Ein Überblick über die Debatte, das Für und Wider sowie verschiedene Positionen. Allerdings wird manch wichtiger Aspekt überraschenderweise ausgelassen bzw. etwas missverständlich dargestellt. So ist das Projekt in Finnland nicht „aufgegeben“ worden, es läuft lediglich aus und wird nicht verlängert. Vielleicht meinte Herr Rotte das, angesichts der verkürzten Medienberichterstattung wäre hier Klarheit wichtig.
Es heißt an einer Stelle, dass wir „empirisch“ nichts über die Wirkungen wissen. Das ist soweit richtig, gilt allerdings für jede Entscheidung, die in eine offene Zukunft getroffen wird. So wussten wird nicht, was die Euro-Rettungsschirme bewirken, was die Demokratie nach 1945 bringen würde und vieles mehr. Wir wissen auch nicht, was unsere Entscheidungen im Hier und Jetzt morgen nach sich ziehen werden. Der Hinweis ist so richtig wie banal. Von dieser Ungewissheit aus, kommte der Interviewte dann auf den Stellenwert von Menschenbildern in der BGE-Diskussion zu sprechen. Sie spielen eine erhebliche Rolle, wie so häufig, wird im Beitrag nicht zwischen realitätsfernen und -nahen Menschenbildern unterschieden. Würde man von einem Professor für Politikwissenschaft hier nicht eine schärfere Analyse erwarten können? Müsste nicht die Frage gestellt werden, ob das Menschenbild des BGE überhaupt etwas utopisch Zukünftiges ist oder nicht schon längst Grundlage unseres Zusammenlebens? Diese Frage lässt sich auf zwei Wegen empirisch beantworten, ohne dass ein BGE schon eingeführt sein müsste, zum einen mit Blick auf die Grundfesten der politischen Ordnung, zum anderen durch die Rekonstruktion handlungsleitender Überzeugungen, die für die Entscheidungsfindung sei es von Individuen, sei es von Kollektiven in der Vergangenheit maßgeblich waren. Nichts also würde der Weg über Modellsimulationen beschritten werden müssen, die die Vergangenheit lediglich in die Zukunft verlängern und das auf der Basis bestimmter Annahmen. Die rekonstruktive Sozialforschung würde aus dem Handeln in der Vergangenheit schlüsse darauf ziehen können, wie ein BGE sich zu diesen handlungleitenden Überzeugungen verhält. Wer mit den Verfahren der hermeneutischen Sozialforschung vertraut ist, den wird das nicht überraschen.
Entsprechend ist auch die Finanzierungsfrage nicht als Rechenaufgabe zu beantworten, die einen etwaigen Finanzbedarf simuliert – meist wird nur über die Ausgabenseite gesprochen, ohne die Einnahmeseite zu berücksichtigen. Sie stellt sich grundsätzlicher, weil es darum geht, warum Menschen handeln wie sie handeln, ob ein BGE Handlungsbedingungen für Leistungserbringung verbessern oder verschlechtern würde. Hier sind wir mitten in der Diskussion über die sogenannten „Anreize“, die meist unterkomplex als bloß von außen auf ein Individuum einwirkende Stimuli betrachtet werden.
Wenn die Menschenbildfrage ideologisch betrachtet wird, das scheint Rothe näherzuliegen als das Empirische, dann muss einem eine Gemeinschaft mit BGE als fundamentale Veränderung vorkommen – eine in der öffentlichen Diskussion häufig anzutreffende Sichtweise. Diese Veränderung bezieht sich aber nicht auf das Menschenbild, das in der politischen Ordnung Deutschlands zum Ausdruck kommt, sondern lediglich auf dasjenige, das sich in der Sozialstaatskonstruktion wiederfindet. Beides ist nicht identisch, vielmehr handelt es sich um einen strukturellen Widerspruch zwischen dem einen und dem anderen (zu einer Erläuterung siehe hier). Hier könnte eine empirische Betrachtung ansetzen und die Folgen des Widerspruchs untersuchen, wozu ich versuche Beiträge zu leisten. Von dort aus wäre leicht aufzuzeigen, was ein BGE leisten könnte. Vorhersagen sind, wie oben schon erwähnt, selbstverständlich nicht möglich – die Zukunft kann nur gestaltet werden durch Vollzug, nicht durch Simulation.
Von der politischen Ordnung aus gedacht geht es beim BGE also gerade nicht um ein „ganz anderes Gesellschaftsbild“, es geht um eine Fortentwicklung des Sozialstaats im Geist der Demokratie, während der bestehende Sozialstaat, der politischen Ordnung hinterherhinkt.
Ob ein BGE gewollt ist, lässt sich ebenfalls nur praktisch beantworten, durch Willensbildung und das Gewinnen von Mehrheiten. Der Gestaltungswille entscheidet also, wenn er da ist, stellen sich manche Fragen anders, die heute im schlechten Sinne theoretisch zu beantworten versucht werden durch Simulationsmodelle.
Sascha Liebermann