Anlässlich einer Rede zum Neujahrsempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Hamburg hat sich, laut Die Welt (eine Meldung, die andere Portale ebenfalls verbreiteten), Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu tagespolitischen Fragen geäußert, dazu zählte auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Nun ist es immer so eine Sache, solche Äußerungen zu kommentieren, wenn nicht nachprüfbar ist, was genau gesagt wurde. Eine Aufzeichnung war bislang nicht zugänglich, ein Manuskript auch nicht. Doch angesichts dessen, was in der Presse kursiert, kann man nur staunen. Schäuble soll sich folgendermaßen geäußert haben:
„Zu üppige Sozialleistungen machen Menschen nach Ansicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble unglücklich. «Wir müssen die Balance zwischen Fordern und Fördern richtig einhalten», mahnte er am Freitag beim Neujahrsempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Hamburg. «Denn wenn wir überfördern, zerstören wir die Motivation der Menschen (…) und machen sie unglücklicher.» Schäuble sprach sich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Müssten die Leute nicht mehr arbeiten, nehme ihnen der Staat den Anreiz, ihre persönliche Lebenserfüllung zu finden.“
Schon der erste Satz fällt auf, denn das Adjektiv „üppig“ suggeriert, es handele sich bei Sozialleistungen um „großzügige“ (siehe auch hier) Gaben. Wer die gegenwärtigen Leistungen und ihre Bezugsbedingungen kennt, kann sich über diese Einordnung nur wundern, noch mehr aber über die feudale Haltung dazu, handelt es sich doch um durch Gesetze formulierte Rechtsansprüche. Sicher habe Schäuble darauf aufmerksam machen wollen, so könnte man meinen, dass ein Staat im Auge haben müsse, welche Leistungen er tragen kann – das genau hat er aber nicht. Bedenkt man hier noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen beim Arbeitslosengeld II vom vergangenen November, erscheint Schäubles Äußerung erstaunlich.
Sollen Sozialleistungen glücklich machen? Sollen sie nicht vielmehr dazu dienen, das Existenzminimum zu sichern und eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen, ganz gleich, ob das nun den Einzelnen glücklich mache oder nicht? Darüber hat er selbst zu befinden.
Was ist unter „überfördern“ zu verstehen? Ein Fördern, das Selbstbestimmung erstickt, eine Art entmündigende Hilfe? In der Tat kann es Hilfen geben, die gerade nicht förderlich sind für ein selbstbestimmtes Leben, die zu viel Beaufsichtigung, zu wenig Zutrauen und anderes mehr beinhalten. Das gilt aber doch gerade für das heutige Gefüge an Sozialleistungen, das zu sehr auf Beaufsichtigung setzt, zu wenig auf Eigeninitiative auf der Basis von Einkommenssicherheit. Das meinte Schäuble offenbar aber nicht.
Der Gipfel – immer in Anlehnung an die Meldung von Die Welt – ist, was er zur persönlichen Lebenserfüllung sagt. Ein BGE nehme den „Anreiz“, sie zu „finden“. Persönlich ist diese „Lebenserfüllung“ ja gerade, weil es im Ermessen des Einzelnen liegt, darüber zu befinden, was für ihn erfüllend ist. Das kann ihm kein anderer sagen. Wenn das so ist, benötigt er maximale Freiräume, um sie „finden“ zu können. Ein BGE verschaffte diese ja überhaupt erst, während heute jedes Finden in der Erwerbstätigkeit enden muss. Und wieder ist es der Staat, der hier „den Leuten“ etwas nehme, als würden sie sich das einfach nehmen lassen, als sei er dazu überhaupt in der Lage. Bezeichnend ist diese Geringschätzung.
Sascha Liebermann