„Umdenken lohnt sich“ – aber: Bevölkerung statt Bürger?

Ein Beitrag von Arfst Wagner in der taz, in dem es, wie nicht so häufig beim Bedingungslosen Grundeinkommen, auch um Demokratie geht, irritiert an einer Stelle:

„Wir stehen erst am Anfang der Diskussion, das Ganze wird ein Lernprozess, an dem auch die Bevölkerung beteiligt werden sollte.“

Warum „Bevölkerung“?

Das erinnert an die Installation im Lichthof des Reichstagsgebäudes, mit der der Künstler Hans Haacke zur Jahrtausendwende eine Korrektur der Inschrift auf dem Westportal, die „Dem deutschen Volke“ gewidmet ist, erreichen wollte. Auf das Volk Bezug zu nehmen, galt als antiquiert, durch das Dritte Reich korrumpiert, obwohl doch gerade das Grundgesetz nur einen modernen, nicht ethnischen Begriff des Volkes kennt (siehe Art. 20 sowie 116 GG).

Wenn es also darum geht, im Sinne der Demokratie eine andere Sozialpolitik zu machen, womit sich Arfst Wagner befasst, dann sind die Bürger als Staatsbürger entscheidend – nicht die Nicht-Staatsbürger. Wer die Staatsbürger durch die „Bevölkerung“ ersetzen will, tilgt den Unterschied zwischen denjenigen, die die politische Ordnung samt aller Rechte und Pflichten tragen und denjenigen, die sie nur zu akzeptieren und zu achten haben. Letzteres gilt für alle Nicht-Staatsbürger. Deswegen kann an ihre Loyalität im Zweifelsfall auch nicht appelliert werden. Haacke hat – womöglich entgegen seiner Absicht, aber ganz im Geiste deutscher Tradition, die ja selbst heute noch zu erkennen ist – ein undemokratisches Verständnis von Volk nicht nur fortgeführt, sondern bekräftigt, indem er die Staatsbürger aus dem Zentrum der Demokratie verbannt. Bei aller berechtigten Kritik an der Widmung auf dem Westportal (sie war schon im Deutschen Kaiserreich umstritten, aber noch nachvollziehbar), weil sie den Kaiser und das Volk auf dieselbe Stufe stellt, zumal noch auf dem Gebäude, in dem die höchste Instanz demokratischer Gesetzgebung beheimatet ist, das Parlament, schüttet sie das Kind mit dem Bade aus. Aber diesbezüglich scheinen noch immer gewissen Unklarheiten zu herrschen, die vermutlich das Fremdeln mit der Bürger mit ihrer Demokratie erklären.

Sascha Liebermann