Jüngst gab der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit dem Kölner Stadtanzeiger ein Interview. Während der Titel lautet „Man bekommt kein Gehalt aus Solidarität“ und das so klingt, als habe der Vorsitzende eine Aussage über Löhne im Allgemeinen getroffen, sagte er im Interview etwas anderes. Dort ging es um das „solidarische Grundeinkommen“ und was es auszeichnet:
„Berlins Bürgermeister Michael Müller hat ein „solidarisches Grundeinkommen“ gefordert: Sie halten den Ansatz für falsch. Warum?
Ich war einer der Ersten, der gesagt hat, wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt für eine kleine Gruppe von Menschen. Ich halte aber den Begriff eines solidarischen Grundeinkommens für falsch. Er liegt zu nah am „bedingungslosen Grundeinkommen“. Damit weckt der Begriff Erwartungen, die er nicht erfüllen kann. Denn auch auf einem öffentlich geförderten Arbeitsmarkt geht es um einen Lohn – entweder den Tariflohn oder den ortsüblichen Lohn – als Gegenleistung für erbrachte Arbeit. Man bekommt sein Gehalt also nicht aus Solidarität.“
Genau so ist es, das solidarische Grundeinkommen spielt nur mit dem Wort „Grundeinkommen“, ist aber etwas vollständig anderes als ein BGE. Darauf ist mittlerweile schon oft hingewiesen worden. Scheele hebt dadurch allerdings etwas hervor, was nur indirekt in seiner Äußerung sichtbar wird. Dass eben „Gehalt“ nur äußerst unvollkommen abbildet, von welchen Leistungen ein Gemeinwesen lebt. Das wird auch in der folgenden Bemerkung deutlich:
„Wer kommt denn für eine solche Tätigkeit in Frage?
Dieses Angebot soll sich an Menschen richten, die mehrere Jahre arbeitslos sind, älter und keine berufliche Ausbildung haben oder gesundheitlich eingeschränkt sind – also Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance haben und die als Ultima Ratio so ein Beschäftigungsverhältnis bekommen. Was ist denn die Alternative? Alimentieren bis zum Renteneintrittsalter. Wir müssen uns um jeden Einzelnen bemühen.“
Also, „workfare statt welfare“, wie das vor einigen Jahren noch hieß, oder eben „aktivierende Sozialpolitik“. Warum nicht alimentieren, was spricht grundsätzlich dagegen? Gäbe es den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit als non plus ultra nicht, dann gäbe es auch die stigmatisierenden Effekte der Leistungen für Erwerbslose bzw. alle Leistungsbezieher nicht. Alimentierung ist nicht per se ein Nachteil, sie kann entlastend sein, von Illusionen befreien und deutlich machen, dass dem Einzelnen zuallererst einmal zugetraut wird zu wissen, wie er sich einbringen möchte. Im heutigen Gefüge gilt Alimentierung als Missstand, weil Erwerbstätigkeit eine solche enorme Bedeutung verliehen wird, die sie bei genauerer Betrachtung gar nicht hat. Wenn wir uns nur kurz vor Augen führen, wie unser Wohlstand heute entstehen konnte und bewahrt werden kann, müssen wir folgendes eingestehen:
1. Er ruht auf den Leistungen vorangehender Generationen (Hervorbringung von Demokratie, Rechtstaat, Wissen, Infrastruktur, Kultur, Kulturtechniken usw.)
2. Leistungsfähigkeit und -bereitschaft entsteht in Bildungsprozessen, die weder planbar noch „steuerbar“ sind. Sie müssen ermöglicht werden und das geschieht vor allem in der Familie durch die Eltern und die Erfahrungsräume, die sie ihren Kindern schaffen, die Verlässlichkeit, mit der sie da sind und sich sorgen. Institutionen sind erst nachgelagert von Bedeutung
3. Die Loyalität der Bürger (nicht der Erwerbstätigen) trägt das Gemeinwesen, von ihr ist sein Wohlergehen abhängig (Normbindung). Wirtschaftsgeschehen dafür nachgelagert von Bedeutung, lebt von Voraussetzungen, die es nicht schaffen kann
4. Die Arbeitsteilung ist heutzutage in jeder Hinsicht umfassend – Leistung individuell nicht zurechenbar. Die Vorstellung, Lohn und Leistung stünden in einem Verhältnis zueinander ist eine Illusion. Nur sehr vermittelt trifft das zu, Löhne sind willkürliche Vereinbarungen auf Basis des Verteilbaren.
Alle hängen mit allen zusammen und können nicht auseinanderdividiert werden, es sei denn um den Preis, eine der vier Dimensionen zu vernachlässigen. Wenn diesen Zusammenhängen gemeinschaftlich Rechnung getragen werden soll, dann muss es eine Einkommenssicherung geben, die dem entspricht, sowohl die Verflochtenheit zur Geltung bringt, als auch die individuelle Initiative fördert. Wenn wir uns also „um den Einzelnen bemühen“ müssen, ohne dass es paternalistisch wird, führt am Bedingungslosen Grundeinkommen eben kein Weg vorbei.
Sascha Liebermann