Auf der Website die-kirche.de hat sich der Leiter des sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirche Deutschlands, Gerhard Wegner, auf ein Neues zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert. Überraschendes gibt es nicht aus seiner Feder (frühere Kommentare zu seinen Ausführungen von meiner Seite finden Sie hier).
„Es ist ein alter Traum der Menschen: genügend Geld zu haben, ohne dafür arbeiten zu müssen. Märchen sind voll davon. Aber nun soll es kein Wunschtraum bleiben, sondern tatsächlich Realität werden: Bedingungsloses Grundeinkommen nennt es sich. 1 000 Euro oder mehr für jeden im Monat von Geburt an, das ist die Vorstellung. Waren es früher nur ein paar Idealisten, die sich dafür einsetzten, so sind es nun leibhaftige Wirtschaftsbosse, Joe Kaeser von Siemens allen voran.“
Die Marschrichtung ist damit schon klar, wir könnten gleich zum Schluss des Beitrags springen, denn „Märchen“ sind, so wird das hier aufgebaut, nicht realitätstauglich. Das könnte man durchaus anders sehen, wenn wir an die ästhetische Bedeutung von Märchen für die Deutung von Wirklichkeit denken, z. B. könnte man sich fragen, inwiefern dieses Märchen in der Geschichte genau den Zweck verkörpert, eine relative Befreiung von bestimmten Arbeiten zu erreichen, um Zeit für andere zu gewinnen. Sei’s drum, das hat Herr Wegner nicht vor Augen, es wird sich darum gehen, dass es nichts umsonst gibt im Leben, von eigener Händer Arbeit zu leben oder vergleichbaren Weisheiten (und Illusionen).
Was schreibt Wegner noch?
„Und das ist in der Tat der Kern des Ganzen: Es geht um ein völlig anderes Sozialsystem, als wir es bisher mit dem Sozialstaat haben. Denn zusammen geht beides nicht: 1 000 Euro für jeden, jeden Monat, würde finanziell keinen Spielraum mehr für sozialstaatliche Leistungen lassen. Arbeitsagenturen, Sozialämter, Jugendämter, Rentenversicherungen und so weiter – der gesamte Bereich einer hochentwickelten sozialen Fürsorge, der in Deutschland über mehr als hundert Jahre erkämpft worden ist, könnte dann nur noch privat finanziert existieren.“
Das muss gar nicht kommentiert werden, Wegner will sich damit gar nicht befassen. Er möge sich nur einmal die Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen anschauen und angesichts eines Bruttoinlandsprodukts fragen, welche Spielräume es gibt. Über Nettozahler und -empfänger wäre zu sprechen, über das Hineinwachsen des BGE in die heutigen Einkommensverhältnisse, über etwaige produktivitätsfördernde Effekte und nicht zuletzt über die Frage, inwiefern ein BGE etwas erreichen könnte, was der heutige Sozialstaat gerade aufgrund seiner Verfasstheit nicht erreicht: Initiative zu fördern, in jede Richtung und nicht nur in Richtung Erwerbstätigkeit.
Um einen schönen Popanz aufzubauen, darf folgendes nicht fehlen:
„Du brauchst eine Arbeitsberatung? Kannst du haben, kostet nun aber. Die bisher vorhandene Verpflichtung des Staates, sich um soziale Notlagen aktiv zu kümmern und für soziale Sicherheit gezielt zu sorgen, würde entfallen. Nun hat ja jeder sein Geld und muss nun, um jeden Preis, für sich selber sorgen.“
Das hat mit dem BGE gar nichts zu tun, der „Staat“ hat sich heute schon aus manchen Leistungen zurückgezogen oder sie eingeschränkt. Wenn also eine solche Beratung (heute im Rahmen des Sozialgesetzbuches für Leistungsbeziehr: Zwangsberatung) gewollt wäre, würde es sie geben, aber auf einer anderen Basis. Wegner erzählt Märchen, Angstmärchen.
Die helfende Hand erhebt sich zur Abwehr:
„Meint jemand wirklich, einem Obdachlosen wäre geholfen, wenn man ihm 1 000 Euro gebe – ihn aber sonst allein lässt? Und wie soll dann eine gute Berufsausbildung gelingen bei denen, die heute schon Hartz IV als Berufsziel angeben?“
Diagnose statt Lamento in paternalistischem Gewand wären hier gefragt, aber das trifft man in der Debatte ja öfter an, siehe hier. Wer nicht erreicht werden will, den erreicht der Sozialstaat nicht, das ist eine bittere Realität, aus der Schlüsse gezogen werden könnten. Gerade Obdachlose würde von einem BGE profitieren, wie alle diejenigen, für die die Schwellen der Sozialbehörden zu hoch sind, um sie zu überschreiten, aus Scham. Das kann nicht sein, dass Wegner davon nichts weiß, er leitet doch ein Forschungsinstitut!?
Das nächste Klischee lässt nicht lange auf sich warten:
„Nein, das kann nicht der Weg sein. Wir müssen nicht das gesellschaftliche Vermögen pauschal verteilen, schon gar nicht an die jenigen, die es gar nicht brauchen. Es muss dabei bleiben, dass der Sozialstaat umverteilt: von den Wohlhabenden zu denen, die Unterstützung brauchen. Das ist gelebte Solidarität!“
Wenn Sie das ernst meinen, Herr Wegner, dann müssten Sie zuallererst für die Abschaffung des Existenzminimums in Gestalt der Freibeträge kämpfen – wohlan. Da finden sich noch Gleichgesinnte, vielleicht Andrea Nahles oder Christoph Butterwegge. Erstaunlich, wie wenig Wegner vom heutigen Sozialstaat weiß oder wissen will, sonst wäre eine solche Lobpreisung nicht möglich.
„Und vor allem muss das Geld institutionell eingesetzt werden: in bessere Bildungseinrichtungen, Kindergärten, in sozial inklusive Stadtteile, in eine freundlich-aktivierende Betreuung von Arbeitslosen und deren wirkliche Unterstützung und in armutsfeste Renten, um nur einige Baustellen zu nennen.“
Was heute so geschrieben wird, heißt praktisch: Aufsicht behalten, Sanktionsmöglichkeiten fortentwickeln, aber nicht: Freiräume ermöglichen.
Und noch ein Märchen:
„Zu behaupten, dass man all diese Probleme auf einen Schlag mit dem bedingungslosen Grundeinkommen lösen könnte, ist mehr als naiv: Es ist verantwortungslos! Tatsächlich wäre es für viele Menschen eine Herdprämie: etwas Geld, um sich mit ihrer ohnehin schwierigen Situation endgültig abzufinden. Und wer hier helfen wollte, der kann das nur auf eigene Rechnung tun.“
Dass Theologen auch ganz anderer Auffassung sein können, was das BGE betrifft, wird in diesem Gespräch deutlich.
Wer behauptet das denn, dass ein BGE alles auf einmal löse? Wegner muss Befürwortern Naivität unterstellen, um seinen realistischen Klarblick herauszuheben. Und zuletzt wieder eine Konsequenz, die mit dem BGE gar nichts zu tun hat, aber viel mit der Gegenwart.
Sascha Liebermann