Mit Märchen gegen vermeintliche Märchen – Gerhard Wegner attackiert das Bedingungslose Grundeinkommen

Auf der Website die-kirche.de hat sich der Leiter des sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirche Deutschlands, Gerhard Wegner, auf ein Neues zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert. Überraschendes gibt es nicht aus seiner Feder (frühere Kommentare zu seinen Ausführungen von meiner Seite finden Sie hier).

„Es ist ein alter Traum der Menschen: genügend Geld zu haben, ohne dafür arbeiten zu müssen. Märchen sind voll davon. Aber nun soll es kein Wunschtraum bleiben, sondern tatsächlich Realität werden: Bedingungsloses Grundeinkommen nennt es sich. 1 000 Euro oder mehr für jeden im Monat von Geburt an, das ist die Vorstellung. Waren es früher nur ein paar Idealisten, die sich dafür einsetzten, so sind es nun leibhaftige Wirtschaftsbosse, Joe Kaeser von Siemens allen voran.“

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„Der Sozialstaat reagiert viel besser auf individuelle Problemlagen und Risiken“…

…als ein Bedingungsloses Grundeinkommen, meint Gerhard Wegner (Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland) in einem Interview mit der Deutschen Handwerkszeitung. An einer Stelle sagt er:

„Dabei stellt sich die Frage, welche Entlastungen es von diesem zunehmenden Selbstdarstellungsdruck heute gibt. Das ist ein Problem, das sich in der Zunahme psychischer Krankheiten äußert. Der größte Krankheitsfaktor ist dennoch die Arbeitslosigkeit. Die Gefahr krank zu werden, wenn man arbeitslos ist, ist in keinem anderen Land so hoch wie bei uns. Die hohe Bewertung der Arbeit, die auch auf Luther zurückgeht, hat damit auch etwas pathologisches. Wir leiden unter einer Art Arbeitsreligion, die mit der Ökonomisierung einhergeht.“

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Verklärung des Bestehenden statt Analyse der Probleme

„Verantwortung wahrnehmen – bedingungslos!“, so hat Gerhard Wegner im Jahr 2007 seine Auseinandersetzung mit dem Vorschlag eines Bedindungslosen Grundeinkommens übertitelt. Der Untertitel „Das bedingungslose Grundeinkommen beeinträchtigt die Förderung umfassender gesellschaftlicher Teilhabe“ sagt, wohin die Kritik eilt. Wir weisen auf diesen Beitrag hin, da er die Argumente beinhaltet, die Herr Wegner anlässlich einer Veranstaltung in Dortmund am 14. Oktober vorgetragen hat. Die Stoßrichtung der Kritik gleicht der von Matthias Zeeb, einem Kollegen von Herrn Wegner, dessen Ausführugen wir schon früher kommentiert haben (siehe hier).

Ein Punkt sei hier herausgehoben, an dem der grundsätzliche Dissens erkennbar wird zwischen dem, was ein BGE erreichen will und dem, was der bestehende Sozialstaat und seine Vorfahren erreichen wollen. Herr Wegner hat viele gute Absichten, sieht in der Hilfe für die Armen und Schwachen eine Herausforderung, will ein solidarisches Gemeinwesen usw. Es ist leicht, mit ihm darin übereinzustimmen, aber der Weg dahin ist das Problem. Wer sind die Armen und Schwachen, wer ist arm und schwach, woher weiß man das? Und verpflichtet es die Armen und Schwachen, weil sie arm und schwach sind, sich helfen zu lassen, wenn sie es nicht wollen?

Will man nicht von oben bestimmen, wer sich wie von wem zu beraten lassen hat, dann muss man Möglichkeiten schaffen, dass der Einzelne selbst darüber entscheiden kann. Bei allen guten Absichten beinhaltet Herrn Wegners Position eine Zwangshilfe, eine Hilfe, die mit Sanktionen arbeitet, da – so äußerte er sich in der Diskussion – nur auf diese Weise eine Verpflichtung des ‚Geholfenen“ besteht, sich auch helfen zu lassen. Dabei widersprechen nicht nur Argumente dieser Form von Hilfe, sondern auch die Empirie. Wer Gelegenheit hat, mit Sozialarbeitern zu sprechen, wird erfahren, dass es zu nichts führt, jemandem zu helfen, der sich nicht helfen lassen will. Hilfe kann dann erfolgreich sein, wenn die eigene Hilfsbedürftigkeit erkannt wird, dass man zumindest darum weiß, Hilfe zu benötigen, weil man alleine nicht weiter kommt. Diese Grenze des Hilfsangebots, dass es nicht aufgedrängt wird und auch ausgeschlagen werden darf, gilt es zu respektieren, will man nicht „von oben“ bestimmen, wer hilfsbedürftig ist. Sind Dritte gefährdet, z.B. Kinder, sieht die Lage anders aus. Dafür stehen Eingriffsrechte zur Verfügung, die gesetzlich festgelegt sind (siehe Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) – Kinder und Jugendhilfe“). Alles andere wäre Entmündigung durch Zwangshilfe.

Wenn anhaltende Armut (also nicht bloßer Einkommensmangel) ihren Grund unter anderem in traumatischen Lebenserfahrungen hat, die gerade zu einem schwachen und nicht zu einem starken Selbstvertrauen führen, dann ist eines ganz deutlich. Die davon Betroffenen können sich kaum gegen Zwangshilfe verteidigen, die so massiv auftritt wie heute. Vielmehr werden sie von ihr an die Wand gedrückt. Wie sollen sie unter diesen Bedingungen aus der Situation hinausgelangen?
Mit einem BGE hingegen würden Betroffene respektiert, sie könnten aus der Einkommenssicherheit heraus, die zugleich die eigene Position stärkt, viel eher sich Hilfs-Angeboten (!) öffnen, wobei auch hier nichts beschönigt werden darf. Hilfe anzunehmen setzt ein Minimum an Selbstvertrauen voraus. Sich einzugestehen, dass man Hilfe benötigt und diese anzunehmen, ist nicht einfach; es ist ein Zeichen von Stärke, das dürfte jedem vertraut sein.

Dass es in der evangelischen Kirche auch andere Positionen zum Grundeinkommen gibt, darauf sei eigens noch einmal hingewiesen, siehe hier.

Sascha Liebermann