„…ich möchte unabhängig sein“… oder: Einwände gegen ein Grundeinkommen dafür

Gegen Ende ihres Vortrags auf der re:publica sagte Bundesministerin Andrea Nahles den entscheidenden Satz, der begründen sollte, weshalb sie gegen ein BGE ist (gesamte Videoaufzeichnung, 2:06:30 bis 3:09:00):

„…ich will das nicht haben, ich will weder Geld von meinem Ehemann, ich will auch kein Geld von meinen Eltern, ich will auch kein Geld von meinem Staat, es tut mir leid, es widerstrebt mir […] ich möchte unabhängig sein“

Sie betonte mehrfach, dass sie das so sehe und andere es anders sehen können, sie jedoch wolle ein solches BGE nicht. Was ist an der Äußerung bemerkenswert? Es ist der Widerwille gegen Abhängigkeit, der sich vorwiegend gegen Geldleistungen richtet. Wie in einer Nußschale zeigt sich eine bestimmte Weltsicht, aus der heraus bestimmte Schlußfolgerungen ganz konsequent scheinen. Ist diese Vorstellung von Unabhängigkeit nicht illusionär?

Vom Ehemann – oder andersherum gedacht von der Ehefrau oder noch weiter: vom Lebenspartner – mit dem das Leben geteilt wird, kein Geld nehmen oder haben zu wollen, ist eine sonderbare Vorstellung. Wer das Leben teilt – etwas Höheres zu teilen gibt es nicht – teilt alles. Dazu gehört das Einkommen selbstverständlich. Es herauszuhalten kommt einem Vorbehalt gleich, so als müsse man sich dagegen absichern, dass der andere einen einst über den Tisch ziehen wird. Mit diesem Vorbehalt gibt es kein vorbehaltsloses Zusammenleben, damit kein bedingungsloses Vetrauen. Das lässt sich ganz gut im Alltag beobachten, wenn Paare getrennte Kassen haben und klären müssen, wie sie mit Ausgaben umgehen, die so anfallen. Wer zahlt, wann, wieviel? Wer ist an der Reihe? Wer also die Unabhängigkeit will, die Frau Nahles herausstellt, sollte sich nicht binden, denn jeder Paarbeziehung erfordert es, sich vom anderen abhängig zu machen, teilt man nicht. Das mag anti-emanzipatorisch klingen, ist jedoch die Konsequenz daraus, das Leben teilen zu wollen. Geld, das Frau Nahles nicht haben will, steht nur stellvertretend dafür, füreinander einzustehen. Wer also das Geld nicht teilen will, will auch nicht füreinander vorbehaltlos einstehen.

Dass ein Erwachsener von seinen Eltern nur ungerne in Einkommensangelegenheiten abhängig ist, ist nachvollziehbar, da eine Ablösung von den Eltern notwendig ist, um erwachsen werden zu können. Es kommt also einem Rückschritt gleich, wenn der Umstand eintritt, von den Eltern wieder versorgt werden zu müssen (statt vom Gemeinwesen Unterstützung zu erhalten, das sind nämlich zwei sehr verschiedene Dinge). Wenn Frau Nahles nun die Abhängigkeit vom Lebenspartner in einem Atemzum mit der von den Eltern nennt, ist das erstaunlich, weil beide nicht vergleichbar sind. Die Eltern kann man sich nicht aussuchen, den Lebenspartner schon, weil man erwachsen ist.

Vom Staat als Gemeinwesen der Bürger unabhängig sein zu wollen, ist allerdings weder Zeichen dafür, erwachsen zu sein noch realistisch. Ein Gemeinwesen von Bürgern ist der Inbegriff von vollständigem Aufeinanderangewiesensein als Solidargemeinschaft, mehr Abhängigkeit geht nicht. Da ist es nur ein schöner Schein zu glauben, wer von dieser Gemeinschaft kein Geld erhalte, sei von ihr nicht abhängig.

Abgesehen davon ist Einkommen in Geldform ziemlich nutzlos, wenn dafür keine Leistungen abgerufen werden können. Geld verspricht lediglich, dass es diese Leistungen gibt, es bringt sie jedoch nicht hervor. Andrea Nahles Verständnis von Unabhängigkeit übersieht all diese Abhängigkeiten, die der Geldunabhängigkeit zugrundeliegen. Dass nun gerade eine Bundesministerin, deren Gehalt vom Steuerzahler abhängt, auf Unabhängigkeit in Geldfragen setzt, gibt der Äußerung beinahe ironischen Charakter. Aber selbst der Steuerzahler, der sich hier auf die Schulter klopfen könnte, weil er zum Steueraufkommen beiträgt, ist ja nicht unabhängig von den gemeinschaftlichen Vorleistungen, die notwendig sind, damit Wertschöpfung im engeren Wirtschaftssinne erfolgen kann. Dazu gehören nicht nur staatliche Leistungen, dazu gehören vor allem gelungene Bildungsprozesse, die ganz entscheidend durch fürsorgliche Eltern sowie Bildungseinsrichtungen ermöglicht und durch das Gemeinwesen getragen werden.

Von daher ist es widersinnig, dass Andrea Nahles zwar mehr Selbstbestimmung auch in Erwerbstätigkeit schätze, wie sie sagt, „Familienarbeit“ und Ehrenamt für wichtig halte, aber gerade die Ermöglichung und Anerkennung dieser Tätigkeiten, die ein BGE schüfe, nicht haben will.

In dem Statement auf der re:publica bemängelt sie darüber hinaus, dass „pauschale monetäre Transfers“ für Menschen mit Behinderungen nicht ausreichen. Ist das ein Einwand gegen das BGE? Nein, es zeigt nur, dass es über das BGE hinaus weiter bedarfsgeprüfte Leistungen geben muss, die allerdings aufgrund eines BGE ihren Charakter verändern würden. Denn die Bedarfsprüfung orientiert sich in keiner Form mehr daran, den Einkommensausfall aus Erwerbstätigkeit auszugleichen, sondern die Selbstbestimmung im Sinne von Autonomie zu unterstützen.

Dass ein BGE „Armutsprobleme“ nicht „aufknacke“, ist ein weiterer Einwand, den sie vorbringt, der allerdings ebenso ins Leere läuft (siehe meinen Kommentar zu Armut). Zwar ist das BGE kein Wundermittel, es verhindert weder lebensgeschichtliche Traumatisierungen noch die Folgen davon. Es trägt allerdings dazu bei, sich Hilfe verschaffen zu können, ohne dazu gleich auf eine Sozialbehörde angewiesen zu sein, z. B. wenn therapeutischer Bedarf ist. Wo Armut lediglich Ausdruck von Einkommensmangel ist, wo Menschen „ökonomisch schwach“ sind, ist das BGE eine entscheidende Hilfe, ohne diese Schwäche selbst als Anlaß zu benötigen. Denn es wird bedingungslos bereitgestellt. Dort, wo andere Problemlagen der Grund für Armut sind, kann das BGE wenigstens eines erreichen: dem Einzelnen eine Basis zu verschaffen, auf der er Angebote ablehnen kann, ohne sein Auskommen zu gefährden.

Nicht nur Armutsprobleme will die Bundesministerin jedoch „aufknacken“, auch familiäre Strukturen – mit welchem Recht eigentlich? Welche Staatsanmaßung über den Schutz des Kindeswohls hinaus kommt darin zum Ausdruck? Wo das Kindeswohl gefährdet ist, haben wir eine Rechtslage, die Interventionen erlaubt, das muss reichen. Diese geradezu sozialistische Vorstellung der Umbildung von Familien findet sich allerdings in vielen Programmen wieder, wie z. B. den „Frühen Hilfen“, die mit einem Generalverdacht operieren, siehe hier und das Dormagener Modell. Remo Largo sprach vor kurzem davon, dass unser Vorstellung vom Leben heute planwirtschaftliche Züge habe (hier und hier).

Es darf natürlich die Forderung nach mehr Investition in Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung nicht fehlen – wer hätte heute dagegen etwas? -, allerdings muss dann gefragt werden, unter welchen Bedingungen sie angestrebt werden: zwangsverpflichtet oder freiwillig? Frau Nahles neigt zur ersten Option, die in vielen Bildungsprogrammen bis in die kulturelle Bildung hinein angelegt ist.

Zuletzt nennt sie noch einen Fall, an dem sie ins „Schwanken“ geräten könnte ob möglicher Wirkungen eines BGE: die „Niedriglohnarbeit“. Doch, so ihr Einwand, das sei eben nicht so, denn, wie die Minijobs zeigen, werde das „eingepreist“. Eingepreist? Doch was heute als Einpreisung erscheint (sie meint vermutlich den Kombilohneffekt oder Vergleichbares), wäre mit einem BGE zu großen Teilen in die Hände der Arbeitnehmer gelegt. Wer einen Minijob ablehnen kann und dennoch ein auskömmliches Einkommen hätte durch das BGE, hat Macht. Die hat er heute nicht.

Einen Einwand antizipierend, dass die Rente doch auch eine staatliche Einkommensleistung sei, verweist sie darauf, dass dies etwas anderes sei, schließlich erwirbt man Ansprüche durch Beiträge. Ja, Ansprüche schon, aber er ermöglicht es, dass diese Ansprüche auch in Einkommen umgesetzt werden? Auf der einen Seite das Gemeinwesen, das eine solche umlagenfinanzierte Rente einrichtet, auf der anderen diejenigen, die ihren ihren Beiträgen in der Gegenwart die Renten der Gegenwart finanzieren. Und wer noch? Diejenigen, die dafür sorgen, dass es auch zukünftig Renten geben kann, weil Leistung erbracht wird, also wer? Die Familien! Die vermeintliche Unabhängigkeit, von der Frau Nahles spricht, nach der sie sich vielleicht sehnt, ist fiktiv, nicht real.

Abschließend sei noch der Gegenvorschlag zum BGE erwähnt, den Frau Nahles sich vorstellt. Sie sprach von einem „steuerfinanzierten Startguthaben für jeden Bürger ab dem 18. Lebensjahr“, das „möglichst frei“ nutzbar sein soll allerdings nur im Rahmen bestimmter Tätigkeiten. Einen ähnlichen Vorschlag hatte sie schon im Interview mit dem Magazin jetzt vor wenigen Monaten vorgebracht. Dort sagte sie:

„Ich würde jungen Menschen gern ein sogenanntes Startguthaben mitgeben. Das heißt: Jeder hat ein Kontingent an staatlich bezahlter Auszeit. Darauf kann man zurückgreifen, zum Beispiel um eine Weiterbildung, eine selbstbestimmte Auszeit, eine berufliche Neuorientierung oder auch eine Gründung zu stemmen. Ich will, dass wir das viel zitierte „lebenslange Lernen“ damit verankern. Um die Leute am besten gar nicht erst arbeitslos werden zu lassen. Das schafft mehr Gerechtigkeit, auch für diejenigen, denen die Eltern in schwierigen ­Berufsphasen nicht finanziell zur Seite springen können.“

Würde ein solches Startguthaben in der erwähnten Höhe viel verändern? Nun, an der Erwerbszentrierung unseres Lebens, an der des Sozialstaates, würde es gar nichts ändern. Es würde an der Degradierung von unbezahlter Arbeit festhalten, Familien keinen größeren Spielraum verschaffen, Arbeitnehmer nicht stärken, die Bürger im Bann der Erwerbsnorm stehen lassen und anderes mehr. Womöglich ist dieser Vorschlag das Maximum an Liberalität, das man von jemandem erwarten kann, der so sehr auf Erwerbstätigkeit geeicht ist.

Sascha Liebermann