…oder zerstören manche Mittel auch den Zweck? – Das fragt man sich, wenn man die jüngsten Ausführungen von Philippe van Parijs liest. Van Parijs, einer der frühen philosophischen Streiter für das Bedingungslose Grundeinkommen, der mit seinem Aufsatz „Why surfers should be fed“ provokant und kompromisslos ein BGE gefordert hat und der das Basic Income Earth Network als Basic Income European Network mitgründete, macht dort Vorschläge für den Weg zur Einführung eines BGE, die überraschen.
Van Parijs wird gefragt: „Sie reden von kleinen Schritten. Wie würden Sie anfangen?“, und er antwortet: „Mit einem partiellen Grundeinkommen, also einem monatlichen Satz, der an keine Bedingungen geknüpft ist, allerdings nicht ausreicht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, vor allem nicht, wenn man allein in einer Stadt lebt.“
Warum, fragt man sich, soll der Betrag unter dem kulturellen Existenzminimum liegen? Was wäre der Vorteil gegenüber einem vollgültigen BGE?
Den Einwand, dass das vermutlich einen bürokratischen Mehraufwand bedeute, weist van Parijs nicht zurück, behauptet aber, die Beseitigung der Armutsfalle sei die Folge eines auch niedrigen BGE. Dass dies angesichts der Tatsache, dass das Armutsfallentheorem als widerlegt gelten kann, überrascht, darauf hat Sascha Liebermann hier schon hingewiesen und entsprechende differenzierte Darstellungen angeführt. Van Parijs stellt dann die entdiskriminierenden Effekte der Bedingungslosigkeit heraus, die aber keinen positiven Grund für die geringe Summe darstellen, die er als Zwischenschritt fordert.
Als weiteren Zwischenschritt malt van Parijs ein „Partizipationseinkommen“ aus, das wieder an bestimmte Bedingungen geknüpft wäre: Der Empfänger erhielte das „Partizipationiseinkommen“ als „Gegenleistung für einen Beitrag an die Gesellschaft, beispielsweise wenn eine Person einer Erwerbsarbeit nachgeht, sich weiterbildet, zu Hause auf die Kinder aufpasst oder sich gemeinnützig engagiert.“ Van Parijs hält selbst fest, dass dieses Einkommen „wahrscheinlich sogar teurer [wäre] als ein bedingungsloses Grundeinkommen in gleicher Höhe, da ein bürokratischer Apparat unterhalten werden müsste, der prüft, ob Menschen ihren Beitrag leisten“. Die Kontrolle des gegenwärtigen Sozialstaats würde van Parijs also beibehalten wollen, obwohl er deren Wegfall beim BGE ja im gleichen Interview treffend herausstellt: „Freiheit ist ein mächtiger Produktionsfaktor.“
Warum? fragt man sich erneut.
Van Parijs hebt hervor: Ein „Partizipationseinkommen“ „wäre an Bedingungen geknüpft, die die Akzeptanz in der Öffentlichkeit fördern.“
Also um der Akzeptanz willen, sollen zwei entscheidende Momente des BGE aufgegeben werden: eine Höhe, die ausreicht, um ein würdiges Leben in der Gemeinschaft führen zu können, und die Bedingungslosigkeit.
Was van Parijs als weitere Begründung anführt, verblüfft: Er konstatiert, dass „diese Prüfungen [„ob Menschen ihren Beitrag leisten“] oft schwere Eingriffe in die Privatsphäre nach sich ziehen [würden] und […] für die Betroffenen“ „schwer erträglich“ wären. Und das hält van Parijs für wünschenswert?
Warum?
Van Parijs meint: „Das könnte ein Anlass sein, weitere Maßnahmen in Richtung Grundeinkommen zu wagen.“
Die Logik ist also die: Die Bürger sollen mit einem Schein-BGE noch mehr geknechtet werden, damit sie die Ketten und damit den Schein abwerfen und schließlich ein echtes BGE einführen. Dass mit diesen Mitteln der Zweck, dem sie dienen sollen, selbst diskreditiert würde, liegt auf der Hand; van Parijs sieht das aber offensichtlich nicht.
Dass van Parijs sein Interview mit einem treffenden Zitat von Max Weber beendet, ist nun vollends paradox; das Zitat lautet: „Alle geschichtliche Erfahrung bestätigt, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“ – Mit seiner ‚realpolitischen‘ Orientierung am – unter den gegenwärtigen Bedingungen der Erwerbsorientierung und der Kontrollbürokratie – Möglichen macht van Parijs das BGE, das ja nur eine durch und durch mögliche Radikalisierung des Gedankens der Staatsbürgerschaft in einem demokratischen Gemeinwesen darstellte, und damit eine eine radikale Vereinfachung und vor allem Befreiung bedeutete, zu etwas – Unmöglichem.
Thomas Loer