…damit befasst sich Karsten Paul im Interview im Zeit Magazin. Darin werden zwar keine überraschenden Einsichten geboten, welche psychische Folgen Erwerbslosigkeit haben kann, sie werden aber in aller Deutlichkeit angesprochen. Interessant sind dann solche Bemerkungen:
„Paul: Es gibt Untersuchungen, in denen Arbeitslosigkeit mit Jobs verglichen wurde, mit denen die Angestellten unzufrieden waren. Da fanden sich dann keine Unterschiede hinsichtlich der psychischen Gesundheit zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen, ganz im Gegensatz zu den Jobs, mit denen ihre Inhaber zufrieden waren. Nicht jede Art von Erwerbsarbeit fühlt sich also besser an, als keine Arbeit zu haben.“
Auch hier gilt zwar, dass es keine neue Einsicht darstellt, doch sollte sie zu denken geben angesichts der noch immer verbreiteten Vorstellung, es sei „(fast) jeder Arbeitsplatz […] besser als keiner“ (im verlinkten Beitrag S. 44).
„Paul: Es gibt Forscher, die sagen, Menschen, die vorher einen anerkannten und besser bezahlten Beruf hatten, geht es nach einem Stellenverlust schlechter als anderen, weil die Fallhöhe größer ist. Also der Unterschied vom vorherigen Beruf zur Arbeitslosigkeit. Aber nach unseren Daten ist das nicht so. Demnach scheint es Personen, die vorher schlechter bezahlte und eher wenig angesehene Berufe hatten, in der Arbeitslosigkeit schlechter zu gehen.
Diese Menschen haben weniger finanzielle Rücklagen und bekommen nur eine geringe Arbeitslosenunterstützung. Ein Ingenieur hat hingegen wahrscheinlich noch Erspartes auf dem Konto und erhält zudem mehr Arbeitslosengeld. Zudem sind für Akademiker die Chancen, bald wieder eine neue Stelle zu finden, höher, was sich ebenfalls positiv auf das psychische Befinden auswirkt.“
Fraglos ist es erleichternd zu wissen, dass ein bestimmtes Qualifikationsprofil bessere Aussichten bietet als ein anderes – doch das sind statistische Wahrscheinlichkeiten. Für den Einzelnen in der konkreten Lage können sie zur Rationalisierung der eigenen Lage dienen, sie können dieselbe aber auch verschärfen, wenn sich nach zahllosen Bewerbungen die Wahrscheinlichkeit in ihrer realen Bedeutung verpufft. Woher aber rührt dieser Druck überhaupt? Paul deutet das nur an, wenn er an manchen Stellen davon spricht, wie sehr Erwerbstätigkeit und Anerkennung heute miteinander zusammenhängen. Er äußert sich jedoch nicht dazu, weshalb diese Anerkennung trügerisch ist, weil sie den Einzelnen als konkrete Person nur am Erwerbstätigsein misst. Weiter heißt es:
„ZEIT ONLINE: Wie können Freunde und Verwandte helfen?
Paul: Manche Arbeitslose berichten, sie hätten regelrecht Angst vor Kontakt mit Freunden und Familienmitgliedern. Vor allem dann, wenn die erste Frage immer lautet: „Und hast du schon was Neues?“ Dieses Abgechecktwerden empfinden viele Betroffene als belastend. Hilfreich ist daher, die Arbeitslosigkeit nicht zu häufig zu thematisieren. Der Betroffene ist immer noch der gleiche Mensch wie vorher, ob mit oder ohne Arbeitsplatz. Natürlich ist es gut, Hilfe anzubieten, sowohl materieller Art als auch emotionaler. Hilfe kann aber auch beschämend wirken, und Scham ist ein Problem, mit dem viele Arbeitslose sowieso schon kämpfen.“
Alle Aktivitäten, die Paul dann schildert, um der ständigen Beschäftigung mit der Arbeitslosigkeit zu entkommen, verweisen auf die enorme Wirkung, die das Erwerbsgebot als Norm entfaltet, die lähmende Wirkung, die sie haben kann. Sie ist nicht psychologisch individualisierbar, sie geht vor allem auf das Erwerbsgebot zurück. Dass dann unterschiedlich mit dieser normativen Stigmatisierung umgegangen werden kann, ist klar, hebt sie aber nicht auf. Das wird hier deutlich:
„Paul: Ein Teil der Arbeitslosen schildert durchaus auch positive Aspekte der Arbeitslosigkeit. Manche berichten zum Beispiel, die Arbeitslosigkeit sei für sie wie eine Erlösung von dem unerträglichen Job, den sie vorher hatten. Andere erzählen, dass der Kontakt zur Familie besser geworden sei, weil sie jetzt mehr Zeit für sie hätten. Es gibt auch Leute, die sagen, die Arbeitslosigkeit hätten sie sich zwar nicht ausgesucht, aber sie habe dazu geführt, dass sie noch mal ihr ganzes Leben hinterfragt haben. Dabei hätten sie erkannt, dass sie wichtige Dinge verändern wollen. Das sind oft diejenigen, die ihren Berufsweg in den Monaten ohne Stelle grundlegend neu ausrichten.“
Es gibt eine Anerkennung jenseits der Erwerbstätigkeit, die in ihrer Bedeutung aufscheint, doch folgt aus ihr eine geringe Gewichtung von Erwerbstätigkeit? Das kann nur gegen die Geltung des Erwerbsgebots durch Ich-Leistung, wie man psychoanalytisch sagen könnte, erfolgen, an der Norm ändert es nichts. Sieht Paul Auswege aus diesem Dilemma? Er macht auf Gestaltungsmöglichkeiten in der Erwerbstätigkeit aufmerksam, nicht jedoch darüber hinaus, das war allerdings auch nicht Gegenstand des Interviews.
Sascha Liebermann