…so resümiert Gunnar Hinck das Ergebnis der Tagung „Hat Hartz IV eine Zukunft?“ (Programm und Dokumentation finden Sie hier), die von der Hans Böckler Stiftung in Berlin veranstaltet wurde. Bei aller differenzierten Kritik schienen sich die Referenten weitgehend einig, dass die sozialpolitische Ausrichtung der Gesetzgebung doch eine gute Sache sei, wenn auch verbesserungswürdig. Ein Bericht in junge welt findet hierfür etwas schärfere Worte. Zu der Einmütigkeit passte der Titel des Vortrags von Annelie Buntenbach (DGB) – „Es ist an der Zeit, das Hartz-Unwesen zu beenden“ – nicht so recht. Das täuscht aber, denn der von ihr dargelegte Vorschlag des DGB („Soziale Sicherheit statt Hartz IV“), hält an den Grundzügen des bestehenden Systems fest, wie diese Passage auf S. 2 zeigt:
„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zusammengezählt mindestens eine Gesamt-Beschäftigungsdauer von zehn Jahren erreichen, sollen vor einem Wechsel ins Hartz-IV-System geschützt werden…“
Es geht vor allem um Arbeitnehmer, zwischen den langjährig Beschäftigten und den anderen muss ein deutlicher Unterschied gemacht werden. Eine Verklärung ist es, wenn es auf S. 3 heißt:
„Die Arbeitsagenturen erörtern mit den Arbeitslosen auf Augenhöhe, welche Art der aktiven Förderung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, am erfolgversprechendsten und im Einzelfall am passendsten ist und vereinbaren diese Förderung im Einvernehmen.“
Augenhöhe würde bedeuten, dass beide Seiten im Falle einer nicht gelingenden Einigung die „Erörterung“ verlassen können. Sieht der Vorschlag also keinerlei Leistungsentzug bzw. -kürzung vor, wenn Arbeitslose nicht mitziehen? Das wäre dann Augenhöhe.
Es werden in dem Vorschlag verschiedene Maßnahmen erörtert, was unternommen werden könnte, damit möglichst wenig Personen auf Hartz IV angewiesen sind, wie Leistungen im Arbeitslosengeld I erhöht und ihre Bezugsdauer verlängert werden usw. Ziel ist eine materielle Besserstellung der Bezieher. Wo bleiben denn die Sanktionsmöglichkeiten fragt man sich bei der Lektüre, will der DGB die denn aufgeben? Auf S. 9 heißt es:
„Das Gros der Hilfeempfänger/innen braucht keine Aktivierung, sondern (neben qualifikationsgerechten Arbeitsplätzen) passgenaue Hilfen bei der beruflichen Eingliederung sowie ggfs. sozial flankierende Leistungen (z.B. Kinderbetreuung, Schuldenberatung). Insofern sind Pflichten und Auflagen, die Arbeitslose zur Arbeitsuche und Arbeitsaufnahme anhalten sollen, für die allermeisten Arbeitslosen schlicht überflüssig, weil es gar nicht an Arbeitsbereitschaft mangelt.“
Was würde hieraus folgen? Der Verzicht auf Sanktionierung in jeder Hinsicht, denn wenn es so ist, sind sie nicht angemessen und führen nicht weiter. Hier kommt die Auflösung:
„Andererseits erkennt der DGB an, dass in der deutschen Sozialstaatstradition das Prinzip der Gegenseitigkeit strukturprägend ist. Es besteht eine starke normative wechselseitige Bindung in Form von Rechten und Pflichten. Die Solidarbereitschaft und die Bereitschaft als Steuerzahler eine Fürsorgeleistung zu finanzieren korrespondieren mit der Erwartung, dass der Leistungsbezug an „gute Gründe“ geknüpft ist. Insofern kann das Prinzip der Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten die Akzeptanz und Legitimität einer steuerfinanzierten Sozialleistung stärken.“
Also muss es doch auch Sanktionsmöglichkeiten geben in irgendeiner Form, sonst wäre der Verweis auf das Prinzip der Gegenseitigkeit unangebracht. Doch hier fehlt der Stellungnahme Klarheit, dieser Punkt wird ausgelassen. Wie steht das nun zur vorher zitierten Aussage, dass „Pflichten und Auflagen […] für die allermeisten Arbeitslosen schlicht überflüssig“ seien? Dann könnte doch auf sie verzichtet werden – doch das scheint für den DGB unvorstellbar, dabei erlaubte genau der Verzicht einen Schritt aus der Tradition, die nicht zur politischen Grundordnung passt. Dabei wäre der Unterschied zwischen einem garantierten Mindesteinkommen wie einem BGE und bedürftigkeitsgeprüften Leistungen, die darüber hinaus gingen, leicht zu machen, wenn das Erwerbsgebot aufgegeben würde. Doch den Schritt kann oder will der DGB hier nicht gehen.
Sascha Liebermann