mittels Gewaltenteilung) verhelfen muss, ist unstrittig. Während aber die Bürger als Bürger die Rechtsordnung tragen, bewegen sich Erwerbstätige als Erwerbstätige nur in ihrem Geltungsbereich, sind aber weder deren Legitimationsquelle noch ihr Träger. Während den Bürgern als Individuen ein Status zukommt, der ihnen nicht genommen werden kann, kann nicht nur jeder Erwerbstätige diesen Status verlieren, er muss ihn auch verlieren können, weil Erwerbstätigkeit kein Selbstzweck ist, die Gemeinschaft der Bürger ist aber Selbstzweck. Dass schon T. H. Marshall, auf den der Begriff „industrial citizenship“ zurückgeht, hier missverständlich argumentierte, macht die Sache nicht besser, immerhin aber wird bei ihm deutlich, dass das System von Kollektivrechten in Arbeitsverhältnissen nicht von denjenigen konstituiert wird, die diese Rechte zugleich in Anspruch nehmen. Deutlich wird die Vermischung bzw. Verkürzung dieses Zusammenhangs in der Kurzfassung eines Vortrags von Bettina Kohlrausch. Dort heißt es z. B.:

„Diese Rechte leiten sich vom Status der Erwerbstätigkeit ab. Sie schaffen Strukturen, aus denen sozialer Zusammenhalt entstehen kann, und sie garantieren soziale Anerkennung. Es mag pathetisch klingen – aber Erwerbsarbeit hilft uns selbst zu sehen und anderen zu zeigen, welchen Platz wir in dieser Gesellschaft eingenommen haben.“

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„Existenzangst abschaffen. So geht Sozialstaat“…

…damit wirbt die Partei Die Linke auf ihrer Website. Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Programm zur Bundestagswahl im September. Wie in programmatischen Aussagen nötig, geht es vollmundig zu, das weist die Richtung, in die die Vorschläge weisen, wenn es z. B. heißt:

„Ohne leistungsfähigen Sozialstaat keine funktionierende Demokratie“.

So wird man dem im allgemeinen durchaus zustimmen können, doch heißt das, bislang lebten wir nicht in einer Demokratie? Das würde zu weit gehen. An anderer Stelle ist zu lesen:

„Wir wollen ein neues Betriebssystem des Sozialen: eine öffentliche Infrastruktur, die Armut abschafft, Demokratie mit sozialer Sicherheit fördert und Umverteilung von Oben nach Unten schafft“.

Im Tech-Neudeutsch wird ein neues Betriebssystem eingespielt, aber woher stammt es, worauf beruft es sich? Lässt sich Armut wirklich abschaffen? Das gilt doch allenfalls für die Armut, die lediglich aus Einkommensmangel besteht, für anders begründete nicht.

Treffend ist die Kritik an Niedriglöhnen, Sanktionen und der Maschinerie von Hartz IV. Dann folgt dies:

„Jedes Jahr wachsen Wohlstand, Wissen und Reichtum. Längst wäre ein besseres Leben für alle Menschen möglich: sinnvolle Arbeit, mehr Freizeit, sicheres Leben. Doch jeder soziale Fortschritt muss dem Kapital abgetrotzt werden. Immer noch. Einkommen und Vermögen von Superreichen und der Konzerne beruhen nicht auf eigener Arbeitsleistung, sondern auf Aneignung fremder Arbeit. Anders als es die Neoliberalen behaupten, herrscht nicht das Leistungsprinzip. Sie sagen „Leistung“, aber meinen ihren finanziellen Erfolg und die Anerkennung von Marktergebnisse als „gerecht“.“

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„…als Staatsbürger haben wir halbwegs zu funktionieren…“ – Neues von Richard David Precht oder doch bekannter Paternalismus?

Wobei die Rede von Paternalismus in diesem Zusammenhang noch etwas Schönfärberisches hätte, denn Staatsbürger darauf festzulegen, dass sie zu funktionieren haben, ist reaktionär. Oder war das anders „gemeint“? In dem Interview, aus dem diese Passage stammt, deren Quelle ich nicht ausfindig machen konnte, spricht Precht vom „gute[n] Staatsbürger“, von „Maßnahmen im Sinne des Gemeinwohls“ (es geht um die auf das Coronavirus bezogenen) und dann eben davon „als Staatsbürger haben wir halbwegs zu funktionieren“, „ein guter Staatsbürger hat sich an die Regeln zu halten“ – als sei Kritik, wo nötig und argumentativ vorgetragen, nicht eine selbstverständliche Pflicht des Staatsbürgers in einer Demokratie, um zum Wohlergehen des Gemeinwesens beizutragen. Precht scheint Loyalität zu demokratisch legitimierten Entscheidungen mit Unterwerfung zu verwechseln. Schon früher war eine solche Haltung zu erkennen, siehe hier und hier. Weitere Beiträge zu Precht siehe hier.

Sascha Liebermann

„Umdenken lohnt sich“ – aber: Bevölkerung statt Bürger?

Ein Beitrag von Arfst Wagner in der taz, in dem es, wie nicht so häufig beim Bedingungslosen Grundeinkommen, auch um Demokratie geht, irritiert an einer Stelle:

„Wir stehen erst am Anfang der Diskussion, das Ganze wird ein Lernprozess, an dem auch die Bevölkerung beteiligt werden sollte.“

Warum „Bevölkerung“?

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„Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Offenbarungseid“…

…oder ist es diese Äußerung von Albrecht von Lucke, der das Hohelied der Erwerbsarbeit singt? Hat denn jemals eine „Gesellschaft“ „Menschen“ „in Arbeit“ gebracht? Oder haben sie sich diese in der Regel gesucht und sich dafür entschieden? Sollte von Lucke es metaphorisch gemeint haben, dann mildert das keineswegs den Paternalismus, der in der ihm zugeschriebenen Äußerung zu erkennen ist.

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Repressionsfreie Grundsicherung im Wolkenkuckucksheim…

…so könnte der Vorwurf gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen umgekehrt werden, den Christoph Butterwegge in der Rhein-Neckar-Zeitung erhebt, wenn man sich einmal vor Augen geführt hat, weshalb in einem erwerbszentrierten Sozialstaat eine Grundsicherung, die nicht mit Sanktionen bewehrt ist, weltfremd ist. Selten so klar äußert sich Butterwegge zur „moralichen Verpflichtung … selbst für sein Einkommen“ zu sorgen.

Hier wird nach unbezahlter Arbeit (siehe hier und hier) gefragt:

RNZ: „Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die etwas leisten, ohne bezahlt zu werden: in der Erziehung, in der Pflege, im Ehrenamt, in der Kultur. Das ist doch auch nicht gerecht. Wäre das Grundeinkommen nicht eine Möglichkeit, diese Arbeit wertzuschätzen?“
Butterwegge: „Ich sehe nicht, wo die Wertschätzung sein soll, wenn jeder 1000 Euro bekommt. Das Grundeinkommen ist ja unabhängig davon, was jemand macht. Wenn der Mensch ehrenamtlich oder karitativ arbeitet oder einen Angehörigen pflegt, dann wird er mit dem Grundeinkommen nicht dafür entlohnt, sondern seine Existenz nur auf einem niedrigen Niveau gesichert.“

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Heiligt der Zweck die Mittel…

…oder zerstören manche Mittel auch den Zweck? – Das fragt man sich, wenn man die jüngsten Ausführungen von Philippe van Parijs liest. Van Parijs, einer der frühen philosophischen Streiter für das Bedingungslose Grundeinkommen, der mit seinem Aufsatz „Why surfers should be fed“ provokant und kompromisslos ein BGE gefordert hat und der das Basic Income Earth Network als Basic Income European Network mitgründete, macht dort Vorschläge für den Weg zur Einführung eines BGE, die überraschen.

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Politische Nation, kulturelle Vielfalt und Bedingungsloses Grundeinkommen

Die Zuwanderung von Flüchtlingen, die in Kriegs- oder Hungergebieten an Leib und Leben bedroht sind und von denen niemand wissen kann, ob sie bleiben werden oder nicht – auch sie selbst wissen das zu ihrem eigenen Leidwesen nicht;

die Zuwanderung von Asylbewerbern, die in ihren Heimatländern aufgrund ihrer von der Mehrheitskultur abweichenden Lebensweise – sei dies eine religiöse Abweichung wie bei den Christen im Iran oder den Schiiten in Saudi Arabien, sei es eine sexuelle Abweichung wie bei Homosexuellen in Ägypten, seien es sonstige kulturelle Abweichungen wie bei den Uiguren in China – an Leib und Leben bedroht sind und bei uns um Schutz und Aufnahme ersuchen;

die Zuwanderung von jungen Menschen aus Europa und der ganzen Welt, die sich bei uns ein besseres Leben erhoffen und deshalb gern hier bleiben wollen

– diese ganze Entwicklung wirft die Frage nach der Identität Deutschlands, nach der Identität eines jeden Deutschen auf. Vielen macht das Andrängen dieser Frage Angst. Wenn dann noch die zukunftseröffnende Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens ins Spiel gebracht wird, ist schnell das Ende jeder offenen Debatte erreicht. Deshalb ist es sinnvoll, sich Klarheit zu verschaffen über den Zusammenhang von Identität, politischer Nation und kulturellem Selbstverständnis.

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Grundeinkommen, bedingungslos – was bedeutet das?

Wir erhalten immer wieder einmal Anfragen zu Aspekten der Grundeinkommensdiskussion, die offenbar für Verwirrung sorgen oder zumindest missverständlich sind. Jüngst ging es dabei um die genaue Bedeutung des Adjektivs „bedingungslos“. Angesichts seiner Unterbestimmtheit beißen sich manche Kritiker gerade daran fest, um gegen das BGE zu wettern, statt wohlwollend an einer Klärung mitzuwirken.

Das Attribut bedingungslos ist nicht frei von Missverständlichkeiten, denn es ist unterbestimmt. Sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Diskussion werden deswegen noch andere Attribute gebraucht, wie z. B. „universal“, garantiert, allgemein. Sie sind jedoch nicht weniger missverständlich, denn sie könnten gleichermaßen zur Beschreibung von Hartz IV verwendet werden, auf das immerhin ein Rechtsanspruch besteht. Vereindeutigen lässt sich diese Unklarheit des Adjektivs „bedingungslos“ nur, wenn man sich vor Augen führt, worum es beim BGE geht und weshalb in der deutschen Diskussion das Attribut „bedingungslos“ eine so große Rolle spielt. Der ganze Vorschlag eines BGE richtet sich zuallererst gegen die Bedürftigkeitsprüfung bzw. die Regelung, Ansprüche durch Erwerbsarbeit erworben haben zu müssen, damit eine Einkommenssicherung (ALG I und Rente) gewährt wird. Diese Bedeutung der Bedingungslosigkeit ist ziemlich klar und findet sich ebenso beim Basic Income Earth Network, ohne dass dort von Bedingungslosigkeit die Rede ist.

Wird Bedürftigkeit bzw. Anspruchserwerb durch Beiträge als Kriterium für die basale Existenzsicherung hingegen aufgegeben, dann hat das Folgen für die bedürftigkeitsgeprüften Leistungen, die oberhalb eines BGE in Zukunft weiterhin bestehen sollen. Denn im Zentrum steht nun nicht mehr die Bedürftigkeit auf Grund des Ausfalls von Erwerbseinkommen bzw. von Erwerbsunfähigkeit, sondern die Bedürftigkeit aufgrund besonderer Lebenslagen, ohne dass Erwerbstätigkeit normativ Vorrang genösse. Erwerbstätigkeit als normatives Ziel stünde nicht mehr im Zentrum des Sozialstaats, sondern das Individuum. Damit änderte sich fast alles.

Dass die Bedingungslosigkeit selbst Bedingungen kennt (siehe meine Ausführungen hier), ist selbstverständlich. Es sind dies aber nicht Gegenleistungsbedingungen wie in den heutigen Systemen sozialer Sicherung, sondern Bereitstellungsbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit es ein BGE geben kann. Das fängt schon damit an, dass ein Gemeinwesen die Bereitstellung durchsetzt und absichert. Dann muss es verteilbare Überschüsse geben, also ein bestimmter Wohlstand ist erforderlich. Wir können noch andere Bedingungen nennen, die in der Sache selbst liegen. Ein BGE wird, das ist als solches interessant, nur in den Staaten bzw. Kulturen auf Resonanz stoßen, die einen starken Begriff von Individualität und Gemeinschaft zugleich haben. Das erklärt, weshalb es bislang vor allem in westlichen Demokratien debattiert wird. Selbstbestimmung muss also schon zu den selbstverständlichen Werten gehören, damit ein BGE überhaupt für relevant erachtet wird. Weiterhin muss es eine Bezugsbedingung geben, die mit Zugehörigkeit zum Gemeinwesen bzw. dem Lebensmittelpunkt verbunden ist. Heute wird das über Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus geregelt. Erstere ist unerlässlich, weil es einen Souverän, der über sich selbst bestimmt, nur geben kann, wenn zwischen Angehörigen und Nicht-Angehörigen eines Gemeinwesens unterschieden wird. Staatsangehörige müssen das Gemeinwesen tragen, Entscheidungen verantworten und zur Aufrechterhaltung der politischen Ordnung beitragen. Nicht-Angehörige müssen all dies nur akzeptieren.

Dass zur Bereitstellung eines BGE Steuern notwendig sind, ist selbstverständlich, denn ohne Steuern können hoheitliche Aufgaben nicht erfüllt werden. Wenn nun in der Diskussion hier und dort behauptet wird, bedingungslos sei ein BGE nur, wenn es die Steuerlast nicht verändere insgesamt, dann ist das eine eigenwillige Ausdeutung der Bedingungslosigkeit. Sie ist ebenso eigenwillig wie die Haltung mancher Befürworter, ein „echtes“ BGE davon abhängig zu machen, ob es mit Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung oder anderen Regelungen einhergeht.

Sascha Liebermann

„Der Mensch ist ein bequemes Wesen, reagiert aber auf ökonomische Anreize…“…

…so Thomas Straubhaar in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen. Die Passage, die ich hier herausheben möchte, findet sich gegen Ende des Interviews und lautet:

TA: „Was macht Sie so sicher, dass ein Grundeinkommen nicht vor allem fauler macht?“
S: „Weil es empirisch widerlegt ist! Der Mensch ist ein bequemes Wesen, reagiert aber auf ökonomische Anreize. Wir reden von einem Existenzminimum. Wenn man Menschen fragt, ob sie ein Leben lang von 1000 Euro leben wollen, würden die meisten Nein sagen. Auch weil Arbeit für viele etwas ist, das den Tag strukturiert, soziale Kontakte, Anerkennung und Genugtuung schafft.“

Wie bekommt man das zusammen? Zuerst wird der Mensch als bequem eingeordnet, der aber auf „ökonomische Anreize“, das müssen in dem Fall Stimuli sein, reagiert. Das ist wieder so einfach gedacht wie schon in anderen Beiträgen von Straubhaar – letztlich sozialmechanisch. Dass die Lebenspraxis der Maxime folgt, Bewährtes nicht ohne Not aufzugeben, ist keine Bequemlichkeit. Es erlaubt vielmehr Kontinuität, Verlässlichkeit und damit einen unaufgeregten Alltag. Das kann durchaus auch so weit gehen, dass an Bewährtem noch festgehalten wird, wenn es Probleme nicht mehr löst, die es einst zu lösen in der Lage war. Das ist aber ein anderer Blick auf „Bequemlichkeit“, als Straubhaar ihn erkennen lässt. Dass „Anreize“ – ein missverständlicher Begriff – lediglich Handlungsmöglichkeiten sind, die z. B. von der Warte eines Individuums aus bewertet werden, geht dabei verloren. Sie wirken nicht lenkend auf das Individuum ein, sie stellen es lediglich vor Handlungsalternativen. Anreize erzeugen aber nicht ein bestimmtes Handeln. Wie jemand mit diesen Handlungsalternativen umgeht, hängt sowohl von Bildungsprozessen sowie kollektiven Bewertungen dieser Alternativen ab.

Gegen Ende des  zitierten Absatzes bringt Straubhaar dann andere Gründe dafür ins Spiel, die nicht mehr im engeren Sinne „ökonomische Anreize“ darstellen. Wer (Erwerbs-)Arbeit benötigt, um eine Tagesstruktur zu erhalten, für den ist die Sache, um die es in der Arbeit gehen sollte, nachrangig. Erwerbsarbeit erhält dadurch beinahe eine therapeutische Dimension. Das bringt erhebliche Einschränkungen mit sich für die Bewältigung von Aufgaben, um die es in Erwerbstätigkeit gehen sollte.

„Soziale Kontakte“, die durch Erwerbstätigkeit entstehen, sind vor allem kollegialer Art, denn Personen begegnen sich am Arbeitsplatz bezogen auf einen Zweck, dem sie dienen, nicht aber um ihrer selbst willen. Das wird oft übersehen und deswegen das Verhältnis zu Kollegen verklärt. Dabei ist es für Kollegialbeziehungen wichtig, beides auseinanderzuhalten, freundschaftliche und kollegiale Beziehungen, zur Stärkung der einen, der kollegialen, wie der anderen, der freundschaftlichen Seite. Werden sie nicht auseinandergehalten, sind Loyalitätskonflikte die Folge. Entsprechend steht in Kollegialbeziehungen die Aufgabe im Zentrum, in persönlichen (soziologisch: diffusen) Beziehungen steht die Person im Zentrum. Anerkennung, die Straubhaar hier ebenso anführt, bezieht sich in Kollegialbeziehungen auf Leistung, nicht auf die Person jenseits davon. Anerkennung um ihrer selbst willen, also Anerkennung der Person, nicht der Leistung wegen, gibt es nur in Beziehungen, wo diese auch im Zentrum steht: in Familie, Freundschaften und Gemeinwesen (Bürger). Die Aufgabenbezogenheit von Kollegialbeziehungen ist auch der Grund, weshalb Integration von Personen als ganzen Menschen, gerade nicht durch Kollegialbeziehungen geschieht. Integration im Sinne einer Anerkennung der Person erfolgt über den Zugehörigkeitsstatus zum Gemeinwesen, in republikanischen Demokratien am umfassendsten durch Staatsbürgerschaft, weil sie aktive und passive Rechte in vollem Umfang beinhaltet.

An einer anderen Stelle hebt Straubhaar heraus, dass Finanzierungsfragen tatsächlich Gestaltungsfragen sind – ein wichtiger Hinweis, denn oft werden Finanzierungsfragen so behandelt, als gingen sie den Gestaltungsfragen voraus. Solange man nicht weiß, was gestaltet werden soll, kann auch die Finazierung nicht in Angriff genommen werden:

TA: „Sie schreiben, die Frage der Finanzierbarkeit sei dramatisch falsch gestellt. Ist das nicht die eigentliche Grundsatzfrage?“
S: „Das ist richtig, aber die allererste Frage muss doch sein: Was soll wofür finanziert werden? Was soll der deutsche Sozialstaat im Jahr 2025 oder 2040 leisten? Wie weit soll er Leistungsstaat sein, wie weit Gerechtigkeitsstaat und Umverteilungsstaat? Das sind die zentralen gesellschaftlichen Fragen der Zukunft, und daraus ergeben sich Mittelbedarf und Finanzierbarkeit. Das Grundeinkommen ist ein Instrument, um politische Ziele zu erreichen, aber die muss man erst einmal definieren.“

Sascha Liebermann