Eine missverstandene Unabhängigkeit…

…steht hinter dieser Sorge vor dem Staat.

Siehe auch hier und hier.

Sascha Liebermann

„Arbeite mit, regiere mit“…

Peter Neumann rezensiert auf Zeit Online das neue Buch von Axel Honneth und schreibt am Ende:

„Ein Unbehagen bei der Lektüre bleibt dennoch. Von dem Staatsrechtler und ehemaligen Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde ist das berühmte Diktum überliefert, dem zufolge der moderne, freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Auch ihm möchte Honneth nun ausdrücklich widersprechen, wenn er sagt, dass der Staat durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durchaus darauf einwirken kann, ihm zuwiderlaufende Verhaltensmuster in der Gesellschaft zu unterbinden. Etwa indem er zu „staatlichen Dienstverpflichtungen“ greift, die eine „zeitlich befristete Einschränkung“ unserer liberalen Freiheiten zulassen, beispielsweise wenn es um gemeinwohlorientierte Tätigkeiten in der Kindererziehung, der Alten- und Krankenpflege geht. Ob aber so ein starker Staat, den Honneth sich wünscht, noch viel mit der Souveränität seiner arbeitenden Subjekte zu tun hat, möchte man am Ende eines langen Arbeitstags dann doch gerne wissen.“

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„Freiheit ist ansteckend“…

…ein Interview mit Ernst-Wolfgang Böckenförde in der taz aus dem Jahr 2009, das man als Erläuterung seiner vielzitierten und -diskutierten Äußerung über den „freiheitlichen, säkularisierten Staat“ betrachten kann. Was bei wohlwollender Auslegung schon in seinem frühen Aufsatz zu erkennen war, wird hier nun ausdrücklich formuliert. Es besteht immer die Gefahr, dass sich Zitate, die zu Klassikern werden, wie das Böckenförde-Diktum, abnutzen oder verbrauchen könnten, doch in diesem Fall gilt das nicht. Böckenförde hat auf einfache Weise, komprimiert, ausgedrückt, was den freiheitlichen Staat auszeichnet und woraus er sich fortwährend erneuern muss, ohne dies selbst gewährleisten zu können. Damit sind seine Argumente aktuell wie eh und je, haben an ihrer Brisanz nichts verloren. Man denke nur an die jüngste Debatte über das „Bürgergeld“, an Wahlkampagnen, die eine Selbstverständlichkeit zur Sonderleistung erhoben, nämlich „Respekt“ zu zollen, oder an den dauernden Appell an „Eigenverantwortung“. All das wird durch Böckenfördes Ausführungen als Übergriffigkeit und Anmaßung entlarvt – ruht die politische Ordnung doch längst darauf, unaufgeregt, selbstverständlich, es mag uns nur nicht klar genug sein.

Wenn auch er die Verbindung zum Bedingungslosen Grundeinkommen nie gezogen hat, liegt die Verwandtschaft seiner Überlegungen zu einer genau aus diesem Geiste erfolgenden Begründung auf der Hand: aus dem Geist der Demokratie.

Sascha Liebermann

„Staat ohne Nation – ein Zukunftsmodell?“…

…ein Streitgespräch zwischen Alexander Thiele und Aleida Assmann im Deutschlandfunk aus dem vergangenen April. Eine wichtige Frage angesichts der häufig vorschnellen Verabschiedung des Nationalstaats in deutschen Diskussionen.

Was in der Diskussion – vielleicht auch angesichts der knappen Zeit – zu kurz kommt, ist die Bedeutung der Sozialisation für die Gemeinwohlbindung (hierhier und hier) und damit die Bindung an ein Normengefüge, das zugleich eine konkrete Geschichte hat (das macht Assmann stark). Der Universalismus von Staatsbürgerschaft im Sinne dessen, dass Staatsangehörigkeit erworben werden kann durch Einbürgerung (also kein ethnisches Prinzip, das macht Thiele stark) ist in seiner Existenzfähigkeit an ein Gemeinwesen gebunden, das an diese Normen auf eine Weise gebunden ist, die in Krisen noch Bestand haben kann (siehe den Kriegsfall). Diese Bindungskraft wird in der Regel aber erst durch den langen Prozess der Sozialisation ermöglicht, eine Sozialisation in eine konkrete Vergemeinschaftung (siehe auch hier) und ihr Selbstverständnis (Bürgerethos könnte man dies nennen). Man könnte es also so ausdrücken, dass die Bedingung der Möglichkeit universalistischer Staatsbürgerschaft eine konkrete Vergemeinschaftung ist, die sich zum universalistischen Verständnis bekennt und dies immer wieder befestigen muss.

Sascha Liebermann

„…meinen Bürgerstatus habe ich vor allem dadurch erworben, dass ich unabhängig bin…“

In diesem Gespräch, auf das ich in den vergangenen Tagen wiederholt hingewiesen habe, und anderen Ausführungen Gerhard Boschs wird deutlich, wie unterschiedlich die Einschätzungen zu unseren Lebensverhältnissen sein können und welche Schlüsse man daraus ziehen kann. Aber sie sind nicht nur unterschiedlich, wie gleich zu Beginn des verlinkten Gesprächs deutlich wird. Deswegen habe ich diese Passage weitgehend wörtlich verschriftet. Gerhard Bosch sagt auf die Eingangsfrage des Moderators:

„Ich möchte kein Transferempfänger sein, ich möchte meinen Lebensunterhalt selber verdienen, ich möchte dafür befähigt werden durch eine gute Erziehung und durch ne gute und interessante Arbeit und möchte mich dafür auch anstrengen […] ich bin dann auch unabhängig, ein Bedingungsloses Grundeinkommen wird immer davon abhängen, welche Regierung wir haben, es kann gekürzt werden, es kann erhöht werden, es ist keine Garantie für mich, ich bin ein abhängiger Mensch und ein Bürger, meinen Bürgerstatus habe ich erworben vor allem dadurch, dass ich unabhängig bin, ich bin natürlich für ein Grundeinkommen für diejenigen, die kein Geld haben…“

Boschs Antwort erinnert in gewisser Hinsicht an eine Äußerung Andrea Nahles‘ vor einigen Jahren, als sie noch Bundesministerin war. Warum möchte er „kein Transferempfänger sein“ und was meint er genau damit? Deutlich wird der Kontrast, den er setzt zwischen der Situation, Transferempfänger zu sein, also Geld von anderen zu erhalten, und den „Lebensunterhalt selber verdienen“. Was wie eine klare Unterscheidung erscheint, ist so klar nicht, denn ein Leben in Gemeinwesen ist gar nicht möglich, ohne Leistungen des Gemeinwesens in Anspruch nehmen zu müssen, die nicht selbst erbracht werden können. Sogar die Erzielung von Einkommen über Erwerbstätigkeit setzt noch denjenigen voraus, der die Leistungsbereitschaft Boschs in Anspruch nimmt, was wiederum nur möglich ist, wenn es Kunden gibt, die Produkte dieses Anbieters kaufen usw. Darüber hinaus bedarf es der Kollegen, mit denen zusammengearbeitet wird usw. – das scheint alles trivial zu sein, relativiert doch allerdings ziemlich die Bedeutung davon, Geld selbst zu verdienen. Wenn nun Bosch all das andere nicht bestreiten würde und ihm klar ist, dass sich diese vielfältigen Abhängigkeiten von anderen nicht umgehen lassen, ja, sie zum Leben dazugehören, weshalb betont er dann das Geldverdienen derart? Wie man es dreht und wendet, wird sein Stellenwert überhöht, wenn es so betont wird. Durch diese Überhöhung hindurch scheint eine Vorstellung von Unabhängigkeit, die es nicht geben kann, die abstrahiert von all den Abhängigkeiten, die zum Leben dazugehören, das ist das interessante und aufschlussreiche an der Passage.

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Die Furcht vor dem Staat,…

…auf diese Sorge reagiert Thomas Oberhäuser hier, und man muss sich fragen, was denn wir alle ohne diesen Staat wären und weshalb er als unkontrollierbares Monstrum gilt, wie in dem verlinkten Beitrag eines Schweizer Zeitgenossen. Die Sorge vor der „Abhängigkeit“ vom Staat (siehe auch hier, hier und hier) übersieht die vielfältige Abhängigkeit, die zu einem Gemeinwesen dazu gehört, von dem der „Staat“ nämlich abhängig ist in Gestalt seiner Bürger. Ohne Institutionen hingegen geht es auch nicht, sie  müssen nur der demokratischen Kontrolle unterliegen.

Sascha Liebermann

Universal Basic Income „Freedom from government interference“ – missverständlich…

…denn die Regierung unterliegt, zumindest in modernen Demokratien, der parlamentarischen Kontrolle. Das Parlament wiederum ist in seiner Legitimität an das Staatsvolk gebunden, muss sich vor ihm verantworten. Das Staatsvolk als politische Gemeinschaft der Bürger muss die Ordnung tragen und sich für ihre Veränderung engagieren, sonst ist sie nichts wert (siehe hier). Das UBI oder BGE wird von dieser Gemeinschaft in ihrer Verfasstheit auch als Staat bereitgestellt. Kein Gemeinwesen ohne Ordnung, d.h. ohne bestimmte Schranken oder Beschränkungen, die aus Normen folgen. Oder ist mit „interference“ etwas Spezielles gemeint?

Sascha Liebermann

„Abhängigkeit“ vom Staat als Schreckgespenst – als sei das heute anders…

…und als spiele es keine Rolle, worin diese „Abhängigkeit“ genau besteht, um die es hier geht. Allgemein gesprochen ist diese Abhängigkeit (siehe auch hier) gar nicht aufzuheben, es kann also nur um die Frage gehen, in welcher Form sie besteht. Hier weist BGE Eisenach auf den richtigen Punkt hin, dass ein BGE Freiräume gegenüber Fremdbestimmung eröffnet und dem Einzelnen abverlangt, sich zu diesen Möglichkeiten zu verhalten, die breiter sind als im Angesicht des Erwerbsgebots. Diese Freiheitszumutung wird meist unterschätzt. Es kann also nur darum gehen, wie das Abhängigkeitsverhältnis gestaltet wird, nicht ob es stärker oder schwächer ist, denn Freiheit ist ohne Abhängigkeit nicht zu haben.

Sascha Liebermann

…“dass der Staat Menschen wie mir jeden Monat Geld schenkt“ – es macht gerade den „Staat“ in unserer Form aus, dass er „schenkt“

Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, äußerte sich in einem Interview mit Business Insider in dieser Hinsicht. Die vollständige Passage lautet:

BI: „Das klingt nicht gerade nach einem Patentrezept gegen die zunehmende soziale Ungleichheit. Kann das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort sein?“
Bendiek: „Ich persönlich tue mich schwer mit der Vorstellung, dass der Staat Menschen wie mir jeden Monat Geld schenkt. Ich würde es nicht als gerecht empfinden, weil ich nicht darauf angewiesen wäre.“

Bendiek denkt hier ganz in der Logik von Bedürftigkeit und spricht damit aus, was unsere Konstruktion von Sozialstaat dominiert. Doch zugleich – siehe das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (siehe jüngst dazu den Kommentar von Roland Rosenow) – kennt dieser Sozialstaat ein unverfügbares Existenzminimum, aus dem Grundgesetz leitet sich nicht ab, es antasten zu müssen, lediglich es zu können. Dem entspricht der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, der Frau Bendiek genau deswegen „geschenkt“ wird. Schon erstaunlich, dass eine solche klare Stellungnahme erfolgt, ohne zu realisieren, was ihr alles geschenkt wird im Sinne einer Leistung ohne direkte Gegenleistungsverpflichtung (politische Ordnung, Rechtssicherheit, Bildungswesen, Infrastruktur – und nicht zu vergessen das Existenzminimum). Steuern sind ja keine Gegenleistung, sie sind eine Ermöglichungspauschale. Das Schenken im Sinn einer Anerkennung des Gegenübers um seiner selbst willen zeichnet eine solche Gemeinschaft aus. In einem Unternehmen ist das anders, da wird nichts „geschenkt“, das scheint vielen unklar.

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Der Staat als Hüter des Glücks und Anreizbewahrer? Erstaunlich geringschätzende Äußerungen des Bundestagspräsidenten

Anlässlich einer Rede zum Neujahrsempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Hamburg hat sich, laut Die Welt (eine Meldung, die andere Portale ebenfalls verbreiteten), Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu tagespolitischen Fragen geäußert, dazu zählte auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Nun ist es immer so eine Sache, solche Äußerungen zu kommentieren, wenn nicht nachprüfbar ist, was genau gesagt wurde. Eine Aufzeichnung war bislang nicht zugänglich, ein Manuskript auch nicht. Doch angesichts dessen, was in der Presse kursiert, kann man nur staunen. Schäuble soll sich folgendermaßen geäußert haben:

„Zu üppige Sozialleistungen machen Menschen nach Ansicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble unglücklich. «Wir müssen die Balance zwischen Fordern und Fördern richtig einhalten», mahnte er am Freitag beim Neujahrsempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Hamburg. «Denn wenn wir überfördern, zerstören wir die Motivation der Menschen (…) und machen sie unglücklicher.» Schäuble sprach sich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Müssten die Leute nicht mehr arbeiten, nehme ihnen der Staat den Anreiz, ihre persönliche Lebenserfüllung zu finden.“

Schon der erste Satz fällt auf, denn das Adjektiv „üppig“ suggeriert, es handele sich bei Sozialleistungen um „großzügige“ (siehe auch hier) Gaben. Wer die gegenwärtigen Leistungen und ihre Bezugsbedingungen kennt, kann sich über diese Einordnung nur wundern, noch mehr aber über die feudale Haltung dazu, handelt es sich doch um durch Gesetze formulierte Rechtsansprüche. Sicher habe Schäuble darauf aufmerksam machen wollen, so könnte man meinen, dass ein Staat im Auge haben müsse, welche Leistungen er tragen kann – das genau hat er aber nicht. Bedenkt man hier noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen beim Arbeitslosengeld II vom vergangenen November, erscheint Schäubles Äußerung erstaunlich.

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