Mehr oder weniger mit dieser Frage befasste sich Ane Hebeisen in Der Bund schon Ende Juli (also einige Wochen vor dem gestern kommentieren Beitrag von Markus Städeli), ob denn KI nun dazu führe, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen unausweichlich werde, weil usw. usf. Es ist eine bedauerliche Seite der BGE-Diskussion, diese befürchtete oder erhoffte Entwicklung als Argument dafür hervorzuziehen, dass nun also wirklich ein BGE nicht mehr abzuwenden oder aufzuhalten sei. Ganz gleich, was die KI nun mit sich bringt, ein BGE ist auch so eine interessante Alternative, doch dazu müsste man sich ernsthaft damit beschäftigen, das ist in dem etwas launischen Beitrag nicht zu erkennen.
Hebeisen schreibt an einer Stelle:
„Ich versuchte zu erklären: Die Schweiz betrachte ihren Wohlstand eben nicht als selbstverständlich. Die Zeiten, in denen die hiesige Landbevölkerung mit Hungersnöten und Überlebenskummer zu kämpfen gehabt habe, lägen bloss 200 Jahre zurück. Das habe das Volk demütig gemacht. Und in dieser Demut habe man einen Arbeitseifer entwickelt, der die Schweizerinnen und Schweizer zum – jedenfalls statistisch – dritt-fleissigsten Volk Europas gemacht habe. Weit vor den Deutschen und den hoffnungslos abgeschlagenen vereinigten Königreichlern.“
Was besagt das nun im Verhältnis zum BGE? Relevant wird diese Einordnung nur, wenn man der Auffassung ist, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit erwachse aus Not, ganz dem Motto folgend „Not macht erfinderisch“. Diese Vorstellung ist in der Tat weit verbreitet und auch keineswegs rundheraus abwegig, aber sie ist borniert. Denn Not verengt den Blick, gerade weil ein drängendes Problem schnell einer Lösung bedarf, da bleiben langfristige Erwägungen schnell außen vor. Selbst die Lösungssuche in der Not bedarf indes einer gewissen Muße im Sinne einer Haltung, die bereit ist, eingetretene Pfade zu verlassen, um Alternativen zu erkennen und zuzulassen. Wer sich darauf gar nicht erst einlässt, über das Bestehende hinauszudenken, auch in der Not, kommt eben nicht weiter – das ist auch in der Not kein Automatismus, innovativ zu werden, sonst würden ja alle innovativ. Abwegig wird es, wenn nun aus der Not abgeleitet wird, dass es stets der Not bedarf, um Neues in die Welt zu bringen, das ist die problematische Seite an dem Motto, wie Hebeisen es hier verwendet. Der heute – auch in der Schweiz – existierende Wohlstand hat neben anderem eben mit der Innovationsbereitschaft trotz Wohlstand zu tun, das erklärt sich aus der Not heraus überhaupt nicht. Mit dieser Einsicht wäre der Boden bereitet, das BGE geradezu als Innovationsermöglicher zu betrachten, weil es die Verengung durch Not in jeder Lebenslage und Hinsicht aufzuheben ermöglicht, zumindest strukturell.
Was macht nun Hebeisen daraus?
„Und so lautet die nächste grosse Frage, was wir Menschen denn wohl tun werden, wenn wir bald von den grundlegenden Sachzwängen des modernen Lebens befreit werden? Kein Kontostand-Kummer mehr beim Bezahlen an der Migros-Kasse. Kein gesellschaftlicher Produktivitätsdruck, der uns zuweilen den Schlaf raubt. Dafür ganz viel Zeit. Und wer ins Erwerbsleben einsteigt, wird nicht mehr fragen, welche Tätigkeit die grösste Sicherheit verspricht, sondern was er oder sie am liebsten tut.“
Ganz wie bei Städeli droht ohne Druck Ungemach, der Untergang naht, wie auch daran zu erkennen ist, dass Hebeisen einen Gegensatz zwischen Erwerbsengagement, um Sicherheit zu erlangen, auf der einen und der Ausrichtung an Neigungen und Interessen auf der anderen Seite konstruiert. Weshalb sollte das ein Gegensatz sein, sofern Neigung und Interessen nicht mit Hedonismus und Spaß gleichgesetzt werden? Gerade die Haltung jedoch, die Hebeisen heraushebt, die Suche nach Sicherheit, ist ja kein Movens für problemlösendes Tätigsein, solange sie keinen Sachbezug hat. Wenn sie den Bezug zur Sache hingegen hat, ist sie auch problemlösend und erfüllend, was wiederum gewisse Neigungen und Interessen voraussetzt.
Dann folgt:
„Der deutsche Fernseh-Philosoph Richard-David Precht spricht denn im Zuge eines bedingungslosen Grundeinkommens auch vom Übergang der Arbeitsgesellschaft in eine Sinngesellschaft. Wer indes in einer solchen Sinngesellschaft die etwas weniger angenehme Arbeit für uns übernehmen würde – Pflege, Bau, Reinigung –, ist genauso unklar wie die Frage, ob diese neue Form des Wohlstands in einigen privilegierten Ländern aus global-wirtschaftlicher und -gesellschaftlicher Sicht überhaupt zu verantworten wäre.“
Welch ein Gewährsmann für einen Journalisten! Wer macht die unangenehmen Tätigkeiten? Die Antworten lassen dann schnell erkennen, wie wenig die Einwänder vom heutigen Arbeitsmarkt verstehen, der eben keine Garantie dafür bietet, Personal zu finden. Welche Möglichkeiten bleiben also, ganz unspektakulär: bessere Arbeitsbedingungen bieten, einen besseren Lohn, Automatisierungsmöglichkeiten nutzen oder wenn das alles nichts hilft, eine öffentliche Diskussion über den Stellenwert von Tätigkeiten führen. Vielleicht hat das, was einige als „unangenehm“ bezeichnen auch schlicht damit zu tun, dass sie es von ihrer Warte aus so einschätzen und dass andere die Tätigkeit, die man selbst als so hochstehend erachten, auch „unangenehm“ finden und sie nie ausüben würden.
Wie im gestrigen Kommentar so muss auch hier der Paternalismus herausgehoben werden, der sich ein besorgtes Gewand umgelegt hat:
„Laut Studien arbeiten 85 Prozent der Gewinnerinnen und Gewinner grosser Geldbeträge einfach weiter. 11 Prozent reduzieren immerhin das Pensum, 10 Prozent machen sich selbstständig. Und Psychologen berichten, dass für einige der Wegfall des Arbeitszwangs zu einem «Verlust des Lebenssinns» führe. Ohne dieses Gefühl, gebraucht zu werden und in dieser Gesellschaft eine Aufgabe zu haben, lebt es sich demnach gar nicht mal so unbeschwert.“
Was folgt nun aus dem letzten Satz? Beschäftigungssimulation oder -therapie? Fragt sich der Autor nicht woher denn diese Wertschätzung kommt, die keine menschheitsgeschichtliche Selbstverständlichkeit ist?
Soll es der „Staat“, wie er bei den Paternalismuskritikern gerne beschworen wird, etwa durch Aufgabenschaffungsprogramme lösen – wäre das nicht gerade paternalistisch und entmündigend?
Sascha Liebermann